Herrliches, Kurioses und satte Boni: Legendäre Alben auf Vinyl bei „Groove Replica“

Im Februar machte eine für Vinyl-Fans beunruhigende Meldung die Runde: Ein Feuer hatte die Fabrik der Firma Apollo/Transco in Kalifornien zerstört, eine von zwei Produktionsstätten weltweit, welche die so genannten Lacquers, die für die Herstellung von LPs notwendigen Master-Folien produzieren. Die Auswirkungen dieses Vorfalls sind noch nicht abzusehen, doch ein Blick auf die Rückseite der ersten Scheiben dieser neuen Vinyl-Wiederveröffentlichungsserie namens „Groove Replica“ (Vertrieb: in-akustik) zeigt, dass sie davon nicht betroffen war: Sie sind mittels „Direct Metal Mastering“ hergestellt, jenes alternativen Verfahrens, das Ende des 20. Jahrhunderts in Deutschland entwickelt wurde.

Zum moderaten Preis von etwa 17 Euro bekommt man eine sauber gepresste 180g-Vinylplatte  unsterblicher Klassiker der Jazz- und R&B-Diskothek mit den originalen Liner Notes, dazu eine CD in Klappkartonhülle, die neben den LP-Titeln weiteres Material, zum Teil ganze Zusatzalben enthält. Beachtlich!

Zur Musik selbst muss nichts mehr gesagt werden, hier nur ein paar Anmerkungen zum Bonusmaterial und, wo nötig, zur Klangqualität:

Miles Davis: Kind of Blue (Groove Replica 77012)

Beginnen wir mit dem aufnahmetechnischen Kuriosum der Serie, wobei ein wenig auszuholen ist. Wie erst 1992 bemerkt wurde, lief die Masterbandmaschine am 2. März 1959, der ersten Aufnahme-Session zu diesem legendären Album, eine Spur zu langsam. Beim Ab- und Überspielen in korrekter Geschwindigkeit klingen die Songs der ersten Plattenseite („So What“, „Freddie Freeloader“, „Blue In Green“) deshalb ein Spur zu schnell und zu hoch (auch nachzulesen in dem wunderbaren Buch zum Album von Ashley Kahn, nmz-Rezension hier).

Die nach 1992 erschienenen Neuauflagen korrigierten diesen Fehler, und auch auf der hier beigelegten CD stimmen Geschwindigkeit und Tonhöhe. Auf der ersten Seite der Vinyl-LP ist merkwürdigerweise aber die alte, technisch falsche Version zu hören. Sollte dies absichtlich geschehen sein, um sozusagen ein Stück Rezeptionsgeschichte mit zu dokumentieren, so hätte dies irgendwo auch ausdrücklich kommentiert werden müssen. So ist es eigentlich ein Ärgernis.

Als Bonus ist auf der CD der CBS-Fernsehauftritt im Robert Herridge Theatre festgehalten, der am 2. April, also zwischen den beiden Aufnahmesitzungen für „Kind of Blue“ zusammen mit dem Gil Evans Orchestra stattfand: mit „So What“ (leider ohne Orchester-Intro) und einem Medley aus „The Duke“, „Blues For Pablo“ und „New Rhumba“. Die klingen hier natürlich besser als die davon bei YouTube verfügbaren Videos:

https://www.youtube.com/watch?v=diHFEapOr_E

https://www.youtube.com/watch?v=FoU1drxfdYM

 

Bill Evans Trio: Waltz For Debby (Groove Replica 77013)

Dies ist die einzige Platte der Serie, die signifikant anders klingt als die meisten der Re-Releases. Wie genau hier auffrischend nachgeholfen wurde, darüber ist in dieser Edition nichts nachzulesen, aber die Songs der am Nachmittag und Abend des 25. Juni 1961 aufgenommenen Live-Sessions im „Village Vanguard“ klingen, heller, transparenter und im Klavier deutlich brillanter als sonst, ohne dass die atmosphärische Wärme allzusehr darunter leiden würde. Geschmackssache, aber in jedem Fall bemerkenswert.

Als Bonus sind „Waltz For Debby“, „Detour Ahead“, „My Romance“ in alternativen Takes und „I Loves You Porgy“ zu hören. Im Innenteil des CD-Klappkartons sind Interviews mit Bill Evans über den zwei Wochen nach den Village-Vanguard-Aufnahmen bei einem Autounfall verstorbenen Bassisten Scott LaFaro abgedruckt.

Etta James: At Last! (Groove Replica 77010)

Stilistisch aus der jazzigen Reihe fällt diese grandiose R&B-Platte, die auf Vinyl etwas runder klingt als auf der beigefügten CD. Diese ist auf 27 Nummern und über 78 Minuten üppig um das Folgealbum „The Second Time Around“ von 1961 sowie frühere Titel ergänzt, wobei die Duo-Aufnahmen mit Harvey Fuqua besonders Laune machen.

 

Ella Fitzgerald, Louis Armstrong: Ella & Louis (Groove Replica 77014)

Nach den regulären elf Songs des herrlichen Albums von 1956 erlaubt die CD mit weiteren acht Songs einen reizvollen Zeitsprung zurück in die Jahre 1946, 1950 und 1951, als die Beiden erste gemeinsame Aufnahmen mit den „Orchestras“ von Bob Haggart, Sy Oliver und Dave Barbour machten. Der locker-humorvolle Dialogtonfall des späteren Klassikers blitzt vor allem in „Necessary Evil“ und „Would You Like To Take A Walk“ schon auf.

The Dave Brubeck Quartet: Time Out (Groove Replica 77011)
Rückwärts blickt das Bonusmaterial auch hier: Das Quartett ist auf „Brubeck Time“ (1954) erst auf dem Weg zur späteren Originalität. Bei der letzten Nummer „Brother, Can You Spare A Dime“ hört man unwillkürlich Gert Westphals Stimme mit, wie sie auf der Platte „Lyrik und Jazz“ dazu unnachahmlich Gottfried Benns „Destille IV“ rezitiert: „Ich lasse mich zerfallen/Ich bleibe dem Ende nah/Dann steht zwischen Trümmern und Ballen/Eine tiefe Stunde da“.

 

Weitere Veröffentlichungen der Reihe hier:
https://www.in-akustik.de/de/musik-medien/label/g/groove-replica/

Autor: Juan Martin Koch

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