Abschied mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen: Chefdirigent Michael Abene verlässt die WDR Big Band

Von Dietrich Schlegel. „Tomorrow Is Just Another Tomorrow“ – der heitere Gelassenheit ausdrückende Titel dieser Ballade, die Michael Abene eigens für sein Abschiedskonzert als Chefdirigent der WDR Big Band geschrieben hat, klingt wie das Lebensmotto dieses Meisters des großochestralen Jazz. Als 2003 Zeit in die Dienste einer – wie er bald feststellte – „der besten Big Bands überhaupt“ eintrat, hatte er nie damit gerechnet, dass sein Vertrag so oft verlängert wurde, dass am Ende, wie er jetzt belustigt gern wiederholte, die krumme Zahl „eleven plus“ stand. Und noch immer hat er nicht genug von diesen „wonderful musicians, great soloists and the ensemble band on such a quite high level“. Am 26. September wird er ein Konzert mit John Abercrombie leiten. Und er hofft, auch später noch ein-, zweimal pro Jahr als Gastdirigent nach Köln – „the city is great“ – eingeladen zu werden, zumal es für amerikanische Verhältnisse nur einen Katzensprung ist hinunter nach Graz, wo er seit 2011 am KUG Jazz Institut eine Professur innehat und mit seiner Frau und Managerin Gretchen eine Wohnung besitzt. Am 2. Juli, sechs Tage nach seinem Abschiedskonzert im …

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Der „Jazz Pott“ 2014 geht an Georg Graewe

Essen. Zum Auftakt jeder neuen „Jazz in Essen“-Saison wird traditionell der „Jazz Pott“ verliehen. In diesem Jahr geht der Preis, der von Viktor Seroneit (†) und Niklaus Troxler initiiert wurde und mit dem seit 1998 unter dem Motto „best progressive artist“ innovative Jazzmusiker ausgezeichnet werden, an Georg Graewe. Womit sich nun auch ein Kreis schließt, denn Graewe gehörte zu den Geburtshelfern von „Jazz in Essen“: Im Duo mit Theo Jörgensmann eröffnete er 1984 die Konzertreihe, als Support von Steps Ahead. Da hatte der Pianist/Kompo­nist aus Bochum sich längst mit einem Quintett sowie mit seinem GrubenKlangOrchester einen Namen gemacht. Heute ist Graewe eine feste Größe in der internationalen Improvisations­szene, außerdem komponiert er Kammer-/Orchestermusik und Opern. Für die Kulturhauptstadt RUHR.2010 entwarf er das ambitionierte Projekt „grubenklang.reloaded“, das mehrere Konzertreihen und Einzelkonzerte an wechselnden Spielorten umfasste. Mit dem Cellisten Ernst Reijseger und dem Schlagzeuger Gerry Hemingway bildet Graewe seit 25 Jahren ein unorthodox besetztes Trio, das zu den aufregendsten der Jazzlandschaft gehört. Derzeit ist es auf Jubiläumstour und erntete beim Auftakt im Rahmen der Nickelsdorfer „Konfrontationen“ bereits enthusiastische Kritiken: „Den musikalischen Höhepunkt der 20 Konzerte lieferte das Trio …

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Das gibt’s nur einmal: das Birdland Neuburg

Jazzclubs gibt es einige in Deutschland, vor allem natürlich in den mittleren und den Großstädten. Warum ist einer der berühmtesten und angesehensten dann mitten in der bayerischen Provinz, im kleinen Barockstädtchen Neuburg an der Donau angesiedelt? – Alles begann bereits im Jahr 1958, als der spätere Gründer der Jazzwoche Burghausen, Helmut Viertel eine Ausbildung zum Gerichtsvollzieher in Neuburg machte. Er hatte interessante Jazzplatten, die damals noch schwer erhältlich waren und hörte sie zusammen mit Manfred Rehm. Aus Liebe zum Jazz gründeten sie den Club, der aber erst ab 1985 richtig auf Kurs gelangte. Viertel war inzwischen nach Burghausen versetzt worden, und Rehm veranstaltete in verschiedenen Gaststätten regelmäßig Konzerte. 1991 zog man in die jetzigen Räumlichkeiten, ein Kellergewölbe unter der Hofapotheke: ein Ambiente, das Seinesgleichen in Deutschland und Europa sucht. Sponsor Fritz von Philipp erklärt sich den Erfolg folgendermaßen: „Ich merk’s immer an der Reaktion der Musiker, die sind so etwas gar nicht mehr gewöhnt. Hier ist der Club super, das Publikum super und das Umfeld bestens. Die Gastronomie steht nicht im Vordergrund, nichts klappert, man kann sich auf die Musik konzentrieren. Das ist phantastisch.“ (Text …

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Vadim Neselovsky (p) und Arkady Shilkloper (Horn). Foto: Hans Kumpf

Harmonie zwischen einem Russen und einem Ukrainer

Ende Juni nahm der Hornist Arkady Shilkloper (geboren 1956 in Moskau) mit dem Pianisten Vadim Neselovskyi (geboren 1977 in Odessa) in Ludwigsburg die erste gemeinsame CD auf. Das Eigenlabel der dortigen Bauer Studios wird die mit „Krai“ (Land) betitelte Scheibe Anfang Oktober auf den Markt bringen. Hans Kumpf sprach am 25. Juni mit den aus Russland und der Ukraine stammenden Musikern. Hans Kumpf: Arkady, 1980 habe ich Dich erstmals gehört, als Du im Orchestergraben vom Moskauer Bolschoi-Theater in der Oper „Boris Godunow” von Modest Mussorgski mit Deinem Waldhorn gespielt hast. Gesehen und gesprochen habe ich Dich dann Mitte der 80er Jahre bei der Jazz Jamboree in Warschau. Mittlerweile trafen wir uns bei vielen Festivals – und Du bist sogar nach Deutschland umgezogen. Wann? Arkady Shilkloper: 2003. Zunächst war ich in Wuppertal, seit November 2011 wohne ich in Berlin. Hans Kumpf: Wie oft bist Du noch in Russland? Arkady Shilkloper: Sehr oft! In den letzten beiden Jahren habe ich mehr Konzerte in Russland gehabt. Nicht nur In Moskau, sondern auch in Jekaterinburg, Irkutsk, Ufa, Omsk Nicht nur Jazz, sondern auch mit Kammerorchester. Aber ich hoffe mit …

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Jilman Zilman live. Foto: Ralf Dombrowksi

LAG-Jazzpreis: Jilman Zilman im Herbst auf Bayerntour

Im Herbst kann „Jilman Zilman“, die Band des Augsburger Schlagzeugers Tilman Herpichböhm, den LAG-Jazzpreis einlösen, den sie Mitte des Jahres beim Hansjürg Hensler Wettbewerb in Kempten gewonnen hat. Der Preis ist eine Tour durch bayerische Jazzclubs, die von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Jazz in Bayern e.V. organisiert worden ist. Vom 30. September bis 5. Oktober spielt das Quartett sechs Konzerte von Garmisch-Partenkirchen bis Nürnberg, von Regensburg bis ins Allgäu. Im kommenden Frühjahr schließen sich noch einmal etwa gleich viele an. „Es ist waaahnsinnig toll“, begeistert sich Herpichböhm für den Preis, „weil einem unendlich viel Arbeit erspart wird.“ Damit sei für eine Band, die sonst immer alles organisieren müsse, „viel mehr gewonnen, als wenn du zehntausend Euro kriegst – und darfst dann doch wieder alles selbst machen“. Die Formation um Schlagzeuger und Komponist Tilman Herpichböhm fand sich 2010 in Nürnberg zusammen. Sie begannzunächst als Spezialist für John Zorns Quartett Masada, feierteihr Cd-Debut im Frühjahr 2012 und wurde 2013 für den neuen deutschen Jazzpreisnominiert. Über die Jahre entwickelt Jilman Zilman eine energetische Mischung aus orientalisch-klezmeresken Melodien, virtuos vorgetragener kompositorischer Einfachheit und treibend-tänzelnden Rhythmen, welche die unersättliche Spielfreude der …

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Quartett aus Augsburg gewinnt ersten LAG-Jazzpreis

Erstmals ist im Rahmen des Kemptener Jazzfrühlings – der heuer zum 30. Mal stattgefunden hat – der Hansjürg Hensler Wettbewerb durchgeführt worden. Für das Finale im Stadttheater vom Kempten waren vier Bands aus einem Bewerberkreis von 20 Jazzensembles ausgewählt worden. Nach einer spannenden Konzertsession, an der sich jede Finalisten-Band 30 Minuten lang vorstellen konnte, hat das Quartett „Jilman Zilman“ des Augsburger Schlagzeugers Tilman Herpichböhm den LAG-Jazzpreis gewonnen. Der von der Landesarbeitsgemeinschaft Jazz in Bayern e.V. (LAG Jazz) ausgelobte Preis umfasst eine komplett fertig organisierte Tournee durch Jazzclubs und kleinere Konzertsäle Bayerns im Herbst. Ermöglicht haben die Tour Mitglieder der LAG Jazz in Bayern mit ihrem tollen Netzwerk. Den zweiten und dritten Preis, 1500 und 1000 Euro, erspielten sich das Quartett des 21-jährigen Jan Prax aus Nürnberg und das „Henrika Entzian Quartett“ um Bassistin Henrika Entzian. Das viertplazierte junge Klaviertrio „Boert“ kehrte ohne Preis nach Hause. Zu den wenigen, strikt eingehaltenen Bedingungen für den Wettbewerb gehörten eine Altersgrenze (30 Jahre) und die Herkunft mindestens eines der Mitglieder jeder Band aus Bayern. Nicht zu beneiden war die Jury für ihre Aufgabe. „Wir haben lange und heftig diskutiert. …

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Joachim Kühn 2014 web (c) Juan Martin Koch

Joachim Kühn: Porträt und Auftritt im Leeren Beutel

Unten stehendes Portrait von Ssirus W. Pakazd erschien zuerst in der Printausgabe 2-14. Am 15. April gastierte Joachim Kühn im Leeren Beutel in Regensburg. Juan Martin Koch fotografierte. In Trance: Joachim Kühn feierte seinen 70. Geburtstag – von Ssirus W. Pakzad: Seinen 70. Geburtstag hat Joachim Kühn in einem Berliner Studio verbracht – mit seinem Lieblings-Tontechniker, dem Sound-Magier Walter Quintus und ohne die feste Absicht etwas zu schaffen, was später unbedingt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss. „Ich werde einfach spielen, wozu ich gerade Lust habe und an nichts anderes denken“, sagte der legendäre Pianist ein paar Monate vor seinem Ehrentag.“ Er zuckt kurz mit den Schultern, als das runde Wiegenfest im Gespräch gestreift wird. „Man nullt mal wieder. Und man ahnt, dass die Hälfte der Lebenszeit überschritten ist.“ Einem Schmunzeln folgt eine Pause, dann ein fast unhörbarer Seufzer. „Man weiß, dass vermutlich die letzte Dekade angebrochen ist.“ Da klang schon ein bisschen Wehmut durch. Andererseits besitzt der immer noch mit jungenhaftem Charme gesegnete Joachim Kühn die gleichen Gene wie sein Klarinette spielender Bruder Rolf, der mit 84 noch erstaunlich vital und schaffensfroh ist – …

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Improvisation über Improvisation #1

Der Wecker klingelt wie gestellt. Der Taxifahrer klingelt wie bestellt. Auch der Zug, der mich zum Flughafen bringt, ist auf die Minute pünktlich. Abfertigung reibungslos, Flug ohne Turbulenzen. Ankunft um 14:48. Raus aus der Schalterhalle, rein ins alltägliche Chaos. Lautes Stimmengewirr, ich verstehe kein Wort. Stau. Enge. Ein Paradies für Huptonforscher. Theoretisch gilt Rechtsverkehr; praktisch gilt links wie rechts das Recht des Schnelleren. War das gerade ein Geisterfahrer? Ach so, normal. Beißender Benzingeruch. Überlandfahrt.Autos,Minibusse,hoffnungslosüberladeneLastwagen,Fahrradtaxis,Pferdefuhrwerke,Fußgänger-allegleichzeitigundkreuzundquer.FünfköpfigeFamilieaufeinemMoped.Stau.Hupkonzert. AmStraßenrandbaumelnnackteKälberohneKopf.ImDrecknebenanliegteintoterHund. UnfertigesHausnebenunfertigemHaus.BrennendesPlastik.Smog.Staub. WowollendieLeutedennallehin? W ü s t e . Hoteloase. Balkon mit Flussblick. Endlich: ein wenig Ruhe. Zeit für diese Zeilen. Es funktioniert ja alles, irgendwie. Nur ganz anders als bei uns. Die Menschen winken uns zu, heißen uns mit herzlichem Blick willkommen, sind auf untertänige Weise höflich. „Die Ausländer haben ihre Sandwiches bei mir gekauft“, ruft der Verkäufer stolz über den ganzen Platz. Ich schäme mich. Was will ich denn? Eigentlich am liebsten keine bevorzugte Behandlung. Aber ich bin auch gewöhnt an „Leben light“, an reibungslose Abläufe und sichere Häfen. Von meinem vermeintlich hohen westlichen Ross ist der vermeintliche Boden kaum zu erkennen. Traue ich mir den Absprung zu? Hätte …

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Jazz Prekär? Zu einer Tagung

Aus der aktuellen Printausgabe der JazzZeitung (auch digital erhältlich unter diesem Link): ein Artikel von Jonas Pirzer (UDJ) – Zur Tagung der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Evangelischen Akademie Loccum war die Union Deutscher Jazzmusiker eingeladen, um über Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker zu berichten. Das etwas provokante Motto der Tagung lautete: Kreatives Prekariat – Wie lebt es sich von und mit der Kunst. Prekariat, heute Teil des Alltagsvokabulars und so selbstverständlich leicht von den Lippen gehend wie Mittelstandsbauch, Pendlerpauschale oder Krimkrise bietet eine politisch korrekte Begriffsalternative zur hochwertenden „Unterschicht“. Ihm zugerechnet werden Menschen, deren sämtliche Lebensumstände als schlecht bezeichnet werden können; charakterisiert durch Armut, Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, Krankheit und/oder schlechte Zukunftsaussichten. Was ist also Kreatives Prekariat? Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind hochgebildet, hochproduktiv und hochmotiviert! Prekär sind hier in erster Linie die ökonomischen Umstände. Unterdurchschnittliche Vergütung, lockere, Konjunkturschwankungen unterliegende Arbeitsverhältnisse und damit verbundene Unsicherheiten kennzeichnen die soziale Lage im Jazz wie in allen überwiegend freien Künstlerberufen. Feste künstlerische Stellen gibt es nur sehr wenige. Das Berufsbild Jazzmusiker ist heute extrem vielschichtig, die Anforderungen vielfältig. Einkünfte werden in der Regel in vier großen …

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Wo sind nur die Frauen im Jazz?

Die JazzZeitung, Ausgabe 2-14 ist gedruckt. Im Anschluss das Editorial der Redaktionsleiterin Ursula Gaisa zum Thema „Frauen im Jazz“. Weiterhin finden Sie unter anderem im neuen Heft: Portraits – Joachim Kühn 70, auf dem Titel Mike Herting auf Afrika-Tournee mit dem BuJazzO, German Jazz Trophy für Chris Barber, Andreas Schaerer und seine Projekte, Kathrin Pechlofs Imaginarium, Christiane Hagedorns Rose Hip, Iiro Rantala, GLM-Jubiläum auf Gut Sonnenhausen, Konzerte in den Bauer Studios; Berichte – Women in Jazz Hall, Neuer deutscher Jazzpreis Mannheim, BuJazzo-Arbeitsphase, WDR Jazzfest mit Rebekka Bakken, Vibraphonissimo Nürnberg, neue Festivalhalle für Moers… Liebe Leserinnen, liebe Leser, in seinem Bericht zur 53. Arbeitsphase des BuJazzO schreibt Reiner Kobe auf S. 19 dieser Ausgabe: „Die zu 80 Prozent neu formierte Band, komplett männlich besetzt, brachten die Gastdirigenten Alexander von Schlippenbach und Manfred Schoof auf Vordermann.“ Dieser Satz bestätigt wieder einmal, dass meine Frage nach den Frauen im Jazz wohl wirklich seine Berechtigung hat. Das fängt schon an bei den Medien: Ebenfalls 80 bis 90 Prozent meiner geschätzten Kollegen sind auch wirklich Kollegen, nicht Kolleginnen. Nachdenklich wurde ich auch bei meiner Suche nach den „Newcomern des Monats“, …

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