Klangirisierender Kopffüssler: Peter Fuldas „Peristaltics“

In Peter Fuldas Peristaltik – „Peristaltics“ – geht es ganz schön heftig zu. Bis sich Piano (Fulda) und Schlagzeug (Bill Elgart) mit einschalten und den rumorenden Prozess mit Schluckauf und Rülpsern einige rhythmische Komponenten hinzufügen, kämpft sich vorrangig das Cello (Elisabeth Coudoux) mit lückenloser Glaubwürdigkeit durch Unwohlsein, Krämpfe und weitere Beschwerden. Das dritte Album einer Edition des Nürnberger Komponisten, Arrangeurs und umtriebigen Jazzaktivisten spielt mit der Ausdruckskraft und Wandlungsfähigkeit einer ungewöhnlichen Besetzung. Nach dem keineswegs schrumpelnden „Shrink“ (mit Elgart, Nils Wogram und Henning Sievert) und „I am with you“ (u.a. mit Pegelia Gold und Robert Landfermann) bringt „Luminescent“ die drei Spieler*in in atmosphärisch ganz verschiedene Situationen und erzeugt so ein vielgestaltiges „Klangleuchten“, wie es im anschaulichen Booklet heißt. Ein starkes solches Leuchten geht – für mich – vor allem vom eröffnenden „Mammele“ aus, das Fulda dem bei uns wenig bekannten polnischen Schriftsteller Tadeusz Borowski gewidmet hat. Der hat in seinen Gedichten und Prosatexten die Frage nach Schuld und Verantwortung des Einzelnen auf dem Hintergrund von Erfahrungen in Konzentrationslagern gestellt und ist an inneren Widersprüchen zerbrochen.  Erschütterung und Zerbrechlichkeit durchziehen das brüchige Thema und verfangen sich …

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„Rote Rosen“ regnen im coolen Gypsy-Sound

Von Michael Scheiner. Traubeli Weiss, der vor einigen Jahren verstorbene, populäre Gipsyswing-Gitarrist, war der Onkel von David und Danino Weiss. Von ihm und anderen der weit verzweigten Familie haben die beiden Straubinger Musiker, Cousins, die sich seit ihrer Kindheit als Brüder verstehen, viel gelernt. Meist durch  Abschauen. Er hat sie auch ermuntert mit der Musik weiterzumachen. Aktuell präsentieren die beiden voller Stolz ein neues, ihr zweites Album, welches soeben erschienen ist. Stand die erste CD  (Violets For Your Furs) noch ganz im Zeichen der amerikanischen Jazztradition, wie der von Frank Sinatra populär gemachte Titelsong erkennen lässt, folgt jetzt eine Rückbesinnung aufs europäische Erbe. Aufs französische vor allem, denn etliche der Songperlen sind von großen französischen Entertainern und Komponisten geschrieben worden. So wird Joseph Cosmas „Clair De Lune“ mit wunderbar einfühlsamen, melancholischen Akkordeon- und Klavierlinien eigenwillig umspielt. Aufs Tempo drücken die Weiss-Brüder bei Charles Aznavours „J’aime Paris au mois de Mai“, welches sie mit Hilfe des grandiosen Münchner Groovemeisters Guido May und Trio-Elf-Bassist Peter Cudek im harten Hot-Swing beschleunigen. Ihm und dem ebenfalls im vorigen Jahr verstorbenen Filmmusikkomponisten Michel Legrand widmen sie das Album „The New Gipsy Sound“. …

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Dunkle Berge, lichte Höhen – Michael Scheiner über ein neues Album des Quartetts Woodoism

Dunkle Berge, lichte Höhen Zum Album „Refugium“ von Florian Weiss‘ Woodoism Von Michael Scheiner „Oh-oh, hohe Berge“ sang Frl. Menke 1982 in ihrem sinnfrei zusammengebastelten NDW-Song über Alpentourismus und eidgenössische Klischees. Ein fernes Echo aus der Zukunft zirpt, growlt, faucht und flötet nun munter davon, dass es in der Schweiz noch ganz andere zu besingende Dinge zu entdecken gibt. „Woodoism“ nennt der Posaunist Florian Weiss sein 2013 gegründetes Quartett mit Linus Amstad (sax) als zweiten Bläser und Valentin v. Fischer (bass) und Philipp Leidundgut (dr) als kompakte Grooveeinheit. Im Bandnamen klingt einerseits die Wärme des Holzes an, den die vier jungen Musiker mit dem eigenen Bandklang verbinden. Zudem verfängt oder spiegelt sich darin Voodoo, ein schamanistischer Glaube, vor dem auch die rationalen Schweizer keineswegs gefeit sind. In seinen „Skrupel“, „Lampenfieber“ oder „iStop oder die Zeitanhaltuhr“ kurios betitelten Stücken, die bis auf eines alle vom Weiss geschrieben sind, erzählt der Komponist Geschichten – inspiriert von oft selbst erlebten Ereignissen oder Eindrücken. Diese kleidet er in einen kammermusikalisch modernen Jazz, der rauh und rabiat oder verhalten und zart zugleich daher kommt. Weiss und seine drei Partner, die …

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Christy Doran´s Sound Fountain – Lift The Bar

Ein Trio, das zaubern kann Von Michael Scheiner „70 und kein bisschen leise“, könnte in Anlehnung an einen geflügelten journalistischen Ausspruch auch auf den Luzerner Gitarristen Christy Doran anwenden, klänge es weniger banal. Bei ihm, dem einstigen Hochschullehrer und Mitbegründer der wieder aufgetauchten legendären Electricjazz-Formation OM, gilt diese Zuschreibung aber keineswegs im übertragenen Sinn – seine Liveauftritte mit seinem Trio Sound Fountain sind dynamisch höchst differenziert, eben auch laut. Mit dem vierten Album verweist Doran  im Tiel auf den prägenden Einfluss John Coltranes, der in der Zeit als er in der Rave Musical Bar in Philadelphia spielte zu seinem ekstatischen Sound fand. Eher ungewohnt ist der Einstieg im Titelstück, das in der musikalischen Diktion an Country erinnert, wie sie im lässig-eleganten Spiel Bill Frisells häufig anklingt. Dorans Denk- und Spielweise ist grooveorientierter, drängender und spürbar physischer, er kreiert mit seinen  fantastischen Mitmusikern eine dichte, hochkomplexe Musik, die ganz unverhohlen mitreißen, wie auch zu vertieftem Nachspüren anregen und mitnehmen kann. Auch wenn die Gitarre häufig im Vordergrund steht, ist das das Ergebnis des herausragenden Zusammenspiels von Doran, dem argentinischen furiosen E-Bassisten Franco Fontanarrosa und dem Schweizer …

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Tasiya & Sammy Lukas mit Folk, Elektronik und Romantik

Kein geringer als Bassist Manfred Bründl, in dessen Band Silentbass Nastja Volokitina mitsingt, hat das erste Album des Duos Tasiya und Sammy Lukas (p) mitproduziert. Aufgenommen haben sie es im polnischen RecPublika Studio. Volokitina, die sich mit Künstlerinnennamen Tasiya nennt, ist in Odessa aufgewachsen, hat am Vladimir Music College studiert und ist später an Musikhochschule Franz Liszt in Weimar gewechselt, um bei Michael Schiefel, Leonid Chizhik und Jeff Cascaro ihr Studium zu vollenden. 2013 gewann sie in Montreux den prestigeträchtigen Wettbewerb für Jazz Voice und 2017 weitere Wettbewerbe in Riga und Polen. Der Titel ist bei diesem Debüt Programm. Aufgeteilt in zwei suitenähnliche Blöcke, die durch einzelne Nummern verbunden sind, beruhen einige der Songs/Kompositionen  auf ukrainischen und russischen Volksliedern, die von Tasiya bearbeitet und neu arrangiert worden sind. Diese Verbindung folkloristischer Motive, Scat, elektronischer Effekte und modernen zeitgenössischen Formen kommt auch in der eigenwillig-wandlungsfähigen Stimme zum Ausdruck. Mit ihr setzt die Sängerin zwischen glockenhellen Rufen, malerischen Glossolalien und perkussiver Stimmakrobatik eine verschwenderische Energie frei. Selbst rituelle Joiks der Samen oder alpenländisches Jodeln scheinen bei ihr anzuklingen. Hämmernde Akkorde vom Klavier, handclapping und eher verhaltene elektronische …

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Lajos Dudas – Preziosen eines Universalisten

„Für mich ist eigentlich der Jazz alles“, sagt der Klarinettist, Komponist und Pädagoge Lajos Dudas in einem Porträtfilm, den ihm seine langjährige Heimatstadt Neuss gewidmet hat. „Für mich ist das Leben Jazz!“ lautet das Fazit des 79-jährigen Künstlers. In Ungarn geboren, machte er sich nach seinem Studium am Bela-Bartok-Konservatorium und an der Franz-Liszt-Musikakademie bereits in den 70ern des letzten Jahrhunderts einen Namen als stilistisch unabhängiger virtuoser Stilist, der sich im Rock- und Popbereich ebenso erfrischend bewegen konnte, wie im Jazz oder im Bereich klassischer Musik von Carl Maria von Weber bis Strawinsky. „Zurück in die Zukunft“, eine programmatische  Ausleihe vom gleichnamigen SF-Films aus den 80ern ist eine Zusammenfassung, ein Rückblick auf die enorm kreativen Jahre 1986 bis 2013. Darunter sind sowohl Livemitschnitte, als auch Studiotakes die bislang überwiegend nie veröffentlicht worden sind. Bis auf Jerome Kerns Klassiker „All the Things You Are“, das er 1998 in Köln mit Kurt Billker (dr), Jochen Büttner (perc) Leonard Jones (b) und seinem langjährigen Partner Phillipp van Endert (g) aufgenommen hat, enthält das Album ausschließlich Originalkompositionen von Dudas und Kollektivimprovisationen. Es sind feine kleine Preziosen, unterschiedlich in Stimmung, Form …

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Lustvoller Tanz ums Goldene Kalb – Uassyn in Regensburg

„Normalerweise spielen wir keine Zugaben“, zeigte sich Vincent Glanzmann verblüfft über den anhaltenden Beifall nach dem Konzert mit seinem Trio Uassyn im Leeren Beutel. „Bei uns klatschen die Zuhörer sonst nicht so viel“, grinste er sichtlich angetan. „Jetzt wissen wir gar nicht …“, überlegte er kurz, „aber uns fällt schon etwas ein, was wir machen können“, und setzte sich wieder auf den Hocker hinterm Schlagzeug. Nach einigen Blicken, mit denen er sich mit seinen Mitmusikern Silvan Jeger am Bass und Tapiwa Svosve am Altsaxofon verständigte, legten die drei mit rhythmischer Prägnanz und vibrierender Energie los. Nur wenige Minuten, dann war der kurze, dichte Ausbruch freier Improvisation vorbei. Das Publikum, zahlenmäßig durchaus überschaubar, zeigte den Schweizern noch einmal, dass man mit komplexer Musik in Ostbayern durchaus reüssieren kann. Hochenergetisch Leichte Kost war es keine, die das Trio mit dem seltsamen, frei erfundenen Namen bei seinem Jazzclub-Debüt bot. Schon die Aufstellung der Musiker auf der Bühne unterschied sich formal deutlich vom üblichen Schema. Statt etwas weiter hinten, saß der Schlagzeuger nahe am Bühnenrand, mit dem Rücken halb zum Publikum gewandt. Jeger und Svosve standen ihm gegenüber und bildeten …

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In den unendlichen Weiten… – CD des Void-Quintets

Strenge Bläsersätze, die an kirchenmusikalische Formen anknüpfen, ein Piano, das sich scheinbar nicht von der Stelle bewegt und in einem Stockwerk hin- und herruckelt. Das mit kosmologischen Begriffen behaftete Album Globular Cluster der steirischen Pianistin und Komponistin Ursula Reicher ist ein ungewöhnliches Debüt. Auf Anhieb hat die in Graz bei Ed Partyka studierende Pianistin mit ihrem Void-Quintet damit einen Wettbewerb des amerikanischen Downbeat-Magazins gewonnen. Bei dessen weltweit größtem Wettbewerb seiner Art hat hat Reicher mit ihrer Band in der Kategorie „Small Jazz Combo“ für eine „Outstandig Performance“ gewonnen. In ihrer Musik verbindet die komponierende Instrumentalistin Jazz und Klassik mit tiefgründigen Texten und wortlosem Gesang. Instrumental setzt sie auf eine in allen musikaischen Sphären seltene Kombination von vier Blechbläsern und Piano. In ihren Kompositionen, die so kryptische Titel wie „Heksebran“ und „Up On My Re Al“ oder „Elevator“ und „Turtles“ tragen, thematisiert sie Überlegungen zum Tod, Sein und Nicht-Sein und den neugierigen Blick über den Tellerrand. Letzteren vor allem praktiziert die 26-Jährige mit ihrer eigenwilligen Musik, in der sich Trauer und Offenheit, Neugierde und Versenkung verfangen und spiegeln. Das Spiegeln funktioniert dabei wie bei Alice im …

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Youn Sun Nah eroberte Regensburger Publikum

Wenn es dem Jazzclub gelingt das Theater am Bismarckplatz mit einer bislang im Gäu noch eher unbekannten Sängerin bis auf wenige Plätze zu füllen, dann hat er einiges goldrichtig gemacht. Nun ist die koreanische Musikerin Youn Sun Nah im internationalen Jazzbusiness alles andere als eine Unbekannte. Immerhin hatte sie sich bereits einen erstklassigen Ruf als Musicaldarstellerin in ihrem Geburtsland Südkorea erworben, als sie vor fast einem Vierteljahrhundert nach Paris ging, um Jazz und französische Chansons zu studieren. Ergänzend besuchte sich ein staatliches Musikinstitut und das Boulanger-Konservatorium. Eine der schönsten Stimmen… Dennoch dauerte es noch einige Touren durch Clubs und die Jazzkeller Frankreichs, bis „eine der schönsten Stimmen des heutigen Jazz“, wie die Tageszeitung Le Figaro die Koreanerin pries, zunehmend auch international wahrgenommen wurde. Zusätzlichen Schub bekam ihre Karriere als Youn Sun Nah einen Exklusivvertrag mit dem ACT-Label schloss, mehrere viel beachtete Alben einspielte und einen BMW Welt Jazz Award – zusätzlich zu ihren vielen anderen Preisen – gewann. Mit ihrem damaligen Duopartner Ulf Wakenius, einem großartigen dänischen Gitarristen, war sie der große Aufreger bei den Jazztagen Ingolstadt. Viel Hall und Weite Ein Gitarrist, Tomek Miernowski, …

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Musikalisch mehrdeutige Schlachtplatte – Erika Stucky in Regensburg

Aus dem Dunkel klopft es laut fordernd – „macht mir Platz, ich komme rein!“ Knarzend stiefelt Erika Stucky im abgedunkelten Saal des Leeren Beutel vorne an der Bühne vorbei zum Garderobenständer, dabei mit einem Schaufelstiel auf dem Steinfußboden trommelnd. Dort angekommen beginnt sie mit tänzerischem Schwung leere Kleiderbügel rauszureißen und hinter sich zu werfen. Ein trotziges Kind, das lustvoll provoziert und sich zugleich von schmerzenden Zwängen befreit. Dabei stößt sie gellende Rufe aus. „Stucky con carne“ nennt die schweizerische Sängerin, Performerin und Multimedia-Künstlerin ihr Programm, mit welchem sie beim Jazzclub im Leeren Beutel gastierte – und dafür begeistert gefeiert wurde. Dabei ist das Thema, welches „die Meisterin im Brechen von Traditionen“ mit Schlagwerker FM Einheit, dem prächtigen Holzbläser Steffen Schorn und dem vielseitigen Ben Jeger am Keyboard und an der Glasharfe inszenierte, keine leichte Kost. Servierte sie doch mit Videos und Klangcollagen, düsteren Lichtstimmungen und szenischen Auftritten, Popsongs und Jodeleinlagen dem Publikum eine latent bedrohliche „Metzgete“, eine Schlachtplatte wie es im Alemannischen heißt, die keineswegs nur Leichtverdauliches enthielt. Papi-Tochter-Programm In diesem Papi-Tochter-Programm, wie Stucky es vorstellt, seinen viele „daddy issues“ enthalten. „Hush little baby, my …

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