Alex Bayer: Radar

Kammer- und Jammermusikalisches – Jazz-CDs in der HörBar Juni 2022

Wolfgang Muthspiel: Angular Blues | Alex Bayer: Radar | martell beigang: musical matrix | KontraSax: Die Kunst des Reisens. Rezensionen in der HörBar der neuen musikzeitung. Wolfgang Muthspiel: Angular Blues Alex Bayer: Radar martell beigang: musical matrix KontraSax: Die Kunst des Reisens Muthspiel: Angular Blues … Man möchte diese Musik so in den Arm nehmen, wie umgekehrt sie das selbst mit ihren Hörerinnen und Hörern versucht. Irdische Perfektion mit friedlichster Klangabsicht in himmlischer Sphäre. … Alex Bayer: Radar … Schweben oder stolpern. Als Hörerin oder Hörer muss man das immer wieder neu ausbalancieren, will man nicht einfach nur im Strom fortgerissen werden. Ein musikalischer Strudel, der einen eher nicht einsaugt als vielmehr ausspuckt je tiefer man ihn hineinzugeraten scheint. … martell beigang: musical matrix … Drumset-Set-Spiel wie in der „Pavane“ irritiert in seiner Konventionalität. Anderes wirkt wie ein angerüpeltes Stück von Steve Reich, wenn es durch eine Nyman-Walze geschoben wird. Das ist nicht ohne Vergnügen wie in der „Gaillarde“ oder dem „Marche“. Aber man lasse sich nicht täuschen.  … KontraSax: Die Kunst des Reisens … Heraus kommt ein 11-teiliges Reisestück. Introvertiert? Ja, das auch. Aber …

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Nicole Johänntgen solo 2: „Ich kann das Wort Zeit neu interpretieren“

(Von Stefan Pieper) Eng getaktete Zeitmaße sind überwunden auf der zweiten Solo-CD der Saxophonistin Nicole Johänntgen. Hier sind – wortwörtlich genommen – höhere Dimensionen im Spiel. Aus einzelnen Tönen werden Intervalle, die sich zu Motiven formen. Immer neu und immer anders gefärbt. Vielleicht so, wie ein Naturszenario am Morgen allmählich erwacht? Das hektische Zeiterleben bleibt irgendwo unten im Tal zurück, wenn die Musik weiter auf diesem Weg nach oben trägt. Die in Zürich lebende Saxophonistin wählte für ihre zweite Soloaufnahme die Capella di San Gottardo – in 2100m Höhe gelegen auf dem Scheitelpunkt der berühmten Alpenpassstraße – mit einer nachhall-gesättigten Akustik, die manchmal fast selbst zu einem Musikinstrument wird. Ist der Mensch nicht ganz klein angesichts der Größe einer solchen Berglandschaft? Oder ist er doch ganz im Mittelpunkt? Das improvisierte Spiel ganz mit sich allein wurde zur Meditation über solche Seinsfragen. Freiheit und Logik Erst nach vier Stücken formen die Töne und Motive dieses Soloalbums zum ersten Mal eine zusammenhängende Melodie, was wie die Erfüllung eines Planes wirkt, in dem trotz aller assoziativen Freiheit viel Logik im Spiel ist. Aber Nicole Johänntgen ist eine viel …

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Vadim Neselovskyi „Odesa“ – Impressionen aus seiner Heimatstadt

Der ukrainische, in Odessa geborene, Pianist und Professor am renommierten Berklee College of Music Vadim Neselovskyi setzt seiner Heimatstadt Odessa mit „Odesa: A Musical Walk Through A Legendary City“ ein musikalisches Denkmal. Konzipiert und entstanden ist das Album lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Kurz vor dem Tod seines Vaters hat er ihm noch ein paar Stücke vorgespielt und sich nicht zuletzt durch seine Reaktion bestärkt gefühlt auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn sowohl Intention des Werkes als auch der Blick „seinerzeit“ noch ein vollkommen anderer war. Aufgenommen wurde das Piano Solo Album zwischen August 2020 im Sendesaal Bremen und September 2021 in den Kölner Riverside Studios. Eine der ersten „Odesa“ Live-Versionen wurde am 11. März 2021 im Rahmen eines Streaming Konzertes, coronabedingt ohne Publikum, aus dem Jazzclub Unterfahrt übertragen. Seinerzeit bereits klanggewaltig und mitreißend, aber noch etwas leichtfüßiger, sorgenfreier und natürlich politisch längst nicht so relevant wie bei Neselovskyis nächstem Münchner „Odesa“ Solo-Konzert in der Unterfahrt am 28. April 2022, bei dem an einigen Stellen, wie in „Odesa 1941“, die Zerstörung durch die russische Armee im Ukraine Krieg klanglich einen …

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Heiner Schmitz – „Tales From The Wooden Kingdom“

Von Dietrich Schlegel. Elias Canetti beschrieb in seinem philosophischen Hauptwerk „Masse und Macht“ (1960) den Hang der Deutschen zur Mystifizierung des Waldes mit den Worten: „In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude. Er sucht den Wald, in dem seine Vorfahren gelebt haben, noch gern auf und fühlt sich eins mit den Bäumen… Man soll die Wirkung dieser frühen Waldromantik auf den Deutschen nicht unterschätzen. In hundert Liedern und Gedichten nahm er sie auf…“ Refugium Wald Konfrontiert mit diesen Sätzen gerät Heiner Schmitz, Jazzmusiker und Komponist, Schöpfer seines – nach der „Odyssee“ und „Sinns & Blessings“ – neuen großorchestralen Werkes „Tales From The Wooden Kingdom“, ins Grübeln, sieht sich in gewisser Weise bestätigt und versucht zu beschreiben, was Wald für ihn bedeutet: „Wald ist für mich in erster Linie ein Refugium, in dem man zu sich kommen kann, seine Gedanken schweifen lässt, den urbanen, sozusagen unbewaldeten Alltag abstreifen und durchatmen kann…“   Die Frage, ob er …

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Ark Noir mit neuer CD im Gepäck… – see you next time!

Alles war minutiös geplant: die Produktion lief perfekt, artwork was done, VÖ und Release Party im Rahmen der “Tunnel Visions 8”, der ersten nach der Pandemie, diesmal im Münchner Club Import/Export, steht. Mit von der Partie die Berlinerin Kid be Kid und Polygonia B2B Delusional Circuits … aber dann kommt leider doch alles ganz anders! Drummer Marco Duffner bricht sich kurz vor dem Gig den Fuß. Ersatz musste her, für ihn springt der Schlagzeuger Margo ein, dann am frühen Abend der Soundcheck und kurz vor Ende die Hiobsbotschaft: das Mischpult spinnt und funktioniert nicht. Hin und her, verschiedene Optionen wurden gecheckt, aber letztlich dann doch schweren Herzens das “Aus” für den Abend! Endlos schade – nun warten wir gespannt auf einen neuen Termin für “Tunnel Visions” mit der offiziellen Release Party zum neuen Album. „See You On The Other Side“ Alles dreht sich hier nun um Ark Noir’s neue CD “See You On The Other Side”, die Ende Mai auf dem Münchner Enja Label erschienen ist. Das Debut Album “Tunnel Visions” aus dem Jahr 2019 sorgte mit der gleichnamigen, kurz zuvor gestarteten Festivalreihe, die sich …

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„Thelonia“ – Sebastian Sternal zieht auf seinem ersten Soloalbum künstlerisch Bilanz

Von Stefan Pieper. Wenn in einer Band der Pianist besonders gut ist, stellt sich nicht selten der Wunsch ein, diesen auch mal ganz für sich allein in einer Soloperformance zu hören. Sebastian Sternal hat mit so etwas lange genug auf sich warten lassen – sein neues Soloalbum „Thelonia“ stellt klar, dass sich dieses Warten gelohnt hat! Auf Anhieb ist hier Sternals Markenzeichen zu hören: An seinem kristallklaren Anschlag erkennt man diesen Pianisten sofort. Eine komprimierte Klangstudie gleich zu Beginn legt die Visitenkarte ab. Von da ab zieht der heute in Frankfurt lebende Pianist fantasievoll Bilanz, hält Innenschau und reflektiert über das Hier und Jetzt. Jemand, der so wenig wie er irgendeine Geschwätzigkeit auf dem Instrument nötig hätte, der darf sich aufs wesentliche reduzieren und das tut Sternal in den hier verewigten 18 Stücken konsequent, die dadurch manchmal gerade nur etwas länger als eine Minute dauern. Musikalisch passiert immens viel: Gerade noch formt er mit reduzierten Mitteln einen balladesken Bogen, der in Richtung eines Choralmotivs gedehnt und schon im nächsten Moment von spannenden Harmoniewechseln durchkreuzt wird. Neutönerisch wirft er anderswo mit nicht zu vielen Tönen umher, …

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Zurich Jazz Orchestra & Steffen Schorn: to my beloved ones

Zwei Big Bands und zwei Quartette – Frische Jazz-CDs in der HörBar Mai 2022

Zurich Jazz Orchestra & Steffen Schorn | Gil Evans Orchestra 1986 | Bastian Jütte Quartett | Schmid’s Huhn. Rezensionen in der HörBar der neuen musikzeitung. Zurich Jazz Orchestra & Steffen Schorn: to my beloved ones Gil Evans Orchestra 1986 live in der Fabrik Hamburg Bastian Jütte Quartett: The Cure Schmid’s Huhn: Layers (live) Zurich Jazz Orchestra & Steffen Schorn: to my beloved ones … Hinter Titeln wie „Die Tochter des Tyrannen“ kochen die ein Süppchen orientalischer Klangpampe, heftig gewürzt und reich an musikalischem Protein. Nachhaltig mit akustischem Koffein versetzt, bleibt da kein Tanzfuß im Nassen, kein Ohr auf dem Trockenen. … Gil Evans Orchestra 1986 live in der Fabrik Hamburg … Längen und noch mehr Längen. Und: Noch mehr Längen. Das wirkt alles bisweilen wie eine leicht sich selbstgefallende Übung in Klangmassenkommunikation – wobei es mir schwerfällt, ob die Betonung auf Klangmassen oder Massenkommunikation zu legen ist. … Bastian Jütte Quartett: The Cure … das Quartett praktiziert eine gerade, aber emotional komplexe Musiksprache. Das ist es, was zählt und was gilt. Ohne zu tief in die Substanz greifen zu wollen, die Spielbälle aus Rhythmus, Melos, …

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Colonel Petrov’s Good Judgement: Hypomaniac

Viel Krach und einiges Filigranes. CDs in der HörBar April 2022

Eine bunte Mischung aus der Welt der mehr oder minder improvisierten Musik hat Huflaikhan im April in der HörBar der nmz rezensiert. Markus Reuter: Truce 2 Roever Quartett: Hell’s The Hippest Way To Go Moritz Preisler Trio: Raureif Colonel Petrov’s Good Judgement: Hypomaniac Initiative H: Polar Star Markus Reuter: Truce 2 … Das Trio um Markus Reuter findet sich zusammen in einer krachenden Orgie aus musikalischer Energie. Robustes Musizieren in sieben utopischen Räumen. Das krächzt zu Beginn aus den Lautsprechern in einer Mischung purer losgelassener Klangrhythmen.… Niklas Roever Quartett: Hell’s The Hippest Way To Go …Musik, die einen einfach selig machen kann, weil sie mit so eleganter Freundlichkeit den Tönen nichts abpresst, sondern sich laufen lässt … Moritz Preisler Trio: Raureif … Wenn bei der letzten Nummer „Pulverisation“ der Bass von David Helm irgendwann allein im Raum steht, erreicht diese Musik eine derartige Konzentration in Leere, dass man kurz versinkt und die Musik schließlich ausatmen kann in den anschließenden Klangsplittern von Moritz Preislers Klavier und den Rhythmusresten des Schlagzeugs von Jan Philipp. Schön das! … Colonel Petrov’s Good Judgement: Hypomaniac …Die Frage ist allein noch …

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Start einer grandiosen CD Serie: Live at Fabrik

(Fotos, auch Beitragsbild: Thomas J. Krebs) Vor ein paar Jahren startete das Jazzline Label bereits eine CD Reihe „At Onkel Pö’s Carnegie Hall / Hamburg“ mit Livemitschnitten von Chet Baker, Dizzy Gillespie, Dave Liebman oder den Brecker Brothers, die der NDR seinerzeit aufgenommen hat. Nun ist der Startschuss für „Live at Fabrik“ gefallen. Vor allem in den achtziger und neunziger Jahren war die Hamburger FABRIK, neben unzähliger Rockkonzerte und vielfältigen bunten Veranstaltungen, eine Location für hochkarätige Jazzkonzerte, auch außerhalb des jährlich stattfindenden Jazzfestivals. So gaben sich hier Miles Davis, Sun Ra, George Adams, Sonny Rollins, John Scofield und viele weitere Jazzgrößen die Klinke in die Hand. Legenden des Jazz: Freddie Hubbard und McCoy Tyner Den Auftakt der „Live at Fabrik“ Serie bestreiten zwei absolute Jazzlegenden: der Trompeter Freddie Hubbard zusammen mit McCoy Tyner, Avery Sharp am Bass und Schlagzeuger Louis Hayes, die in der Hamburger Fabrik am 18. Juni 1986 ein fulminantes Konzert gaben. Der NDR, unter der Leitung von Michael Naura, war bei dieser Sternstunde mit seinem Sendewagen mal wieder vor Ort und nahm das Konzert auf. Die Musiker, allesamt in Topform, spielten abgesehen …

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Runter vom Sockel, Richard !

Das Online-Release „Mythos“ von Max Andrzejewski dekonstruiert Wagners „Ring des Nibelungen“. Bitte mehr davon! Von Sophie Emilie Beha Wenn das Werk von Richard Wagner nicht auf den Scheiterhaufen gehört, dann zumindest in einen Steinbruch. So oder so ähnlich muss sich das der Schlagzeuger und Komponist Max Andrzejewski gedacht haben, als er sich vergangenes Jahr an „Mythos“ gewagt hat. Das Projekt packt Richard Wagner und dessen mythengetränktem Zyklus „Ring des Nibelungen“ an die Riesen-Eier. Beauftragt vom deutschen Theaterregisseur Ersan Mondtag komponierte Andrzejewski vier neue Ouvertüren für „wagner – der ring des nibelungen (a piece like fresh chopped wood)“. In der Ring-Adaption von Thomas Köck am Berliner Ensemble wird viereinhalb Stunden Wagner zerhackt – zwischendrin erklingen die neuen Ouvertüren. 25 Jahre beschäftigte sich Richard Wagner mit dem „Ring des Nibelungen“, seinem Hauptwerk, dem die Nibelungensaga zu Grunde liegt. Er eignete sich den urdeutschen Mythos an und erschuf im Zusammenklang mit der Komposition ein zu seiner Zeit inhaltlich wie musikalisch revolutionäres Werk. Zentrales Thema des Mythos – schon bei Wagner – ist der Raubbau an der Natur durch den Menschen. Der Raub des Goldes durch den Nibelungen Alberich …

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