Multikulturelle Atmosphäre: das Bayerische Jazzweekend 2018

Ein Streifzug von Michael Scheiner (Text und Fotos) – Je genauer man hinschaut, desto länger wird die Küste eines Landes. Dieses Phänomen wendet das europäische Kollektiv „Coastline Paradox 5“ um die beiden Bläser Richard Köster (tp) und Damian Dalla Torre (ts, bcl) in einer Mischung aus langen Spannungsbögen und subtilen, intuitiven Nahaufnahmen an. Im Arkadenhof entfalteten die fünf Musiker ihre musikalische Landschaften zwischen zarten, versponnenen Unisono-Linien, repetitiven Pianomotiven, sirrenden Sounds und klaren kraftvollen Attacken, die manchmal wie Warnsignale wirkten. Je näher man da mit den Ohren ranrückte, desto gehaltvoller und ergiebiger wurde das Erlebnis – und entfaltete von einer fast meditativen Ruhe, über versteckten Witz, bis zu unheimlichen Momenten und märchenhaft-romantischen Stimmungen ein faszinierendes Klangpanorama.

Vom Quartett, mit dem sie vor zwei Jahren zu hören war, ist Nathalie Elwoods Projekt auf ein Duo mit dem Pianisten Josef Reßle geschrumpft. Im lüftungverrauschten Degginger präsentierte die Münchner Sängerin eigene Songs, wie das nachdenklich „Many Moons Ago“, und eigens arrangierte moderne Jazzsongs. Atemberaubend wie die beiden durch verzwickte Wendungen ihrer ungemein spritzigen Version von Chick Coreas „Spain“ rasen, das Publikum rast begeistert mit. Was Stimmumfang, die Fähigkeit federleicht lautmalerisch zu improvisieren und das Ausloten feinster Stimmungen und Nuancen angeht, reichen Elwood aktuell wohl nur wenige andere Sängerinnen das Wasser. Woran es ihr mangelt, ist ein wenig mehr Charisma. Das kann auch Reßle mit seinem packenden Spiel nicht ganz ausgleichen.

An den türkischen Drummer Okay Temiz mit seiner – vor 40 Jahren – außergewöhnlichen Mixtur aus orientalischen Rhythmen und Instrumenten mit Jazz und Fusion erinnerte der bejubelte Auftritt des Augsburger Sextetts „Harrycane Orchestra“. Mit ihrer „Arabic Jazz Affair“ gelang es der multikulturellen Truppe das Publikum am Haidplatz fast vollständig auf seine Seite zu ziehen. Bewegend der von türkischer Melodik getragene Gesang von Tarkan Yesil und die melancholisch-schönen Stimmungen, die Bläser Kay Fischer (sax, fl, cl) und Cümbüş-Spieler Joe Aykut über einem vielfältigen Rhythmusgeflecht entfalteten.

Frisch, jung und einnehmend klingt Sängerin Olga Dudkova, wenn sie mit eigenen Songs und neu arrangierten Standards bestens unterhält. Mit ihrem flotten Männer-Trio ließ sie am Kohlenmarkt keinen unberührt. Schnellspieler – auf seiner Gibson – Schnellraucher und Schnellsprecher, das ist der Wiener Harr Stojka. Er mischte mit seiner eigenwillig-eruptiven Musik und Lesung von Anekdoten aus einem zigeunerischen Musikerleben im Degginger ordentlich auf. Ein erfrischendes und herrlich unangepasstes Vergnügen! Sehr viel straighter und äußerlich kontrollierter das junge Quartett des Lokalmatadoren und Wahl-New-Yorkers Tobias Meinhart, der am Bismarckplatz die Zuhörer mit seinem cool-heißen Sound zu begeisterten Ausrufen animierte. Trotz leichten Nieselregens

 

„Schönster Mann des Festivals“ hörte man allenthalben bei den Auftritt des Kölners Gitarristen Rouzbeh Asgarian raunen. Allerdings spielt er auch höllisch gut Gitarre und setzte mit persisch-geprägter Fusionmusik eigene Akzente. Zudem liebt er Bayern sehr, denn „jedesmal wenn ich hier bin, ist es wunderschön, die Menschen sind entspannt“. Er scheint`s auch, denn er hat seine Tasche mit den Hausschlüsseln im Hotel vergessen hat. Sie werden ihm nachgeschickt.

 

Vlad Cojocaru: Moldawien hat er wegen des Studiums gen Westen verlassen. Heute spielt er keltische Musik, Tango und Jazz auf dem Akkordeon und reißt regelmäßig die Zuhörer vom Hocker. Vom Auftritt im „Amore, Vino & Amici“ mit Sängerin Tuija Komi ging es schnurstracks nach Augsburg zum nächsten Gig. Im kleinen Hof des alten Gemäuers war für ihn „das optimal passende Ambiente mit einer besonderen Atmosphäre“. Regensburg ist für ihn „noch unerforscht“, deshalb hofft er bald wieder hier spielen zu können.

Um Neues zu lernen, ist Franziska Eberl eigens in die Staaten gereist, um an einem Workshop der „New York Voices“ mitzumachen, die sie bewundert. Da steckt wahre Leidenschaft dahinter. Und das hört man auch, wenn man die begeisterungsfähige 23-jährige Standards und eigene Songs singen hört. Mit dem Auftritt beim Jazzweekend ist für die  Lehramts-Studentinein Traum in Erfüllung gegangen, sie war jahrelang dabei, als der Papa mit seiner Band hier gespielt hat.

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