Das Gespür für den richtigen Moment: Leo Betzls Klaviertrio erobert den Techno

Text und Fotos von Stefan Pieper. Erst war es für das Münchener Leo-Betzl-Trio nur ein Experiment, mal eine „Techno-Nummer“ ins Programm zu nehmen. Mittlerweile ist ein ganzes Abendprogramm und eine ganze CD daraus hervorgegangen. Und was im Januar beim Jazzfestival Münster noch etwas kammermusikalisch- verhalten vonstatten ging, entfesselt ein knappes Jahr und 40 Liveauftritte später ein gewaltiges Potenzial, das in der Hertener Schwarzkaue Schlägel und Eisen viele Zuhörer von den Stühlen holte – und eintauchen ließ!   In Detroit eroberten DJs leere Fabrikhallen zu den ersten Raves, was man gemeinhin als Geburtsstunde des Techno betrachtet. Fast drei Jahrzehnte später erfolgt im Rahmen der Konzertreihe Fine Art Jazz in Herten eine „Eroberung“ aus gegensätzlicher Richtung. Wieder findet Techno in Reinkultur statt. Unerschütterlich pulsiert der Vierviertel-Beat. Songstrukturen haben hier nichts verloren. Tiefe Subbässe wabern, hämmernde Snaredrum-Synkopen funken im richtigen Moment dazwischen, ebenso allerhand andere, meist abstrakte Klangereignisse oder aufs absolute Minimum reduzierte melodische Figuren. Denn der richtige Moment, die kluge, treffsichere Dosierung ist alles, damit treibende Magie entsteht. Und genau daraus ergibt sich die Schnittstelle für den Schlagzeuger Sebastian Wolfsburger, den Pianisten Leo Betzl und Maximilian Hirning, …

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Das 30. Jazzfest der Jazzmusiker-Initiative München – erste Halbzeit

Das 30. Jazzfest der Jazzmusiker-Initiative München JIM begann mit zwei Konzerten  in der Black Box im Kulturzentrum Gasteig. Dort ist es durch die Unterstützung des Kulturreferats der Stadt München seit einigen Jahren zu Hause. Begonnen hat es 1990 als 5-tägige Selbstdarstellung und Werbeveranstaltung der Münchener Jazzszene. Aus ihr gründete sich im Jahr darauf JIM e. V. als Selbsthilfeorganisation und Veranstalter des Festivals. Im Zirkuszelt im Olympiapark, wo das Jazzfest manchmal fast im Schlamm versank, war es 5 Jahre beheimatet. Danach tingelte es durch die halbe Stadt und erschloss dem Jazz vorübergehend die verschiedensten Spielorte. Einige der Musiker der vier Bands, die das Festival 2019 eröffneten, waren auch schon in den Anfangsjahren dabei. Schließlich wollten und wollen sich die Jazzmusiker mit ihrer Initiative zusätzliche Auftrittsmöglichkeiten verschaffen, wenn diese auch bei weitem nicht den Vereinsmitgliedern und längst auch nicht mehr nur Münchener Musikern vorbehalten sind. Diese standen und stehen aber beim Jubiläum eindeutig im Fokus. Zum Auftakt präsentierten drei Bands ihre bei ENJA Records erschienen Alben: Matthias Gmelin mit „Vibes Waltz“ (CD 9764) rhythmusbetonten Modern Jazz in Oktett-Besetzung mit Tim Collins, Jason Seizer, Diony Varìas Astudillo, Peter …

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Furioses für 144 Saiten plus Drumset – neue CD von Christy Doran

Seit Jahrzehnten versorgt der irisch-schweizerische Gitarrist Christy Doran eine treue Fangemeinde stetig mit neuen Ideen und musikalischen Überraschungen. Bands wie New Bag, Sound Fountain oder Bunter Hund existieren teilweise als Langzeitprojekte bis heute. Seine Partner und Mitmusiker sucht er sich danach aus, wie er sich mit ihnen in einen ekstatischen Rausch spielen kann. Er spielte und spielt mit Fredy Studer, Urs Leimgruber, Carla Bley, Ray Anderson, Erika Stucky, Marilyn Mazur, Han Bennink, Albert Mangelsdorff, Jamaaladeen Tacuma, Marty Ehrlich oder der Pipa-Virtuosin Yang Jing. Doran lehnt Denkverbote und Schubladen ab und verabscheut Langweile oder Routine. Das Rockjazz- oder Fusionquartett OM mit Urs Leimgruber, Bobby Burri und Fredy Studer, welches in den 2000er Jahren eine Neuauflage erfahren hat, ist eines seiner erfolgreichsten Projekte. Für seine siebenteilige Komposition „144 Strings for a Broken Chord“ hat er 20 Elektrogitarrist*innen, vier E-Bassist*innen und eine Schlagzeuger angeheuert und ist mit ihnen ins Studio – und danach auf die Bühne in seiner Heimatstadt Luzern – gegangen. Unter der Leitung von John Voirol führte das E-Gitarren-Orchester die suitenartig angelegten Instrumentalstücke auf und wurde von einem hörbar begeisterten Publikum stürmisch gefeiert. Es sind – …

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+++ News +++ Brazooka im Raven in Straubing +++ „Jazz Pott“-Preisträger mit Heimspiel +++

+++ Brazooka im Raven in Straubing +++ BRAZZOOKA – das sind kraftvolle Rhythmen und raffinierte Harmonien mit Elementen aus Funk, Jazz und Soul, die zu einem elektrisierenden Klangerlebnis verschmelzen. Die neunköpfige Combo aus dem Raum Regensburg bewegt sich stilsicher durch mehr als fünf Jahrzehnte einschlägiger Musikgeschichte: Im Repertoire finden sich Titel von Tower of Power, Steely Dan, Al Jarreau, Incognito, Bruno Mars und vielen weiteren Künstlern von den Siebzigern bis zur Gegenwart. Musik zum Mitgrooven und Tanzen BRAZOOKA spielt am 6.10. im Raven, der besten Musikneipe Straubings. Rosengasse 34 in Straubing. Der Einlass ist um 19 Uhr. Der Eintritt liegt bei 11 Euro.   +++ „Jazz Pott“-Preisträger mit Heimspiel +++ Das „Essen Jazz Orchestra“ spielt am 24. November wieder in der Casa Essen. Nachdem die neunzehn Musikerinnen und Musiker und ihr Bandleader Tobias Schütte gerade mit dem „Jazz-Pott“ 2019 ausgezeichnet wurden, begeisterten sie am 22. September im Essen Grillo-Theater das Publikum. Zudem hatten sie ihre Debüt-CD „Roadworks“ vorgestellt und das nächste Heimspiel wartet schon: Am Sonntag, dem 24. November wird die Big Band, die aus Absolventen der Essener Folkwang Universität der Künste und Musikern der …

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CD-Rezension: Vier Meister im Studio in Budapest

Graupe, Ceccaldi, Lillinger, Ceccaldi: »qÖÖlp«, BMC Records CD 257 Für ein Meisterwerk müssen stets mehrere Faktoren zusammenkommen; nur gute Ideen genügen ebenso wenig wie allein gute Musiker. Beides ist hier ohne jeden Zweifel der Fall. Aber es muss – für das Entstehen einer exzellenten CD – auch jemanden geben, der zur rechten Zeit am rechten Ort ist, die Qualitäten erkennt und sich beharrlich darum kümmert, dass am Ende ein faszinierendes Produkt vorliegt. Das war im Falle dieses außergewöhnlichen Quartetts (und in schier zahllosen weiteren Fällen) György Wallner vom Budapest Music Center, der die Jungs hörte und sofort für die Einspielung ihres ersten Studioalbums nach Budapest einlud. Das Ergebnis ist atemberaubend. Die Musik wirkt wie eine pulsierende, zuckende, explodierende und vergehende Klangstruktur, deren einzelne, netzwerkartig miteinander verknüpfte Elemente aufblitzen, überraschen, zusammenfallen, Impulse weitergeben und verglühen. Wer schon einmal bewusst auf dem Bauch liegend in das Strudeln, Wirbeln, Mäandern, Zischen, Spritzen eines schnell fließenden Bergbachs geschaut hat, dabei sowohl quirlende Steinchen am Bachboden, das aufgeregte Knicksen der Wasseramseln als auch die Schatten und die Spiegelbilder umherwirbelnder Blätter wahrgenommen hat, alles gleichzeitig und alles gleichzeitig nacheinander, weiß, wie …

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CD-Rezension: Polyjazz mit Hans Lüdemanns TransEuropeExpress

Hans Lüdemann TransEuropExpress, „Polyjazz“ BMC Records CD 246 Ich will mal keine Namen nennen. Aber es gibt eben Pianisten/Komponisten, die einer unter den Freejazz-Hörern bekannten Tradition folgen, zu deren Ausprägung sie selbst auch beigetragen haben: die Tradition des expressiven, intuitiven, formal meist ausufernden freien Spiels, mit dem der Pianist seine innere, psychische Befindlichkeit, seine kreativen Anspannungen ebenso wie seine individuallyrischen Vorstellungen per Tastenkaskaden und instant composing nach außen bringt, hämmert, glöckelt … Zweifellos haben diese Musiker die Kunst des Freejazz-Pianos zur Blüte gebracht und sind weder aus der Jazzgeschichte noch aus der Jazzgegenwart wegzudenken. Aber da wäre zu denken, sehr bemerkenswert, der Umgekehrt (würde Tucholsky sinngemäß sagen …). Pianisten/Komponisten, denen es nicht, oder besser: nur sehr vermittelt darum geht, ihr eigenes Ich spannungsgeprägt nach außen zu spiegeln, sondern vor allem darum, mit ihren eigenen Mitteln (und denen der Mitspieler) Musikstücke zu gestalten, die einer sich stets wandelnden Struktur von Melodien, Rhythmen und Harmonien folgen. Nicht instant composing, sondern Balance zwischen vorher gestalteten Elementen und eingeflochtenen Improvisationen. Zu diesen brillanten Pianisten/Komponisten gehört Hans Lüdemann, in seiner Art vielleicht der am meisten beeindruckende in Deutschland. Nach jahrelanger …

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„Evans in England“ – Resonance veröffentlicht Live-Mitschnitt des Bill Evans Trios von 1969

Bei der aktuell auf dem Resonance Label erschienenen CD „Evans in England“ handelt es sich um einen äußerst hörenswerten Live-Mitschnitt des Bill Evans Trios, der im Dezember 1969 im Londoner Ronnie Scott’s Club aufgenommen wurde. Es ist die mittlerweile vierte Bill Evans Live-Trio-Produktion (neben Top of the Gate (23.10.1968), Black Forest (20.06.1968) und Hilversum 22.06.1968)) mit bis dato unveröffentlichtem Material, das Resonance den geneigten Hörern und Bill Evans Fans zugänglich macht. Während bei den Konzerten in Hilversum und Villingen (Black Forest) Jack De Johnette mit von der Partie war, saß bei den Konzerten im Greenwich Village (Top of the Gate) und im Ronnie Scott’s Club, neben Eddie Gomez am Bass, Marty Morell am Schlagzeug. Dieses Trio zählt unbestritten zu den herausragenden Evans-Formationen. Hoch virtuos, mal aufbrausend und gleichzeitig mit Feingefühl begegnen Gomez und Morell dem Spiel von Bill Evans, fordern ihn mit Soli, Läufen, spannenden Rhythmussequenzen und geben musikalisch Vollgas. Angesichts der mittlerweile gut dokumentierten Auswahl an Tonträgern dieses Trios, ist hier trotzdem auch der eine und andere musikalische Schatz zu hören. So spielt das Trio eine frühe Aufnahme des Evans-Klassikers „The Two Lonely People“ …

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Fusion konsequent ins Heute weitergedacht: Mark Guilianas „Beat Music“ im Dortmunder domicil

Der New Yorker Mark Guiliana gehört zurzeit zu den gefragtesten Schlagzeugern: Er trommelt bei Avishai Cohen und bildet ein Duo mit Brad Mehldau. Vor allem: Sein Schlagzeugpart ist auf David Bowies – verblüffend jazzaffinen – letzten Album „Blackstar“ verewigt. Mark Guilianas Konzert im Dortmunder domicil bereicherte die Konzertreihe anlässlich des 50jährigen Bestehens des Dortmunder Jazzclubs – und wurde dem hohen Anspruch bestens gerecht! Wenn Guiliana mit einer eigenen Band auf Solopfaden wandelt, braucht dieser vielseitige Weltklasse-Rhythmiker keine eitle Selbstdarstellung. Umso mehr ist beim aktuellen „Beat Music“-Projekt das stringente greifbare Thema das Herzensanliegen: Um „Fusion“ geht es, diese zeitlose Verschmelzung von Jazz mit Rock und elektronischer Musik. Und wie eine solche Praxis wie ein aufnahmefähiger Schwamm alle Sounds und Trends vorzugsweise aus einem elektronischen Universum aufzusaugen in der Lage ist… Im Dortmunder domicil gibt Guilianas komprimiertes, von jeder virtuoser Eitelkeit befreites Schlagzeugspiel einer solchen Klangwelt den mächtigen, facettenreich ausdifferenzierten Puls. Also darf im Kollektiv in entrückte Galaxien abgehoben werden, was vor allem die beiden Keyboarder sicherstellen. Sam Crowe und Nicholas Semrad degradieren nicht etwa ihre Synthesizer zum „Werkzeug“ oder Füllmittel, sondern spielen diese Geräte als das, …

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„Joachim, willst Du mit uns spielen?“

Der Pianist Joachim Kühn traf im Dortmunder Jazzclub domicil auf die Ruhrgebiets-Kollektivband „The Dorf.“ Es braucht eigentlich kaum einer Erwähung: Auch der Pianist Joachim Kühn ist schon oft im Dortmunder Jazzclub domicil aufgetreten: „Es dürfte ungefähr im Jahr 1970 gewesen sein – und ich fand den Keller damals auch sehr schön“ erinnert sich der heute 75jährige Pianist an die alte Spielstätte des Jazzclubs in einem Keller an der Leopoldstraße. Später zog das domicil ins ehemalige Hansa-Theater und ist heute als regelmäßiger Aufführungsort für Jazz und anderes im Ruhrgebiet nicht wegzudenken. Seit der Gründung dürften hier etwa 3600 Livekonzerte über die gegangen sein – getragen von öffentlicher Förderung und noch mehr mehr bürgerschaftlichem Engagement, geadelt durch etliche Spielstättenpreise und immer wieder neu bestätigt durch eine kontinuierlich hohe Publikumsnachfrage. Das Auftaktkonzert einer ganzen Reihe zum runden Jubiläum demonstrierte, worum es in einem guten Jazzclub geht: Mit einem Soloauftritt von Joachim Kühn einen der besten internationalen Musiker auf der Höhe der Zeit nach hierhin zu holen. Zugleich mit einem Gig der Ruhrgebeitsformation „The Dorf“ am Puls der regionalen Musikszene zu sein. Im Idealfall berührt sich dies und reagiert …

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Chaplin’s Secret: Dotschy Reinhardt mit neuer CD

Mit ihrem mittlerweile vierten Album ist die Berliner Sängerin Dotschy Reinhardt  musikalisch einem Geheimnis auf der Spur. Entdeckt wurde es von Charlie Chaplins Tochter Victoria in dessen Nachttisch. Dort verwahrte der berühmte Daddy einen Brief, worin festgestellt wird, dass er – Charles Chaplin – nicht in London, sondern auf einem nahe gelegenen Grundstück geboren worden sei, auf welchem „romany people“, also Romanis kampierten. Dieses Geheimnis nimmt Reinhardt als Ausgangspunkt, um mit Eigenkompositionen und einigen Standards dem Swing von Django Reinhardts Hot Club, dem Bossa Nova und swingendem Jazz ihre Referenz zu erweisen. Eine coole Mischung, welche die Sinteza – die sich seit Langem aktiv für die Rechte von Sinti und Roma einsetzt – schon früher erfolgreich erprobt hat. Weich und geschmeidig singt sie von schwierigen Fragen des Lebens. Sie lädt ihre Landsleute ein Romanes zu sprechen, damit die Sprache ihrer Vorfahren nicht verloren geht und zeichnet mit ihrem Gitarristen Alexey Wagner eine wunderschöne, intime Liebeseinladung in den Himmel – „Fly Away“. Leider schmiert sie bei ihrem entschiedenen und selbstbewußten Aufruf „Romanes“ am Schluß ein wenig mit der Stimme ab. Eine kaum merkliche Beeinträchtigung, die den …

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