Magnetische Sternstunde der Musik: Das Lorenz Kellhuber New Trio im Stadttheater Regensburg

Regensburg. Verpufft, beiseite geschoben, weggewischt. Jeglicher Vorbehalt, ob ein reines Instrumentalkonzert bei den Zuhörern auch ankommt, war schlussendlich atomisiert. Anfänglich sorgte sich Pianist Lorenz Kellhuber im Theater Regensburg noch, dass Besucher sein Konzert mit dem New Trio vorzeitig verlassen könnten. Am Ende konnte die euphorisierte Menge kaum noch mit Zugaben beruhigt werden.

Nach einer über dreiviertelstündigen Improvisation hatten die drei Musiker ihre Zuhörer derart in einem magisch-magnetischen Klangkosmos gefangen, dass sie wie Süchtige nach immer mehr verlangten. Einige wenige waren tatsächlich nach der Pause nicht mehr ins Theater zurückgekehrt, ihre Plätze blieben verwaist. Vielleicht hatten sie sich etwas mehr Groove, normaleren (Mainstream-)Jazz oder songartige Strukturen erwartet. Wer allerdings die Entwicklung des mit 28 Jahren noch jungen Berliner Pianisten mit oberpfälzischen Wurzeln ein wenig verfolgt hat, konnte darauf ernsthaft kaum gesetzt haben. Kellhuber hat sowohl als Solist, Bandleader, wie als Begleiter oder Partner über Genregrenzen hinweg der Improvisation immer einen breiten Raum eingeräumt oder gar ganz frei gespielt. Dennoch war es vom Jazzclub, als engagierter Veranstalter, eine mutige Entscheidung das neue Trio um Kellhuber in der Reihe „Jazz im Theater“ zu präsentieren. Anders als im intimeren und lockereren Rahmen des Clubs hat es reine Instrumentalmusik schwerer genügend Anklang beim Publikum zu finden. Selbst wenn  fantastische Musiker wie Kellhuber, der 23-jährige Felix Henkelhausen aus Oldenburg am Bass und der zehn Jahre ältere Schlagzeuger Moritz Baumgärtner am Werk sind. Bei aller hoch verdienten Resonanz, die sie bei ihrer Deutschlandpremiere im Theater erhalten haben, ist ihre Musik auch eine Zumutung. Eine kreative Zumutung zwar, ein starkes Stück, das herausfordert, den Zuhörenden auch etwas abverlangt. Sie sind herausgefordert genau hinzuhören, sich auf Unerwartetes einzulassen, eben Aufgenommenes wieder fallenlassen zu  können und sich einem neuen musikalischen oder rhythmischen Gedanken zu stellen.

Als eine komplette „Reise um die ganze Welt“, aus welcher sie garnicht mehr aussteigen wolle, hat eine noch sichtlich gefangene Zuhörerin nach dem Konzert im Foyer das eben Erlebte beschrieben. Gerade im zweiten, durchgängigen Teil hat das Trio zu einer immensen Dichte und Kommunikation gefunden, die eine geradezu magische Stimmung erzeugt hat. Über 25 Minuten lang spielte Kellhuber einen einzigen Akkord, während um ihn herum Schlagzeuger und Bassist zu immer neuen Ideen ausholten. Bei dieser eigentlich penetranten Form, die sich im Minimalismus  findet, wie im sturen  Techno im Drum`n´Bass oder bei Erik Satie, wurde die Essenz einer Behauptung Kellhubers besonders deutlich. Während einer Ansage, mit der er  beschrieb, wie sie völlig frei an ein solches Konzert rangehen und beim Hören auf die jeweils anderen Musiker spontan reagieren, gab er auch etwas von seinem Musikverständnis preis. „Es kommt heute nicht mehr auf die Noten an, die man spielt“, packte er seine Erkenntnis in sprachliche Begriffe, „sondern auf die Schwingungen!“ Diese müssten beim Publikum ankommen. Genau das ist dem genialen Improvisator mit seinen beiden definitiv gleichberechtigten Mitmusikern in dem gut zweistündigen Auftritt gradios gelungen. Nach anfangs zwei kürzeren Stücken, wo das Trio beim Sichtabtasten gelegentlich noch etwas auf der Stelle getreten ist, nahm Kellhuber mit einem ungemein lyrisch-zarten Intro jeden einzelnen Zuhörer bei der Hand. Diese ließ er dann bis zum Schluss nicht mehr los. Tiefer und tiefer zog das Trio mit seinen zauberhaften klanglichen Exkursionen, groovigen Momenten, den poetischen und ekstatischen Leitlinien das Publikum in eine entgrenzte Welt – aus der es wie neugeboren auftauchte.

Michael Scheiner

 

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