Gypsy-Klassiker und Manouche-Feeling im Regensburger Leeren Beutel

Gelegentlich erlebe er es heute noch, erzählt Pianist Jermaine Landsberger nach seinem Konzert im Jazzclub Leerer Beutel, dass Besucher begeistert klatschen, ihn außerhalb des Clubs aber keines Blickes mehr würdigen. Der in der Oberpfalz aufgewachsene Musiker ist ein Sinto und hat als Schulkind einiges an Diskriminierung und Herabwürdigung bis hin zu Schlägen erleben müssen. Die Entschuldigung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gegenüber den Sinti und Roma für die anhaltende Stigmatisierung im Nachkriegsdeutschland hat bei Landsberger eine Fülle von Erinnerungen ausgelöst. Zuvörderst die an seine Groß- und Urgroßeltern, die mit einem großen Teil der Familien in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet worden sind. Einem Großvater gelang zweimal die Flucht aus einem Todeslager. Ihm verdankt er sein Dasein als untypischer Musiker. Untypisch deshalb, weil sich Landsberger im Unterschied zu vielen Kollegen und Musikerinnen wie Dotschy Reinhardt immer mit dem Modernjazz identifiziert und keine Gypsy- oder Swingmusik gemacht hat. Dennoch hat er auch die Verbindung zu anderen Sintimusikern wie den Gitarristen Bireli Lagrene gesucht, mit dem „ich 1995 oder `96 einen meiner ersten Auftritte hier beim Jazzclub gespielt habe“, erzählt Landsberger mit spürbarer Begeisterung. Bereits damals war der Münchner Schlagzeuger …

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Neun Tage Kemptener Jazzfrühling 2022

Konzerte des als Streaming-Festival veranstalteten 36. Jazzfrühling 2021, z. B. von Bill Frisell, LBT, Kinga Glyk und Camille Bertault lassen sich noch auf YouTube finden. Der 37. Kemptener Jazzfrühling konnte nun an neun Tagen fast im normalen Rahmen und vor allem wieder vor echtem Publikum stattfinden. Das war allerdings noch etwas zurückhaltend, sodass ausgerechnet Theo Croker, einer der Stars des aktuellen schwarzen Jazz aus den USA, das Stadttheater mit seinem ambitionierten Programm „BLK2LIFE – A Future Past“, bei weitem nicht füllen konnte. Hoffentlich nahmen die Weggebliebenen nicht das provokante Rap-Manifest Crokers „Jazz is dead“ vorweg. Ein jazzmusikalischer Glanzpunkt wurde sein einfallsreiches, breit gefächertes Programm zwischen Bebop, Sun Ra und Rap trotzdem. Explizit politisch setzte sich der Modernist darin mit dem Schwarzsein in den USA in Vergangenheit und Zukunft auseinander. Als Trompeter, Sänger und Rapper eher zurückhaltend, gab er während des zweistündigen Konzerts ohne Pause seinen Mitmusikern an Piano, Electronics, Bass und Schlagzeug viel Raum zur kraftvollen Ausgestaltung seiner dynamischen Musik. Passend zur teilweise etwas versponnenen anmutenden, psychodelisch angehauchten Philosophie des lässigen, coolen 36-jährigen Enkels des Trompeters Doc Cheatham begleitete Visual Art- und Sound-Designer D’Leau die …

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+++Britischer Pianist Ashly Henry mit erweitertem Trio beim BMW Welt Jazz Award 2022+++Anat Fort und Giovanni Guidi bestreiten das Finale im Juli+++

Das sechste Konzert des BMW Welt Jazz Award 2022 spielte vorgestern der Pianist Ashley Henry mit seinem Ensemble. Die letzte Soiree der Competition bestritt damit der jüngste Teilnehmer vor vollem Haus. Der 30-jährige Londoner Pianist schloss erst 2016 sein Studium an der Royal Academy of Music ab. Freilich eilte ihm da schon der Ruf eines Ausnahmetalents voraus, sodass er noch im selben Jahr mit Stars wie Terence Blanchard oder Jean Toussaint arbeiten durfte und als bislang Jüngster zum International Piano Trio Festival eingeladen wurde, um mit Robert Glasper aufzutreten. Henrys Kompositionen bewegten sich an frühen Fusion-und Souljazz-Mustern der Sechzigerjahre entlang, stellenweise um ein paar Verweise auf Reggae-Beats ergänzt. Er bevorzugte harten,  dynamische Extremkontraste, außerdem wortreich formulierte Botschaften der Liebe, Freude und Wokeness. +++Aktuelle Meldung: +++Anat Fort und Giovanni Guidi bestreiten das Finale+++ Nach sechs einzigartigen Soireen geht der BMW Welt Jazz Award 2022 am 9. Juli in die finale Runde. Dabei treten das Anat Fort Trio und das Giovanni Guidi Quintet an und zeigen ihre Interpretation des diesjährigen Mottos „Key Position“ im Auditorium der BMW Welt. Dies gab heute die BMW Group Kulturkommunikation nach der …

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Freude am transatlantischen Ahnenwerk: Richie Beirach & Gregor Hübner in der Unterfahrt

Der Bart ist ab. „Corona ist durch“, meint Gregor Hübner mit hoffnungsvollem Unterton, ein guter Augenblick also, um auch optisch ein Zeichen zu setzen. Überhaupt ginge es gerade wieder richtig los. „Ich bin jetzt quasi dreißig Tage auf Tournee“, meint der Geiger, Komponist und Professor an der Münchner Hochschule, „mit verschiedenen Projekten und das ist fantastisch. Aber ich muss mich erst einmal wieder daran gewöhnen“. Und er wird gefordert. Denn im Jazzclub Unterfahrt stand er am 21. April im Duo mit Richie Beirach auf der Bühne. Seit rund einem Vierteljahrhundert arbeiten der Violinist aus Stuttgart und der Pianist aus Brooklyn bereits zusammen. Sie kennen sich musikalisch gut und das heißt auch, dass sie sich musikalisch einiges gegenseitig zumuten. Beide sind außerdem nicht nur improvisatorisch brillant, sondern graben sich gerne in Oeuvres klassischer Komponisten ein, um deren Ideenwelten aus der Perspektive zeitgenössischer Offenheit zu interpretieren. So gehören nicht nur Standards des großen amerikanischen Liederbuchs und eigene Stücke zum Programm, sondern auch ein Beethoven oder ein Bartók, die als motivisches Ausgangsmaterial fungieren. Beirach und Hübner haben ihren Spaß am Ahnenwerk, zeigen in den Widmungen ihre Ehrfurcht vor …

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Das Marco Mezquida Trio beim BMW Welt Jazz Award 2022 „Key Position“

Das fünfte Konzert des BMW Welt Jazz Awards spielt das Marco Mezquida Trio in der BMW Welt. Der Pianist Marco Mezquida gilt als wichtiger Vertreter der aktuellen spanischen Jazzszene. Der aus Menorca stammende Künstler konnte mit seinem Trio mit Martín Meléndez am Cello und Aleix Tobias an Schlagzeug und Percussion das Publikum mitreißen. Eine aktuelle Konzertkritik finden Sie unter www.nmz.de

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Der Pianist Giovanni Guidi und sein Quintett beim BMW Welt Jazz Award 2022

Gestern, am Dienstag den 12. April, zeigte das Giovanni Guidi Quintet sein Können im Doppelkegel der BMW Welt. Pianist Guidi hatte Teile seines aktuellen Programms „Avec le temps“ mit dabei, für das er sein Trio mit dem aus Chicago stammenden Bassisten Joe Rehmer und dem portugiesischen Schlagzeuger João Lobo um zwei prominente italienische Jazz-Größen aufgestockt hat: mit dem Tenorsaxophonisten Francesco Bearzatti und dem Gitarristen Roberto Cecchetto. Die fünf zeigten italienisch angehauchtes Powerplay von der ersten bis zur letzten Sekunde. Das reichte vom beschwingt-föhlichen Calypso bis zur eindringlichen Interpretation des Antikriegslieds überhaupt, „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“ von Bob Dylan. Das nächste Wettbewerbskonzert im Doppelkegel der BMW Welt bestreitet der spanische Pianist Marco Mezquida mit seinem Trio am Dienstagabend, den 19. Aptril 2022.

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Jacob Karlzon Trio beim BMW Welt Jazz Award

Der 2010 in seiner Heimat Schweden als Jazz-Musiker des Jahres ausgezeichnete Pianist Jacob Karlzon macht schon immer Musik für den inneren Film. In der BMW Welt spielte er zusamen mit  Morten Ramsbøl am Bass und Rasmus Kihlberg am Schlagzeug am 22. März das 2. Konzert des diesjährigen BMW Welt Jazz Awards mit 5 weiteren Teilnehmerbands. Den Zuhörern im Doppelkegel präsentierte Karlzon keine Kurzfilme, sondern großes Kino: Er hängte die Stücke übergangslos aneinander und ließ derart eine ausladende Jazzsuite entstehen, die mittels stupender Technik und tiefer Empfindung seinerseits bei den Zuhörern große Emotionen weckte. Ungebremste schwedische Spielfreude konnte Thomas J. Krebs auf seinen Schwarzweiß-Bildern festhalten.                               Weiter mit dem Wettbewerb geht es am 5. April 2022: Da spielt die israelische Pianistin Anat Fort mit ihrem Trio. Die Pianistin Fort gehört zu der Riege israelischer, in New York groß gewordener Musiker, die den aktuellen Jazz wesentlich mitprägen. Sie selbst lebt inzwischen wieder in Israel, was ihrer weltweiten Beachtung keinen Abbruch getan hat. Seit über 20 Jahren spielt sie mit dem Bassisten Gary Wang …

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Julia Hülsmann Trio eröffnet die 12. Konzert-Competition BMW Welt Jazz Award

Mit viel Liebe zum motivischen Detail eröffnete das Julia Hülsmann Trio die neue Runde des BMW-Welt Jazz Award. Nach der Corona-Zwangspause wollte man 2022 befreit wieder neustarten, die aktuelle politische Lage sorgte allerdings für eine entsprechend gedämpfte Stimmung bei allen Teilnehmern. Das Konzert war gut besucht, die berühmte Schlange vor dem Einlass zum Doppelkegel hatte sich dieses Mal (noch) nicht gebildet. Aber der Wettbewerb 2022 ist noch jung. BMW-Vorständin Ilka Horstmeier hatte sicher nicht geplant, bei ihrer Begrüßungsrede zur 12. Ausgabe der Münchener Konzertserie auf das humanitäre Engagement des Konzerns hinzuweisen zu müssen. Eine Million Euro hatte die BMW Group bereits nach der ersten Kriegswoche an eine ukrainische Hilfsorgansation gespendet. Julia Hülsmann war zur Competition der Pianistinnen und Pianisten unter dem Motto „Key Position“ mit ihrem Trio angereist. Mit Marc Muellbauer am Kontrabass und Heinrich Köbberling am Schlagzeug verbindet sie eine zwei Jahrzehnte dauernde künstlerische Zusammenarbeit. Von Routine war da aber nichts zu spüren, eher von einem gemeinsam atmenden Klangorganismus, dessen drei Musikerpersönlickeiten sich blind aufeinander verlassen konnten, insbesondere auch dann, wenn mal ein neues und noch wenig geprobtes Stück auf dem Programm stand. Hülsmann …

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Zwei, die sich inspirieren: Siyou’n’Hell

Zwischen funky Grooves, afrikanischen Traditionals und Songs von existentieller Tragweite bewegte sich das Duo Siyou’n’Hell kürzlich im Jazzclub Leer Beutel in Regensburg.  Kein Konzert, welches aktuell stattfindet, geht ohne wenigstens einen kleinen seelischen Striptease über die Bühne des Leeren Beutels. „Nach so vielen Wochen, Monaten der Abstinenz ist es etwas ganz Besonderes“, wandte sich Sängerin Siyou Isabelle Ngnoubamdjum ans Publikum, „hier zu sein.“ Es sei für sie ungewohnt und gleichzeitig sehr vertraut – letzteres hörte man dem Spiel, der Musik des Duo Siyou’n’Hell auch an. Vom ersten zarten Ton an, in den nach einigen Takten Hellmut Hattler auf seinem E-Bass einstimmt, ist diese starke künstlerisch-emotionale Verbundenheit zwischen den beiden spürbar. „Motherless Child“, ein Spiritual mit dem der afroamerikanische Folksänger Ritchie Havens beim legendären Woodstock-Festival bekannt wurde, machte den Auftakt zu einem Abend mit stürmischen Grooves und ebenso ruhigen, innigen Momenten. Überraschungen hielten die beiden Musiker manchmal eher untereinander parat, wenn Hattler seine Duopartnerin unerwartet Haken auf dem Bass schlug und sie daraufhin in herzhaftes Lachen verfiel. Der Spaß und die Freude vor realen und nicht nur zahlenmäßigen Zuhörern bei einem Online-Konzert zu spielen übertrug sich …

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