Frida mit Freedom of Flight

Von Stefan Pieper. Wie sehr ein Sängerinnentrio ohne weitere Harmonieinstrumente einer kraftvoll aufspielenden Rhythmusgruppe Paroli bietet, das demonstriert die Band Frida auf ihrem beeindruckenden Debutalbum „Freedom of Flight“ – aber es geht noch viel mehr. Frida agiert im Kollektiv: Mascha Corman, Sara Decker und Julia Ehninger schreiben und komponieren Songs, arrangieren Material aus unterschiedlichen Quellen und gebrauchen ihre Stimmen lyrisch und instrumental. Weit weg erscheinen traditionsbehaftete Jazzschablonen. Genau dies macht den Weg frei für unberechenbare Interaktionen, nicht selten ein aufregendes „Call and Response“ zwischen den drei Sängerinnen und dem Bassisten Conrad Noll und Schlagzeuger Jeroen Truyen. Ebenso ist jede vokale Geste, jede Silbe und Betonung einer maximalen Klarheit in Ausdruck und Darstellung geschuldet. „Baby one more time“ Frida zeigt zum Einstieg einem einschlägigen Popmusik-Klassiker, wo der Hammer hängt: „Baby one more time“ – eigentlich von Britney Spears bekannt gemacht, entfaltet allein schon aus dem mehrstimmig gesungenen Sprachrhythmus der Titelzeile heraus so viel unverbrauchten, frischen Groove, dass die daraus folgende hinreißende Melodielinie allein dadurch in Fahrt kommt. Aber es wird fragiler und geht zunehmend ans Eingemachte auf dieser verschlungenen vokal-instrumentalen Reise: Ätherische Klangbilder zwischen Bass-Flagoletts und …

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CD-Rezension: Vincent Glanzmann – Gerry Hemingway: Compositon O

Perkussives Soundereignis Das  Interesse des Schweizer Perkussionisten Vincent Glanzmann gilt insbesondere der Zusammenarbeit mit anderen Perkussionisten.  Beispiel dafür ist seine langjährige Arbeit mit dem in der Schweiz lebenden, New Yorker Schlagzeuger Gerry Hemingway. Das große „O“ mit Unterstrich im Titel des ersten Duo-Albums von Gerry Hemingway und Vincent Glanzmann könnte auf durchaus banale Weise auch als erstauntes und begeistertes „Oh!“ gelesen und umgedeutet werden. Die beiden Perkussionisten, die verschiedenen Generationen angehören, arbeiten seit längerem zusammen und ergänzen sich mit ihren klanglichen Ideen und Äußerungen aufs Trefflichste. Dabei verschwindet der Alters- und vermutbare Erfahrungsunterschied gänzlich hinter rollenden Klangwellen, dröhnendem Blech und subtilsten Zirpen und Klingeln. Es ist ein sechsteiliger Tanz auf Becken und Tom, Perkussionsinstrumenten und Harmonika, gekoppelt mit feiner Singstimme und halluzinogener elektronischer Verstärkung. Subtile Klangspielereien wie von Glaskugeln bringen die proletarische Schufterei metallener Rhythmen aus dem Tritt und lassen sie ermattet am Rand der Hörbarkeit niedersinken, bevor sie in einem Tumult blecherner Aufgeregtheit und kreischender Rechthaberei kulminieren. Übergangslos findet man sich zwischen kuhglockenartigem Gebimmel und sisyphosschem Soundgeschiebe wieder.  Schaben, kratzen, schnarren und wischen, es tut sich ein buddhistisch lächelndes Gewebe aus Geräuschen, Klängen und …

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Art Blakey & The Jazz Messenger – Neuerscheinung

Jazzfans aufgemerkt! Es gibt sie wirklich noch von Zeit zu Zeit: musikalische Zufallsfunde und Entdeckungen. So auch hier bei Art Blakey & The Jazz Messengers mit dem 1959 aufgenommenen, bis dato komplett unveröffentlichten Blue Note Album „Just Coolin‘“. Eine zudem äußerst interessante Besetzung, die leider nur kurzzeitig existierte, mit Tenorsaxophonist und Messengers-Gründungsmitglied Hank Mobley, Lee Morgan an der Trompete, Pianist Bobby Timmons und dem Bassisten Jymie Merritt. Die Session fand statt am 8. März 1959 unter Rudy van Gelder in seinem legendären Hackensack Studio. „Just Coolin‘“ ist quasi der Blue Note Jazz-Messengers „Missing Link“ zwischen Herbst 1958 und Frühjahr 1959. Also nach dem legendären Album „Moanin‘“ mit Benny Golson und noch vor den umwerfenden Live Aufnahmen vom April 1959 „At The Jazz Corner Of The World“, das fünf Wochen nach „Just Coolin‘“ aufgenommen wurde. Warum diese Aufnahmen bisher unveröffentlicht geblieben sind lässt sich nur vermuten, in den offiziellen Blakey-Diskografien sind sie bisher als „Blue Note rejected“ aufgeführt. Wahrscheinlich hat man sich seinerzeit im Nachgang entschieden, die Studioaufnahmen, nach der erfolgreichen Veröffentlichung des Live-Albums, in den Archiven zu lassen – bis heute. Ein echter Glücksfall, dass dieses …

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Hilde: Klangbiotope zwischen Abstraktion und Schönheit

Von Stefan Pieper. Schwingende Saiten, Luftströme und Stimmbänder sind in der Band „Hilde“ unmittelbar miteinander konfrontiert, was auf der Debut-CD dieses mutigen Quartetts für ein Hörerlebnis sorgt, das ins Innerste vordringt. Die Fähigkeiten dieser vier Musikerinnen, allesamt Mitglieder des „The Dorf/Umland“-Kollektivs, sind spektakulär und vereinen sich hier zum gemeinsamen Abenteuer in Sachen musikalischer Freiheit. Emily Wittbrodt, Cello und Julia Brüssel, Violine halten bei der Behandlung ihrer Streichinstrumente mit ihren Erfahrungen nicht hinterm Berg. In herausfordernden Interaktionen, aber auch in radikaler solistischer Improvisation blühen Elemente aus klassischer Moderne, Neuer Musik, zuweilen auch orientalischen Spieltechnik auf – und wirken hier im Dienst einer frei wuchernden Fantasie. Als andere, starke Komponente kommen sich flexibel eingesetzte Geräuscheffekte, mikrotonale Linien, perkussive Aktionen der Posaunistin Maria Trautmann und die immense Ausdruckspalette der Sängerin/Vokalistin Marie Daniels verblüffend nah. Letztere sprengt mit ihrer stimmlichen Variabilität, ihrem Tonumfang und ihrer Experimentierlust ohnehin alle Grenzen – von abstrakter Vokalartistik bis zu tief geerdetem Bluesgesang reicht ihre treffsicher eingesetzte Skala. Und wo andere vielleicht versucht wären, all dies eitel aufzutürmen, wissen diese kreativen Musikerinnen aus Köln und Essen bestechend gut, was sie damit wollen und tun. …

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Lajos Dudas – Preziosen eines Universalisten

„Für mich ist eigentlich der Jazz alles“, sagt der Klarinettist, Komponist und Pädagoge Lajos Dudas in einem Porträtfilm, den ihm seine langjährige Heimatstadt Neuss gewidmet hat. „Für mich ist das Leben Jazz!“ lautet das Fazit des 79-jährigen Künstlers. In Ungarn geboren, machte er sich nach seinem Studium am Bela-Bartok-Konservatorium und an der Franz-Liszt-Musikakademie bereits in den 70ern des letzten Jahrhunderts einen Namen als stilistisch unabhängiger virtuoser Stilist, der sich im Rock- und Popbereich ebenso erfrischend bewegen konnte, wie im Jazz oder im Bereich klassischer Musik von Carl Maria von Weber bis Strawinsky. „Zurück in die Zukunft“, eine programmatische  Ausleihe vom gleichnamigen SF-Films aus den 80ern ist eine Zusammenfassung, ein Rückblick auf die enorm kreativen Jahre 1986 bis 2013. Darunter sind sowohl Livemitschnitte, als auch Studiotakes die bislang überwiegend nie veröffentlicht worden sind. Bis auf Jerome Kerns Klassiker „All the Things You Are“, das er 1998 in Köln mit Kurt Billker (dr), Jochen Büttner (perc) Leonard Jones (b) und seinem langjährigen Partner Phillipp van Endert (g) aufgenommen hat, enthält das Album ausschließlich Originalkompositionen von Dudas und Kollektivimprovisationen. Es sind feine kleine Preziosen, unterschiedlich in Stimmung, Form …

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Reifezeugnis: „Der weise Panda“

Von Stefan Pieper. Wenn eine CD-Veröffentlichung keinen speziellen Titel trägt, sondern sich unmittelbar nach der Band nennt, kann dies ein Statement sein – vor allem, wenn es sich nicht um eine Debut-Veröffentlichung handelt. Für die Kölner Band „Der Weise Panda“ um die Sängerin Maika Küster trifft dies umso mehr zu, da hier, fünf Jahre nach der Bandgründung (die auf Anhieb einen Sparda-Jazz-Award folgen ließ) ein Reifezeugnis mit großer Ausstrahlung vorliegt. Dieser Beleg für kreativ gelebte Weiterentwicklung braucht kaum mehr als 30 Minuten, in denen alles gesagt ist und nichts fehlt. Maika Küster und ihre Bandmitglieder können Songs schreiben – und wie! Diese bilden einen durchgängigen Fluss, schmiegen sich balladenhaft an, trumpfen manchmal rockig auf und bleiben auch in vielen überraschenden melodischen Wendungen immer intuitiv und unangestrengt, wenn. Maika Küsters Stimme ist mal zerbrechlich-melancholisch, dann aber auch energetisch-druckvoll, hat auch immer irgendwie den Blues, ist auf jeden Fall mitten drin in den emotionalen Zuständen, die das jeweilige Stück gerade abbildet. Die Lyrics, die sich zuweilen auch cooler spoken word-Ästhetik entfalten, tun ihr übriges mit ihrer zuweilen rätselhaften Metaphorik. Das allein ist aber noch nichts ohne den …

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In den unendlichen Weiten… – CD des Void-Quintets

Strenge Bläsersätze, die an kirchenmusikalische Formen anknüpfen, ein Piano, das sich scheinbar nicht von der Stelle bewegt und in einem Stockwerk hin- und herruckelt. Das mit kosmologischen Begriffen behaftete Album Globular Cluster der steirischen Pianistin und Komponistin Ursula Reicher ist ein ungewöhnliches Debüt. Auf Anhieb hat die in Graz bei Ed Partyka studierende Pianistin mit ihrem Void-Quintet damit einen Wettbewerb des amerikanischen Downbeat-Magazins gewonnen. Bei dessen weltweit größtem Wettbewerb seiner Art hat hat Reicher mit ihrer Band in der Kategorie „Small Jazz Combo“ für eine „Outstandig Performance“ gewonnen. In ihrer Musik verbindet die komponierende Instrumentalistin Jazz und Klassik mit tiefgründigen Texten und wortlosem Gesang. Instrumental setzt sie auf eine in allen musikaischen Sphären seltene Kombination von vier Blechbläsern und Piano. In ihren Kompositionen, die so kryptische Titel wie „Heksebran“ und „Up On My Re Al“ oder „Elevator“ und „Turtles“ tragen, thematisiert sie Überlegungen zum Tod, Sein und Nicht-Sein und den neugierigen Blick über den Tellerrand. Letzteren vor allem praktiziert die 26-Jährige mit ihrer eigenwilligen Musik, in der sich Trauer und Offenheit, Neugierde und Versenkung verfangen und spiegeln. Das Spiegeln funktioniert dabei wie bei Alice im …

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Frischer Mix aus Afro-Cuban-Fusion-Jazz mit Mario Alberto Silva

Geboren in San Francisco, wuchs der Trompeter, Komponist und Pädagoge Mario Alberto Silva in einer Latino Community auf. Aus jedem Fenster in der Nachbarschaft plärrte Latin music, aus Straßenschlitten dröhnte Rap und während des Carnival vibrierte die Atmosphäre vom Klang der Sambarhythmen. Schon auf der HighSchool spielte Silva in der Schulband und war fest entschlossen die Leidenschaft zum Beruf zu machen. Mittlerweile blickt er auf über zwanzig Jahre Erfahrung als Musiker in verschiedenen Bands zurück – und legt mit der Pan-American Sonata sein Debutalbum als Leader vor. Es enthält einen erfrischenden Mix aus unterschiedlichen Einflüssen, Stilen und Inspirationen. Lebenslust und gute Laune Insgesamt acht Songs, darunter zwei des famosen kubanischen Pianisten Chuchito Valdes, die eines gemeinsam haben: Sie machen Laune, versprühen Lebenslust und kümmern sich einen Dreck um Gestern oder Morgen. Hier und jetzt animieren sie prallem Charme zum Hüfte schwingen, Tanzen und dazu das Dasein in vollen Zügen zu genießen. Da prallt 80er Jahre Funk auf kniffeligen Dixieland-Blues, afro-kubanische Trommelrhythmen auf Fusion, Pop- und Afro-Jazz. Allerdings ist Silva, der sich für die Aufnahmen Valdes (p, synth, fender rhodes), Aaron Germain (bass), Josh Jones (dr, …

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CD-Rezension: Vier Meister im Studio in Budapest

Graupe, Ceccaldi, Lillinger, Ceccaldi: »qÖÖlp«, BMC Records CD 257 Für ein Meisterwerk müssen stets mehrere Faktoren zusammenkommen; nur gute Ideen genügen ebenso wenig wie allein gute Musiker. Beides ist hier ohne jeden Zweifel der Fall. Aber es muss – für das Entstehen einer exzellenten CD – auch jemanden geben, der zur rechten Zeit am rechten Ort ist, die Qualitäten erkennt und sich beharrlich darum kümmert, dass am Ende ein faszinierendes Produkt vorliegt. Das war im Falle dieses außergewöhnlichen Quartetts (und in schier zahllosen weiteren Fällen) György Wallner vom Budapest Music Center, der die Jungs hörte und sofort für die Einspielung ihres ersten Studioalbums nach Budapest einlud. Das Ergebnis ist atemberaubend. Die Musik wirkt wie eine pulsierende, zuckende, explodierende und vergehende Klangstruktur, deren einzelne, netzwerkartig miteinander verknüpfte Elemente aufblitzen, überraschen, zusammenfallen, Impulse weitergeben und verglühen. Wer schon einmal bewusst auf dem Bauch liegend in das Strudeln, Wirbeln, Mäandern, Zischen, Spritzen eines schnell fließenden Bergbachs geschaut hat, dabei sowohl quirlende Steinchen am Bachboden, das aufgeregte Knicksen der Wasseramseln als auch die Schatten und die Spiegelbilder umherwirbelnder Blätter wahrgenommen hat, alles gleichzeitig und alles gleichzeitig nacheinander, weiß, wie …

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CD-Rezension: Polyjazz mit Hans Lüdemanns TransEuropeExpress

Hans Lüdemann TransEuropExpress, „Polyjazz“ BMC Records CD 246 Ich will mal keine Namen nennen. Aber es gibt eben Pianisten/Komponisten, die einer unter den Freejazz-Hörern bekannten Tradition folgen, zu deren Ausprägung sie selbst auch beigetragen haben: die Tradition des expressiven, intuitiven, formal meist ausufernden freien Spiels, mit dem der Pianist seine innere, psychische Befindlichkeit, seine kreativen Anspannungen ebenso wie seine individuallyrischen Vorstellungen per Tastenkaskaden und instant composing nach außen bringt, hämmert, glöckelt … Zweifellos haben diese Musiker die Kunst des Freejazz-Pianos zur Blüte gebracht und sind weder aus der Jazzgeschichte noch aus der Jazzgegenwart wegzudenken. Aber da wäre zu denken, sehr bemerkenswert, der Umgekehrt (würde Tucholsky sinngemäß sagen …). Pianisten/Komponisten, denen es nicht, oder besser: nur sehr vermittelt darum geht, ihr eigenes Ich spannungsgeprägt nach außen zu spiegeln, sondern vor allem darum, mit ihren eigenen Mitteln (und denen der Mitspieler) Musikstücke zu gestalten, die einer sich stets wandelnden Struktur von Melodien, Rhythmen und Harmonien folgen. Nicht instant composing, sondern Balance zwischen vorher gestalteten Elementen und eingeflochtenen Improvisationen. Zu diesen brillanten Pianisten/Komponisten gehört Hans Lüdemann, in seiner Art vielleicht der am meisten beeindruckende in Deutschland. Nach jahrelanger …

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