Spiritualität aus Schönheit und Dämonie – CD von Carlo Mobelli      

„In The End We All Belong“ – versöhnlich und auf berührende Weise heroisch klingt Carlo Mombellis neues Album „Angels & Demons“ nahezu kammermusikalisch aus. Das warme melodische Thema, vom E-Bass eingeführt, wird vom Piano (Kyle Shephard) übernommen, vom Cello gespiegelt (Susan Mouton), entwickelt sich mit onomatopoetisch eingesetzten Stimmen zu einem andächtigen Gesang von Freude und Trauer zugleich. Der südafrikanische Musiker hat das kleine Stück nach der ersten Begegnung mit seinem lange verschollenen Vater komponiert – mit offenem Ausklang. Ein weiteres ist das zärtliche achtminütige „Athens“, wo er den mittlerweile greisen Vater Angelico Franceso Mombelli nach 36 Jahren wiedergefunden hat. Auf eine weitere tragische Entwicklung in seiner Familie nimmt auch das kurze grelle „Like A Mouse In A Maze“ Bezug, das tatsächlich wirkt, als irre jemand völlig desorientiert herum und finde keinen Ausweg (mehr). Rückwärts laufende Soundschleifen, vokale und perkussive Motive und nächtliche Flügelschläge von Vögeln verdichten sich in „The Spiral Staircase“ zu einem rituell-magischen Klangbild, welches alle möglichen Assoziationen in Gang zu setzen imstande ist. Wie bereits die Vorgängeralben – Stories und I Press My Spine To The Ground – verbindet der Bassist mit seinen …

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Sven Deckers JULI Quartett mit „Lost in Poll“

Von Dietrich Schlegel. Im Sommer 2017 ging auf den Poller Wiesen am Rhein vor den Toren Kölns ein Bumerang verloren und eine Komposition ward geboren: „Lost in Poll“. Kurz darauf sollten noch acht weitere Kompositionen entstehen, in nur vier Tagen, in denen sich Sven Decker in einem Proberaum eingeschlossen „und der Kreativität freien Lauf gelassen hatte“. In diesem Proberaum traf der Kölner Saxophonist, Komponist und Bandleader dann bei Renovierungs- und Aufräumarbeiten drei andere Musiker. Beim Ausprobieren der Akustik in dem neu hergerichteten Raum kam es spontan zu einer gemeinsamen Probe und „schnell war klar, dass wir in dieser Besetzung zusammen arbeiten möchten“. Diese Besetzung – das sind Sven Decker, Tenorsaxophon, Klarinette und Bassklarinette;  Heidi Bayer, Trompete und Flügelhorn; der Bassist  Conrad Noll und der Schlagzeuger Jo Beyer – eine für Deckers musikalische Vorstellungen ideale Crew, mit der er an seine vorherigen Bands wie „Feinkost Decker“ , den Trios „Transparency“ und „Ohne 4 gespielt drei“ sowie zuletzt dem Duo mit der Vokalistin Filippa Gojo („daheim“) anschließen konnte. Zeitgenössischer Jazz mit Free Elementen, Bebop und Hardbop Anklängen und Verästelungen aus den Wurzeln des Blues. Am wichtigsten sind …

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Musikalischer Gang durch die Jahreszeiten – neue CD von Mic Oechsner

Boschs „Garten der Lüste“ darf man bei Mic Oechsners vielseitigem Werk, dem öffentlichen (Klang-)Garten „Giardino pubblico“, nicht erwarten. In diesem akustischen Garten des gebürtigen Münchners mischen sich vielmehr orchestrale Werke mit kammermusikalischen Episoden, fusionartige Klänge mit Modern-Jazz-Kompositionen und groovigem Quartettsound. Die insgesamt 24 Stücke sind entsprechend ihrer Entstehung in einem Zeitraum von fast einem Jahrzehnt sehr unterschiedlich und von Oechsner in einer Art Jahreszeitenzyklus zusammengestellt worden. Eine üppige Natur jazzt in klanglicher Großzügigkeit durch Frühling und Sommer. Stimmen, Geplänkel. Die Rhythmen verlangsamen sich – Herbst, Winter. Dann wieder Leichtigkeit, Flow, der Zyklus beginnt von Neuem. Wahre Gefühle in kleinen Klangsystemen, eingebettet in stimmige Kreisläufe. Da tanzen Geige und Cello (Clemens Samitzer) in entrückender Berauschtheit, „Clemic Emotions“. In der „Kleinen Hirschmusik“ mischen sich die entspannte Gesprächskulisse eines Frühstückstisches mit angedeuteten Brunftrufen, unbestimmten Keyboardsounds, Geige und Schlagzeug (Joe Resl). In der „Scottish Fantasy“ werden die fusionartigen, trunkenen Melodien von folkigen Sackpfeifensounds und sehnsuchtsvollen Klanglandschaften abgelöst. Neue Horizonte öffnen sich auch mit somnambulen Walzermelodien auf dem Akkordeon, mit dem Oechsner ein heiter-seliges „Salute Italia“ im Mehrspurverfahren als Multiinstrumentalist anstimmt. Thematisch geht das auf zwei Cds publizierte Werk mit …

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Jin Jim mit „Weiße Schatten“

Das Alte Pfandhaus in Köln. Pre-Release Konzert für die zweite CD der Band Jin Jim. Der Soundcheck beginnt mit einem wahren Gewitter von Schlagzeug, Kontrabass und E-Gitarre. Wie soll sich da der Flötist Daniel Manrique-Smith als Frontman der Band durchsetzen, fragt sich besorgt der Ohren- und Augenzeuge, der nicht zuletzt wegen dieses Solisten gekommen ist. Doch wie er sich durchsetzt, das zeigt er bald, nachdem die üblichen Abstimmungen mit dem Tontechniker geregelt wurden. Er zeigt es dann ausführlich im Opener des Konzerts, zugleich das erste Stück auch der neuen CD „Weiße Schatten“ der seit vier, fünf Jahren Aufsehen erregenden und in der Tat aufregenden Band „Jin Jim“. Ein wildes Entrée hat der Bassist Ben Tai Trawinski da für sich, den Schlagzeuger Nico Stallmann und den Gitarristen Johann May zusammengerührt. Und oh Wunder, sie sind unüberhörbar, die Flötentöne, Triller, langgezogene Melodiebögen, perkussive Klackgeräusche. Keine Zweifel mehr, Daniels Querflöten können sich behaupten inmitten der dröhnenden Beats des Schlagzeugs, des volltönenden Kontrabass und der flirrenden Gitarrenläufe. Alles in allem ein unverwechselbarer Sound, der mit dieser Konstellation erspielt wird, live im Konzert und atmosphärisch kaum vermindert im Studio. Im …

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Unvergesslich: das Esbjörn Svensson Trio – Live in London jetzt auf CD

Kaum zu glauben – vor zehn Jahren erschütterte die Nachricht vom tragischen, tödlichen Tauchunfall des damals 44-jährigen schwedischen Pianisten Esbjörn Svensson die Jazzwelt. Was wäre wenn … abrupt endete ein kometenhafter Aufstieg, dem anscheinend keine Grenzen gesetzt schienen, bis auf die des realen, eben unvorhersehbaren Lebens. Was Esbjörn Svensson mit seinen Freunden und Weggefährten, dem Bassisten Dan Berglund und Schlagzeuger Magnus Öström seinerzeit anstellten, sprengte jeden Trio-Horizont. Nun erscheint mit „e.s.t. Live In London“ posthum eine DoCD (DoLP), aufgenommen im Barbican Centre, London, im May 2005. Ein echter Glücksfall, dass dieses Konzert mitgeschnitten wurde und nun veröffentlicht wird. In der Tat eine Sternstunde des Trios mit einer wunderbaren Auswahl von Stücken, die sie auf dieser Tour präsentierten. Anders als bei dem 2007 aufgenommenen Album e.s.t. „Live in Hamburg“ wird hier das Repertoire des Albums „Viaticum“ in den Vordergrund gestellt. Bereits nach den ersten Tönen des Openers „Tide Of Trepidation“ stellt sich Gänsehaut ein und spätestens nach „Viaticum“ oder „When God Created The Coffee Break“ gibt es kein Halten mehr. Es ist schwer zu beschreiben, wie intensiv und gleichzeitig „unique“ dieses Trio mit seiner genreübergreifenden Musik …

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CD-Rezension: Amy Denio – The Big Embrace

Verkürzt auf das einprägsame „Tiptons“ tourt die in Seattle ansässige Saxofonistin Amy Denio seit über drei Jahrzehnten mit dem „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ durch die Jazzclubs dieser Welt. Eine gute Basis für seinen kräftig jazzhaltigen, genussvollen Cocktail aus Latin, Balkanbeats, Brasilian, Blues und diversen anderen Einflüssen hat das Saxofonquartett mit Schlagzeug in Europa. Daraus wiederum schöpft Denio, die noch diverse andere Instrumente spielt, singt, Songs schreibt und produziert, für ihre Soloarbeit. Ende letzten Jahres hat sie nach längerer Zeit wieder ein Soloalbum – Die Große Umarmung – mit 16 überwiegend neuen Songs und Kompositionen fertiggestellt. Das melodiöse Titelstück „L`Abbraccione“ ist gewissermaßen Programm, Haltung und Spottlust inbegriffen. Nur mit Stimme, Effekten, einer persischen Tombak für einen einfachen, durchgeschlagenen Rhythmus und der kroatischen Langhalslaute Brač erzeugt die Musikerin eine träumerische, nach vielen Seiten offene folkloristische Stimmung. Instrumentalstücke wie „Prostrate for a Periwinkle“ für Akkordon, Klarinette und Rahmentrommel wechseln mit Songs in Singer-Songwriter-Tradition. Stilistisch weit offen, spielen neben jazzigen und weltmusikalischen Elementen (so unbestimmt und unscharf dieser Begriff auch ist) auch minimalistische Formen, Experimentelles und Improvisation, Collagetechnik und Sampling eine Rolle in Denios faszinierendem und immer …

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CD-Rezension: Pablo Held – Investigations

Seit dem Jahr 2005 existiert das Pablo Held Trio mit Robert Landfermann am Bass und dem Schlagzeuger Jonas Burgwinkel bereits. Bis dato erschienen offiziell neun Alben unter Helds eigenem Namen, davon fünf reine Trioalben in dieser Besetzung (plus eine Aufnahme im Trio mit John Scofield). Nach dem bedauernswerten Ende des Münchner Labels Pirouet, auf dem Pablo Held vorher prominent vertreten war, hat das Trio nun eine neue Heimat in England bei Edition Records gefunden. Die gerade erschienene CD „Investigations“ ist das 10. Album von Pablo Held und erscheint zum 10. Jubiläum des englischen Labels – ein schöner Zufall! So beginnt mit dem neuen Tonträger gleichzeitig auch ein neues Kapitel des Ausnahmetrios. Nach all den Jahren ist die Formation nicht müde geworden, neue musikalische Horizonte auszuloten und zu erkunden. Tradition und Avantgarde geben sich hier die Klinke in die Hand, alle drei Musiker sind ungebrochen mit leidenschaftlicher Energie auf der Suche nach Neuem, und so ist auch „Investigations“ vom ersten bis zum letzten Ton spannungsgeladen und abwechslungsreich. Themen werden kurz angerissen, manchmal fast nur skizziert gespielt, um gleich darauf loszulegen, zu improvisieren und in einen musikalischen …

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CD-Rezension: Tony Tixier – Life of Sensitive Creatures

Klaviermusik kann Vieles: Das Spiel mit Licht und Schatten, mit Schwarz und Weiß, mit filigraner Leichtigkeit und einer imposanten Schwere. Tony Tixier lässt dabei noch das Spiel der Farben zu. Raffiniert spinnen die Töne im Kopf der Zuhörer Geschichten, die mehr sind als eine Schule der Geläufigkeit. Zusammen mit Karl McComas-Reichl am Bass und Tommy Crane an den Drums ist dem jungen Franzosen mit „Life of Sensitive Creatures“ ein Album gelungen, das facettenreich und kreativ von sehr Persönlichem erzählt, das zugleich universell ist. Nie zu melancholisch, nie zu übertrieben fröhlich, erkennt man sich in den Melodien wieder, während der Puls von Bass und Schlagzeug die Songs vorantreibt und so den Plot immer weiterführt. Tixier selbst sagte über sein Trio: „Meine Musik braucht mehr als Solo-Piano, also gestalten MacComas-Reichl und Crane sie, schaffen Raum und bewegen sie in verschiedene Richtungen.“ Seine Begleiter schaffen dem Pianisten aber nicht nur Raum, sondern fangen ihn auf, unterstreichen seine Themen und man hört die langjährige musikalische Freundschaft zu Tixier in jedem Moment ihres Spiels. Bei all ihrer Verschiedenheit gehen die Songs beinahe nahtlos in einander über, und verbinden wechselnde Gefühle …

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CD-Rezension: Boris Bell – Sacred Drums

Hinhör-Musik mit dem Gestus der Weisheit: Boris Bell veröffentlicht seine Solo-Platte »Sacred Drums« auf EJK-Records Schlagzeug-Soli gibt es im Jazz schier unendlich viele. Langspielplatten oder CDs mit ausschließlich solchen Soli, meist aus verschiedenen Aufnahmen zusammengestellt, schon deutlich weniger. Und noch seltener solche, die direkt als Perkussions-Solo-Platten konzipiert sind. Von Klassikern auf diesem Gebiet wie international Max Roach („Solo“, Baystate Records) oder national (mit internationaler Bedeutung) die „Hörmusiken“ von Günter Baby Sommer (Amiga, FMP, nato, Intakt Records) abgesehen haben weitere Perkussionisten auf diesem Gebiet von sich reden gemacht: Kevin Norton mit seiner CD „Quark Bercuse Solo Percussion“ auf FMR Records, die Schlagzeug mit Marimbaphon und Vibraphon verbindet, der spanische Freejazz-Drummer Ramon Lopez, der gern Geräusche verschiedener Utensilien einbezieht, mit seinen beiden Solo-CDs auf Leo Records oder Steve Reid mit „A Drum Story“, einer eher „klassischen“ Jazz-Schlagzeug-Solomusik, auf Altrisuoni Records. Dabei sind die großen, quasi durchkomponierten Solo-Werke der Jazzrock- und Fusion-Schlagzeuger – allen voran Terry Bozzios „Solo Drum Music I und II“ – noch gar nicht erwähnt. Nun Boris Bell. Und auch noch mit Live-Aufnahmen aus einem Kirchenkonzert! Das Fantastische daran: Es ist eine Musik, die Innerlichkeit, …

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CD-Rezension: Joachim Kühn New Trio – Love & Peace

„Love & Peace“, das liest sich wie Hippietum und Happening oder steht für esoterische Erleuchtungsrituale. Zutaten also, die bei vielen Menschen  Abwehr- oder gar Fluchtreaktionen auszulösen imstande sind. „Love & Peace“ steht aber auch für das Festival auf Fehmarn, bei dem Jimi Hendrix seinen letzten Festivalauftritt hatte, und ist – wie so vieles andere – längst zu einem glatt gebügelten Marketingbegriff verkommen. Es ist anzunehmen, dass dem gebürtigen Leipziger Joachim Kühn, der in den wilden 60er Jahren „rübergemacht“ hat, diese Umstände bewusst sind, als er sein neues Album mit eben diesem Begriffspaar überschrieben hat. Hat er, Jahrgang 1944, doch selbst Wurzeln in dieser Zeit, die heute so fern erscheint. Weit weniger fern erscheint dagegen der semantische und erst recht der emotionale Gehalt dieser Phrase – dem heute ein größeres Gewicht zukommt als vor einem halben Jahrhundert. Wohl deshalb überbrückt Kühn den Raum zwischen heute und gestern und stellt – nach dem 2016er Erstling „Beauty & Truth“ – im zweiten Kapitel mit seinem „New Trio“ die überfällige Verbindung her. Eines fällt dabei ganz besonders auf: Kühn klingt wie Kühn, aber gleichzeitig auch anders als gewohnt. Unter …

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