Die Corona-Ausgabe des „Inntöne“-Festivals

Wiese, Stimmen, Sensationen

Natürlich war in diesem Jahr auch beim „Inntöne Festival“ alles anders. Lange war nicht klar, ob es überhaupt würde stattfinden können, der übliche Pfingsttermin war wegen Lockdown ohnehin schnell vom Tisch. Aber Paul Zauner, als Posaunist, Labelbetreiber („Pao“), Veranstalter (unter anderem auch des praktisch kompletten Jazzgeschehens in Passau) und Biobauer (mit Studium der Tiermedizin und Agrartechnik) in Personalunion sowieso ein Phänomen, wollte sein liebstes Kind nicht fallen lassen. Zumal es nebenbei auch einen runden Geburtstag feierte – seit 25 Jahren gibt es die aus dem schon 1986 von Zauner gegründeten „Jazzfestival Siegharting“ hervorgegangenen Inntöne, seit 2002 veranstaltet auf dem inzwischen von Zauners Sohn hauptverantwortlich geführten elterlichen Hof nahe Diersbach bei Schärding.

„Jazz am Bauernhof“, wie es im Festival-Untertitel so schön heißt, blieb es. Aber nun ging es von der wegen ihrer exzellenten Akustik berühmten Scheune raus auf die Wiese, in die man für die notwendigen Abstände ein Schachbrettmuster eingemäht hatte. Die Gastronomie im Innenhof-Zelt, die Laufwege der in der Zahl reduzierten Zuschauer, auf die Masken- und Reservierungspflicht zukam – alles wollte organisiert sein, bis Zauner sich schließlich auch noch auf die Schnelle ums Programm kümmern konnte. Und das Erstaunliche geschah: Eigentlich merkte man – vom weitgehenden Fehlen überseeischer Jazzer abgesehen – dem Festival inhaltlich die Corona-Zeit überhaupt nicht an.

Wie gewohnt konnte man Zauners alchemistisches Miteinander von großen Namen und Newcomern, Einheimischen und Weitgereisten, Tradition und Avantgarde genießen. Wie immer gab es an jedem Tag Überraschungen und Entdeckungen. Sogar ein – bei Zauner eigentlich verpönt – verstecktes Motto durchzog den Konzertreigen: Stimmen waren prägender denn je. So brachte die süditalienische Sängerin Maria Mazzotta, von der wohl die wenigsten vorher gehört hatten, einen gehörigen Schuss San Remo an den Inn, also die italienischen Cantautori-Qualitäten. Ganz sicher war das das emotionalste Konzert, dank ihrer fulminanten, vom Basston bis ins schwirrende Falsett reichenden Stimme, mit der sie, immer adäquat begleitet vom Akkordeonisten und Pianisten Bruno Galeone, ein echtes Gesangstheater aufzog. So wie zuvor schon der Schweizer Vokalartist Andreas Schaerer im Duo mit dem Ausnahme-Akkordeonisten Luciano Biondini. Von dem ist man das freilich schon gewohnt. Ganz dem klassischen Modern Jazz verpflichtet – und vom Quartett des Altmeisters Kirk Lightsey am Klavier entsprechend unterstützt – war die hierzulande auch noch zu entdeckende polnische Sängerin Aga Zaryan, während es bei ihrer albanischen Kollegin Elina Duni, die lange in der Schweiz, nun in England lebt, an der Seite des britischen E-Gitarristen Rob Luft ins andere, weltmusikalische und auf diversen Sprachen gesungene Extrem ging. Wie viele andere stellte Duni – der Jazz schläft auch im Lockdown nicht – ihr brandneues Projekt vor, das demnächst auf ecm erscheinen wird.

Fast schon eine Sensation war der Solo-Auftritt von Jason Rebello, jenes britischen Piano-Wunderkinds, dessen Stern in den frühen Neunzigerjahren so hell aufging, dass er dann viele Jahre bei Sting spielte, um anschließend in buddhistischer Versenkung zu verschwinden. Man musste ihn schon deshalb lieben, weil er auf seiner virtuosen Klavierjazz-Weltreise Station bei einem jener wahnwitzigen Erroll-Garner-Stücke („Play Piano Play“) machte, die heute leider niemand mehr spielt. Wie auch schon eine Woche zuvor beim Outreach-Festival war gewissermaßen sein Nachfolger bei den Inntönen präsent, der Londoner Elliott Galvin, hier im neuen JZ Replacement-Trio des russischen Saxofonisten Zhenya Strigalev. Auch der Outreach-Chef selbst, Trompeter Franz Hackl, schaute vorbei, im Duo mit dem nach wie vor phänomenalen argentinisch-italienisch-New Yorker Pianisten Leo Genovese.

Alte Helden des europäischen Jazz wie Bassklarinettist Louis Sclavis oder Pianist Stefano Battaglia trafen auf frisches Blut wie das – mit seinen Balkan-Elementen – hörbar slowenische Adrabesa-Quartett des Saxofonisten Vasko Atanasovski oder das Trio des spanischen Saxofonisten Ernesto Aurignac. Zwischendrin fehlte auch das nordische Element nicht, dank der norwegischen Trompeterin und Ziegenhorn-Spielerein Hildegunn Oiseth, die gleichzeitig auch südafrikanische Rhythmik und Farbe mitbrachte, hat sie doch dort zwei prägende Jahre verbracht. In ihrem Quartett (herausragend wieder einmal Espen Berg) fehlte allerdings der Schlagzeuger – der hatte es Quarantäne-bedingt nicht auf die Tour geschafft. Kein Problem, der österreichische Top-Drummer Herbert Pirker, der tags zuvor im österreichisch-amerikanischen Retro-Projekt Update Gospel & Blues gespielt hatte, stieg nach einer Probe makellos ein – und festival-typisch waren neue Freundschaften geschlossen.

Der angesichts der vitalen heimischen Szene unvermeidliche österreichische Block kam ganz zum Schluss. Erst mit Beate Wiesingers großartigem Septett echo boomer, mit dem sie ihren Status als kommende europäische Größe (als Bassistin wie als Komponistin) unterstrich. Dann mit dem interessanten Duo der Tenorsaxofonistin Sophie Hassfurther mit dem in Amsterdam lebenden türkischen Bassklarinettisten Oguz Büyükberber. Und schließlich mit 5K HD, dem aus dem Aufeinandertreffen mit der charismatischen Sängerin Mira Lu Kovacs entsprungenen Avantgarde-Pop-Projekt des seit langem über Österreich hinausstrahlenden Quartetts Kompost 3. Die fünf polarisierten zwar mit anti-swingenden Beats, Lautstärke, Sound-Konzept und New-Wave-artiger Lightshow die Jazzgemeinde, waren aber in jedem Fall ein passender Rausschmeißer.

Die Open-Air-Atmosphäre, der auch der Wettergott weitgehend gewogen blieb (nur bei Aga Zaryan führte ein Gewitter kurz zum Abbruch und Wacken-auf-Jazz-Gefühl); die Freude, ja oft Rührung vieler Musiker, endlich wieder auf einem Festival vor begeistertem Publikum spielen zu dürfen; die lange vermissten Begegnungen der ganzen Szene hinter den Kulissen – all das machte diese drei Tage besonders. Vor allem aber bewies die Corona-Ausgabe der Inntöne schlagend, dass die Dichte herausragender Jazzmusiker alleine in Europa mittlerweile so groß ist, dass sich bei entsprechendem Sachverstand, Organisationstalent und Arbeitseifer auch in Windeseile ein herausragendes Festival auf die Beine stellen lässt. Und dass es auch in normalen Zeiten wohl nicht schadet, Experimente zu wagen.

Text und Fotos: Oliver Hochkeppel

 

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