Die Frische der spontanen Begegnung beim Winterjazz im Kölner Stadtgarten

„Wenn man Festivals komponiert, dann ist es ganz wichtig, den jeweiligen Abend ganz zu überdenken“ beschrieb der Schweizer Schlagzeuger Lucas Niggli das Qualitätsmerkmal für ein gutes Live-Erlebnis. Als er vor einigen Jahren eingeladen worden war, etwas zusammen mit der „unfassbar innovativen eigenständigen Kölner Szene zu machen, hatte er sofort einen Sound im Kopf. Heraus kam ein entsprechend perkussiver Festivalauftakt – zusammen mit seinem Landsmann Dominik Mahnig und dem Kölner Schlagzeuger Fabian Arends. Alle drei vereinten sich zum Über-Instrument, entwickeln orchestrale nuancierte Spannungsbögen im kollektiven Prozess – weit über jede Rolle des  „Time-Keepings“ hinaus.

Ausgerechnet zur zehnten Festivalausgabe war alles anders: Der Winterjazz in Köln, der sonst ein buntes Laufpublikum zur spontanen Begegnung mit musikalischer Vielfalt animiert, funktionierte unter den herrschenden Bedingungen leider nicht. Dafür war auf der Bühne des world wide web zwei Abende lang spontane Begegnung angesagt. Diesmal zwischen vielen MusikerInnen aus Köln und der ganzen europäischen Szene – in vielen, meist nur für diesen Abend zusammengestellten Bands.

Im Stadtgarten herrscht Arbeitsatmosphäre: Kameras und sonstiges Equipment füllen den Raum, Tontechniker und Kameraleute mit Masken sind in ihre Arbeit vertieft. Deutlich vernehmbar rauschen die Luftreinhaltungsgeräte, die angeschafft wurden, um genau die jetzt herrschenden Zustände zu vermeiden. Zugang wird übrigens nur nach „bestandenem“ Covid-19- Test gewährt – so einfach, zügig und verlässlich kann es gehen, um bei einer Kulturveranstaltung safe zu sein!

Das zehnte Winterjazz wird im Kölner Stadtgarten seiner Rolle als „Europäisches Zentrum für Improvisierte Musik“ gerecht: Entsprechend ist Köln mit dem Rest der Welt, vor allem in Europa eng verbunden, aber auch der urbane Kosmos von Sao Paolo dockte durch einen temperamentvollen Auftritt von Maria Portugal an den Jazz made in Köln geschmeidig an.

Schwierige Zeitumstände setzen viele Empfindungen frei. Jazzer haben nun mal die besten Möglichkeiten, sehr unmittelbar auf alles zu reagieren. Das kam einem groß besetzten, zugleich lyrisch-feingliedrigen Zeitportrait unter Federführung der österreichischen Bassistin Gina Schwarz zu Gute. Dass die dominierende Empfindung des Abends vor allem eine befreite Spiellust ist, demonstrierten nicht nur, aber vor allem Festivalchefin Angelika Niescier selbst und der Posaunist Janning Trumann in ihrem improvisierten Storytelling.

Der spröde, energische Sprechgesang von Jelena Kuljic ist allein Statement genug. Sie zieht für ihren mächtig steigerungsfähigen Auftritt verschiedene zeitgenössische lyrische Quellen heran – verstärkt wird alles durch die spacerockigen Auftritte von Gitarrist Sebastian Müller, mächtig Druck machten Bassist Oliver Lutz und Schlagzeuger Thomas Sauerborn. Auch dies klang so, als wäre diese Band schon jahrelang an einer gemeinsamen Sache dran.

Eine andere spontane Band, die gerade erst entstanden ist, von der man sich noch viel mehr wünscht, zentriert sich um die Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch. Ihre empfindsame, jede Eitelkeit und Theatralik verneinende Poesie steht im Zentrum eines ganz und gar entrückenden, stark elektronisch aufgeladenen Popjazz. Repetitiv trommelt Jan Philipp sich und alle anderen durch seine Synkopenketten in Trance, derweil Tobias Hoffmann ein feingespanntes Netzwerk aus Ausdrucksnuancen auf seiner Gitarre spannt. Eine Entdeckung ist auch Leonhard Huhn, der sein Saxofon durch einen Synthesizer hindurchschleift.

Aufregende neue Klangerkundungen waren ein weiterer roter Faden beim zehnten Winterjazz – und deren Frische zeugt von aufgestauter Spiellust in konzertarmer Zeit. Es war ein Herzenswunsch von Angelika Niescier, den vielseitigen Schweizer Schlagwerker Lucas Niggli nach Köln einzuladen. Schlagzeuger unter sich: Sein Landsmann Dominik Mahnig sowie der Kölner Janning Trumann bilden ein gleichseitiges Dreieck und vereinen sich zum Über-Instrument und emanzipieren den kollektiven Prozess – über jede Rolle des „Time-Keepings“ hinaus.

Der Kölner Trompeter Pablo Giw hat beständig seinen Ansatz auf elektronisch erweitertem Trompetenspiel ausgebaut und dies schon oft beim Winterjazz demonstriert. Mit dem Saxofonisten Otis Sansjö und dem Schlagzeuger Leif Berger ergab sich auf Anhieb ein traumwandlerischer Konsens, um schillernde Klangflächen zu vereinen, aus denen Mikrostrukturen erwachsen und ja auch Momente von feinsinnigem Jazz abzuleiten.

Ebenso tauchten  Josef Dumoulin, Keyboards, Simon Nabatov, Piano und Philip Zoubek auf dem Synthesizer in den freien Ideenfluss ein,  verdichten Klangspektren, aber leisten sich auch eine Entwicklung von Abstraktion hin zu tiefer, fragiler Lyrik – über allem strahlt dann zum Höhepunkt das kristalline Solospiel von Simon Nabatov.

Das Finale ließ dann noch einmal in kurzer Zeit ein extrovertiertes Jazz-Theater mit ausgeprägter stilistischer Flexibilität entstehen: „Fallen Crooner“ collagierte temperantvolle Melodienbögen mit  weitgespannten solistischen Exkursen – vor allem die Bläsersätze von Pascal Klewer und Shannon Barnett setzten viel sattes Potenzial frei, derweil Laura Totenhagen ihre ganze Präsenz vor – leider- leerem Zuschauerraum vor den Kameras entfaltete.

Text und Fotos: Stefan Pieper

 

 

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