CD-Rezension: Vincent Glanzmann – Gerry Hemingway: Compositon O

Perkussives Soundereignis

Das  Interesse des Schweizer Perkussionisten Vincent Glanzmann gilt insbesondere der Zusammenarbeit mit anderen Perkussionisten.  Beispiel dafür ist seine langjährige Arbeit mit dem in der Schweiz lebenden, New Yorker Schlagzeuger Gerry Hemingway. Das große „O“ mit Unterstrich im Titel des ersten Duo-Albums von Gerry Hemingway und Vincent Glanzmann könnte auf durchaus banale Weise auch als erstauntes und begeistertes „Oh!“ gelesen und umgedeutet werden. Die beiden Perkussionisten, die verschiedenen Generationen angehören, arbeiten seit längerem zusammen und ergänzen sich mit ihren klanglichen Ideen und Äußerungen aufs Trefflichste.

Dabei verschwindet der Alters- und vermutbare Erfahrungsunterschied gänzlich hinter rollenden Klangwellen, dröhnendem Blech und subtilsten Zirpen und Klingeln. Es ist ein sechsteiliger Tanz auf Becken und Tom, Perkussionsinstrumenten und Harmonika, gekoppelt mit feiner Singstimme und halluzinogener elektronischer Verstärkung. Subtile Klangspielereien wie von Glaskugeln bringen die proletarische Schufterei metallener Rhythmen aus dem Tritt und lassen sie ermattet am Rand der Hörbarkeit niedersinken, bevor sie in einem Tumult blecherner Aufgeregtheit und kreischender Rechthaberei kulminieren. Übergangslos findet man sich zwischen kuhglockenartigem Gebimmel und sisyphosschem Soundgeschiebe wieder.  Schaben, kratzen, schnarren und wischen, es tut sich ein buddhistisch lächelndes Gewebe aus Geräuschen, Klängen und scheinbar zufälligen Tönen auf, das verwirrt, zugleich aber auch unaufhaltsam in Bann zieht.

Glanzmann beschreibt „Composition O“ als „fortwährend sich entwickelnde elektro-akustische Komposition für Perkussion und Mikrophone“, deren zentrales Charakteristikum das Einbeziehen ständiger Entwicklung und Veränderbarkeit sei. Mit der Mikrophonierung ihres Instrumentariums, teils auch im händischen Prozess machen die Klangkünstler mikroakustische Klangbereiche für die Ohren zugänglich und bauen dies mit in die musikalische Gestaltung ein. Damit und mit ihren eigenwilligen Spieltechniken schaffen sie eine fantastische musikalische Klanglandschaft, die ständig neue Eindrücke hervorbringt. Vieles haben andere Schlagzeuger und Musiker in der einen oder anderen Weise ebenfalls schon entwickelt und auf ihre Weise geformt. Glanzmann und Hemingway  spannen viele solcher Formen und Ausdrucksweisen zusammen und kreieren daraus in eigener Herangehensweise ein sensibles, zwischen Stille und Lärm, Dunkel und Licht changierendes musikalisches Soundereignis, das überrascht, erschrickt, belustigt und nicht zuletzt aufweckt und hellwach macht.

Vincent Glanzmann – Cymbals, Floor Tom, Percussion, Controlled Amplification
Gerry Hemingway – Cymbals, Percussion, Harmonica, Voice, Controlled Amplification

Vincent Glanzmann – Gerry Hemingway, Composition O, 2020, Fundacja Słuchaj! [Listen! Foundation] FSR03 2020, Order: www.sluchaj.org oder fsrecords.net

Das Titelbild zeigt das Cover der CD Composition O.

Autor: Michael Scheiner

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