Mehr Frauen, mehr Europa: Der Jazzclub Regensburg meldet sich mit einem stilistisch vielseitigen und regional geprägten Programm zurück

Weiblich, europäisch, jung. Es sind Merkmale, die wie ein gesellschaftliches oder politisches Statement erscheinen. Tatsächlich vermitteln sie einen ersten Eindruck vom Herbstprogramm des Jazzclub Regensburg. Von den bislang rund 15 Konzerten, die bis Dezember den Leeren Beutel mit cool swingenden und soulig heißen Klängen füllen, wird fast die Hälfte von Musikerinnen geleitet oder mitbestimmt. Mit den großartigen Stimmen von TokTokTok, der Sängerin Tokunbo und Malia (22. November) sind darunter gleich zwei Künstlerinnen, die es geschafft haben, ein eigenes künstlerisches Profil zu entwickeln und damit ein breites Publikum ansprechen. Mit Bassistin Eva Kruse (11. Oktober) und den beiden Saxophonistinnen Nicole Johänntgen (23. Oktober) und Stephanie Lottermoser (29. November) gehören dazu auch ausgezeichnete Instrumentalistinnen. Denn, um niemanden etwas vorzumachen, noch immer sind es vorwiegend Stimmen, Sängerinnen wie Steffie Denk und die Britin Zoe Francis, die das weibliche Bild im Jazz prägen. Der starke europäische Akzent wird durch Themen wie das Tribute-Konzert für Stevie Wonder (27. September) und amerikanische Musiker in mehreren Bands ein wenig relativiert, ist aber dennoch deutlich sichtbar. Den Einstieg ins Herbstprogramm hat der Jazzclub bereits erfolgreich geschafft, kommende Woche setzt er es mit dem …

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Multikulturelle Atmosphäre: das Bayerische Jazzweekend 2018

Ein Streifzug von Michael Scheiner (Text und Fotos) – Je genauer man hinschaut, desto länger wird die Küste eines Landes. Dieses Phänomen wendet das europäische Kollektiv „Coastline Paradox 5“ um die beiden Bläser Richard Köster (tp) und Damian Dalla Torre (ts, bcl) in einer Mischung aus langen Spannungsbögen und subtilen, intuitiven Nahaufnahmen an. Im Arkadenhof entfalteten die fünf Musiker ihre musikalische Landschaften zwischen zarten, versponnenen Unisono-Linien, repetitiven Pianomotiven, sirrenden Sounds und klaren kraftvollen Attacken, die manchmal wie Warnsignale wirkten. Je näher man da mit den Ohren ranrückte, desto gehaltvoller und ergiebiger wurde das Erlebnis – und entfaltete von einer fast meditativen Ruhe, über versteckten Witz, bis zu unheimlichen Momenten und märchenhaft-romantischen Stimmungen ein faszinierendes Klangpanorama. Vom Quartett, mit dem sie vor zwei Jahren zu hören war, ist Nathalie Elwoods Projekt auf ein Duo mit dem Pianisten Josef Reßle geschrumpft. Im lüftungverrauschten Degginger präsentierte die Münchner Sängerin eigene Songs, wie das nachdenklich „Many Moons Ago“, und eigens arrangierte moderne Jazzsongs. Atemberaubend wie die beiden durch verzwickte Wendungen ihrer ungemein spritzigen Version von Chick Coreas „Spain“ rasen, das Publikum rast begeistert mit. Was Stimmumfang, die Fähigkeit federleicht …

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Grooves aus Röntgenbildern und Poesie: Rim Bannas letztes Werk

Zwei Tage vor seinem Tod ist David Bowies Album „Blackstar“ erschienen. Es wurde als finale Inszenierung des Mannes „der vom Himmel fiel“ empfunden, der selbst zum Kunstwerk geworden war, als sein künstlerisches Vermächtnis. Die heuer im März verstorbene Sängerin Rim Banna hat die Veröffentlichung ihres letzten Albums nicht mehr erlebt. Wie der Popstar hat die 51-jährige Musikerin bis zuletzt an ihren Texten und der Musik gearbeitet. Sie hat sich ihre künstlerische Integrität bewahrt und die Fäden in der Hand behalten. „Voice of Resistance“ ist somit ebenfalls zum Vermächtnis geworden, ein kraftvolles und trotziges Zeichen sich angesichts eines vorhersehbaren Todes nicht unterkriegen zu lassen. Zugleich ist es aber auch ein phänomenales musikalisches Statement. Auf höchst vitale und faszinierende Weise verbindet es elektronische Sounds und komplexe Beats mit akustischem Pianojazz, Poesie und „Datensonifikation“ zu mitreißenden clubtauglichen Grooves. Der Widerstand, die „Resistance“, geht bei diesem letzten Album weit über eine politische Haltung hinaus, wie sie lebenslang zu der Aktivistin gehört hat. 2009 war bei Rim Banna eine Krebserkrankung diagnostiziert worden. Sechs Jahre später setzte eine langsame Lähmung der Stimmbänder ein, da arbeitete sie gerade an ihrem 13. Album …

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Thomas Quasthoff – Nice’n’Easy: Futter für entspannte Stunden

Man muss seine großartige Winterreise von Schubert nicht unbedingt kennen, um seine Riesenstimme und Fähigkeiten Gefühle auszuloten zu schätzen. Vor sechs Jahren, als der Sänger mit dem superben Bassbariton angekündigt hatte, sich von klassischen Konzertbetrieb zurückzuziehen, war die Betroffenheit groß. Danach war Thomas Quasthoff zwar weiterhin live zu erleben, allerdings nurmehr als Schauspieler und Kabarettist, wo er sein humoristisches Talent ausleben konnte, und als Jazzsänger. Im Unterschied zu anderen klassischen Sängern, die in ein fachfremdes Genre hineinschmecken, um ein größeres Publikum oder zusätzliche Quellen zu erschließen, stand bei dem heute 58-Jährigen der Jazz am Anfang seiner beispiellosen Karriere. Angetriggert von seinem Bruder, „habe ich immer Jazz gesungen. Es war durchweg Teil meines musikalischen Lebens“, sagt Quasthoff selbst. Nach acht langen Jahren hat Thomas Quasthoff vergangenes Jahr ein neues Jazzalbum aufgenommen. Gestern wurde das nach Frank Sinatras gleichnamigen Album von 1960 betitelte „Nice`n´Easy“ veröffentlicht. Nach diversen Platten mit kleinen Bands ist es Quasthoffs erste Produktion mit einer Bigband. Für den Berliner, der an der Hanns-Eisler-Musikhochschule auch Gesang unterrichtet, ist damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Knapp ein Dutzend Jazzstandards und Musicalklassiker hat er mit …

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Finnische Klangwelt von Oddarang im Leeren Beutel in Regensburg

Finnischer Frauenschwarm am Cello Mehr als drei Reihen vor der Bühne voll besetzt mit jungen Frauen und Mädchen. Auf einige Besucher des Jazzclubs im Leeren Beutel wirkte das so irritierend, dass sie sich fragten, ob sie beim richtigen Konzert gelandet waren. Der Blick auf die abgedunkelte Bühne mit mehreren Keyboardpults, Schlagzeug und an die Säule gelehnte E-Gitarre schien dann doch vertraut. Und als Clubchef Winnie Freisleben mit begeisterter Stimme den Auftritt der finnischen Band „Oddarang“ ankündigte, waren Zweifel vorerst beseitigt. Zentnerschwere, mächtige Sounds füllten den Raum und verbreiteten eine Stimmung zwischen epischer Wucht und sakraler Erhabenheit. Wie Signale aus einer fernen Welt hallten vereinzelt helle Schläge von Olavi Louhivuoris Drumset durch diese Klangwälle und ließen aufhorchen. Louhivuoris präzises und vielgestaltiges Spiel bildete so etwas wie den Nucleus der elegischen Klangwelt zwischen Ambient, Rock, Folk- und Jazzeinflüssen. Aus der E-Gitarre Lasse Sakara flatterten sirrende und zirpende Töne und gaben zu verstehen, dass es noch etwas anderes als Düsternis und Schwere in dieser Musik gibt. Nach einem Wechsel von Schlagzeuger Louhivuori ans Keyboard folgte ein Triopart mit Posaunist Ilmari Pohjola und Osmo Ikonen am Cello. Dieser brachte …

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Energiebündel China Moses überzeugt mit funky Jazzsoul im Stadttheater Regensburg

Von der Bühne in die Bar – Die in Paris lebende Sängerin China Moses brachte das Publikum im Theater Regensburg mit Souljazz, Funk und erotischen Balladen zum tanzen. Wer sich schütteln muss, wenn er etwas von „Powerfrau“ oder noch schlimmer „Powerfrauen“ hört, war bei China Moses goldrichtig. Der Auftritt der Sängerin mit ihrer Band im Theater Regensburg war die „pure Energie!“ Mit dieser Einschätzung unter einem Videoausschnitt auf Facebook war die Autorin nicht lange allein. „Super“ mit riesigem Ausrufezeichen und „das Konzert war der Hammer“ lauten weitere Kommentare. Ähnlich enthusiastische Äußerungen waren auch direkt nach dem Konzert in den Gängen und Foyers des prunkvollen Hauses am Regensburger Bismarckplatz zu hören, quer durch alle Altersgruppen. Tatsächlich waren es wenige Minuten, in denen Moses auf der Bühne nicht in Bewegung war. Da saß sie neben dem Flügel auf einem Barhocker und interpretierte mit rauhem Gefühl ruhige Balladen. Aber selbst da hielt es die quirlige Frau nur solange aus, wie sie selbst sang. Beim ersten Solo eines Bandmitglieds stand sie bereits wieder auf den Beinen und wippte oder tanzte im Takt einer coolen Improvisation. Und von denen gab …

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Konzertkritik: das Elliot Galvin Trio im Leeren Beutel

Eine gehörige Portion Enthusiasmus und künstlerischer Ehrgeiz. Abgesehen von Musikalität und technischer Brillanz, sind das die Eigenschaften die das britische Elliot Galvin Trio nach Regensburg geführt haben müssen. Zwischen London, wo sie öfter auftreten, Manchester und Paris, dort gastieren sie demnächst, war der Leere Beutel der einzige Auftrittsort in ganz Deutschland. Und der Jazzclub hat mit den, auf dem Kontinent noch unbekannten, jungen Musikern eine gute Nase für Talente bewiesen. Das Konzert, schwach besucht zwar, offenbarte ein frisches, unkonventionelles und ungemein vielseitiges Trio. Das braucht dann auch weder Vergleiche mit anderen Jungstars wie Michael Wollny oder Lorenz Kellhuber zu scheuen, noch gründelt es in flachen Gewässern wie manche angesehene Jazztrios. Seit den Erfolgen von Trios wie E.S.T. oder von Brad Mehldau gehört diese Besetzung wieder zu den beliebtesten im Jazz und stellt entsprechend große Anforderungen an junge Musiker. Der 27-jährige Elliot Galvin wurde bereits während des Studiums am renommierten Trinity College of Music mit Django Bates verglichen, einem der wichtigsten Masterminds des zeitgenössischen englischen Jazz. Mit ihm hat der blitzsaubere Pianist und Komponist einen gewissen Hang zum Eklektizismus gemeinsam. Dieser macht weder vor klassischen Bezügen, …

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CD-Rezension: Amy Denio – The Big Embrace

Verkürzt auf das einprägsame „Tiptons“ tourt die in Seattle ansässige Saxofonistin Amy Denio seit über drei Jahrzehnten mit dem „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ durch die Jazzclubs dieser Welt. Eine gute Basis für seinen kräftig jazzhaltigen, genussvollen Cocktail aus Latin, Balkanbeats, Brasilian, Blues und diversen anderen Einflüssen hat das Saxofonquartett mit Schlagzeug in Europa. Daraus wiederum schöpft Denio, die noch diverse andere Instrumente spielt, singt, Songs schreibt und produziert, für ihre Soloarbeit. Ende letzten Jahres hat sie nach längerer Zeit wieder ein Soloalbum – Die Große Umarmung – mit 16 überwiegend neuen Songs und Kompositionen fertiggestellt. Das melodiöse Titelstück „L`Abbraccione“ ist gewissermaßen Programm, Haltung und Spottlust inbegriffen. Nur mit Stimme, Effekten, einer persischen Tombak für einen einfachen, durchgeschlagenen Rhythmus und der kroatischen Langhalslaute Brač erzeugt die Musikerin eine träumerische, nach vielen Seiten offene folkloristische Stimmung. Instrumentalstücke wie „Prostrate for a Periwinkle“ für Akkordon, Klarinette und Rahmentrommel wechseln mit Songs in Singer-Songwriter-Tradition. Stilistisch weit offen, spielen neben jazzigen und weltmusikalischen Elementen (so unbestimmt und unscharf dieser Begriff auch ist) auch minimalistische Formen, Experimentelles und Improvisation, Collagetechnik und Sampling eine Rolle in Denios faszinierendem und immer …

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„Tiptons“ widmen Song dem Präsidenten

„Humans in tiny lower case“, Menschen in winzigen Verhältnissen, ist ein bissig-vergnügter Song mit nachdenklich stimmendem Kern. Die menschliche Hybris und Beschränktheit gegenüber der Größe des Universum sollte „uns kleine dummen Menschen“ etwas bescheidener machen, singen die „Tiptons“ bei ihrem Auftritt im Leeren Beutel. Die vier Musikerinnen widmen den Song ganz explizit ihrem eigenen, „dem amerikanischen Präsidenten“. Es ist nicht die einzige – musikalische – Frechheit, die das singende und blasende Saxophonquartett mit lustvollem Vergnügen und hinreißender Leidenschaft aus dem Hut eines zehn CDs umfassendes Œuvres zieht. Neben engagierten Songs, in denen sie mit Witz und Scharfsinn Stellung beziehen, stecken darin Walzer und Reggaerhythmen. Aber auch überschäumende italienische Melodik und knackiges, vierstimmiges Jazzgebläse, leichtfüßige Latinstücke, Soulfunk und handfester Blues beinhaltet ihre Musik. Vervollständigt wird die Band durch den österreichischen Schlagzeuger Robert Kainer, der es lächelnd aushält, wenn er als Quotenmann bezeichnet wird. Beim ersten Jazzclub-Konzert vor einem Vierteljahrhundert war noch ein anderer Drummer mit dabei. Damals nannten sich die Saxophonistinnen, die sich an ihr Regensburgdebüt gut erinnern konnten, noch „The Billy Tipton Memorial Saxophone Quartet“ nach einer Musikerin, die in den 40er Jahren nur als …

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„Fränkisches Weißbrot“ Wolfgang Haffner lobt Regensburg

In der Muppets-Show sitzt „Das Tier“ am Schlagzeug und drischt mit wilder Lust und leidenschaftlicher Energie auf die Felle und Becken seines Drumsets ein. Selbiges passiert auch bei Wolfgang Haffner, wie bei seinem heftig umjubelten Auftritt am Wochenende im Leeren Beutel zu erleben war. Haffner trägt zwar keinen ungezähmten Bart und sein hoch differenziertes Spiel lebt auch nicht allein von purer Energie und emotionaler Kraft. Der 52-jährige Schlagzeuger aus Franken gehört heute zu den erfahrensten und vielseitigsten Musiker weltweit. In seinem delikaten Spiel stecken sowohl die eruptive Energie des entflammten Meisters, als auch die feinsten Klangzaubereien eines Ziseleurs der Besen und Stöcke. Dennoch hat ihm einer der Musiker seines Quartetts beinahe die Show gestohlen, zumindest bildlich gesehen. Der aus Darmstadt stammende Vibraphonist Christopher Dell macht äußerlich den Eindruck eines einfachen Beamten in der Kfz-Zulassungsstelle und entwickelte in seinem fulminanten Solospiel eine musikalische Ekstase und einen flirrenden Ideenreichtum wie sie jedem Minister mehr als gut anstehen würden. Gleich anfänglich im eher gemächlichen „Hippie“ brillierte er mit einem Solo, dass manchem begeisterten Zuhörer im voll besetzten Saal der Mund offen stehen blieb. Nach einem kurzen Break wechselte …

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