VIP: Pierre Audétat / Vinz Vonlanthen.

Frisch durchgehört – neue CDs: Musikalischer Freigeist

Stefan Pieper hört CDs frisch durch. Norbert Stein & Pata Messengers: We are! Wenn sich Musik frei gebärdet und scheinbar gewohnte Ordnungssysteme fehlen, darf sich der Hörer um so mehr auf neues Forschungsterrain mitnehmen lassen. In dieser Hinsicht wird gerade in den freien Randbereichen diesseits und vor allem jenseits der Musikrichtung mit den vier Buchstaben mannigfaltige Grundlagenforschung betrieben. Frisch gehört wurden kurz vor Jahresende ein paar neue CDs, in denen solch ein Geist spürbar ist. (pata music 2017) Christopher Dell: Monodosis II Viel beflügelnde Musikalität bündelt Norbert Stein zusammen mit den Pata Messengers, der langjährig gewachsenen Band mit dem Pianisten Philipp Oubek, Joscha Oetz am Kontrabass sowie Etienne Nillesen an den Percussions. Sie bleiben auf ihrem neuen Album einem konsequent gepflegten schmalen Grat zwischen formaler Strenge und frei improvisierter Expression treu. Denn eine gewisse Strenge haben die hochpräzisen Tonskalen, die jedem neuen Stück ihre Grundfarbe geben, allemal. Aber aus dem komprimierten Unisono mäandern mannigfaltige Ideenströme der einzelnen Spieler, die es in keinem Moment an Charakterfülle mangeln lassen. Es gehört zum bemerkenswerten Stil dieser Band, mit so etwas verblüffend dichte Emotionen zu erzeugen. Logik ist Sache …

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Last-Minute-Geschenk-Tipp: Dorothy Bakers Roman zur Musik von Bix Beiderbecke

Bereits 1938 erstmals erschienen wurde „Ich mag mich irren, aber ich finde dich fabelhaft“ (dtv) jetzt wieder entdeckt und neu aufgelegt. Der Roman zeichnet den musikalischen Werdegang Bix Beiderbeckes nach, rein biografisch gesehen ist das kurze Leben des Protagonisten Rick Martin aber reine Fiktion. Er kommt in Georgia zur Welt, wird zur Vollwaise und zieht mit seiner Tante und seinem Onkel mit acht Jahren nach Los Angeles um, wo er eines Tages in der All Souls‘ Mission ein Klavier entdeckt und sich mithilfe der vorhandenen Noten das Spielen nach und nach selber beibringt. Eine Tages wird er dabei entdeckt und flüchtet vor den schwarzen tief Gläubigen, die ich erst für einen blonden weißen Engel halten und ihn dann am liebsten vom Fleck weg für ihre Gottesdienste engagieren würden. Er beschließt, auf ein anderes Instrument auszuweichen, das er immer bei sich tragen kann: die Trompete. Das Geld dafür verdient sich der Vierzehnjährige neben der Schule (die er so gut wie nie besucht) in einer Bowling Bar, wo er seinen besten Freund, den Schwarzen Smoke Jordan, einen Schlagzeuger kennen lernt. Smoke ist älter als er, hat eine …

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Bugge Wesseltoft - Everybody Loves Angels. ACT 9526-2

Bugge Wesseltoft solo am Klavier

Jetzt fehlt noch ein Weihnachtsgeschenk auf den letzten Drücker?! Aber besonders soll es sein! Was bietet sich da an? Hier ist der ultimative Tipp für alle, die noch ein Präsent brauchen: Bugge Wesseltofts neues Piano Solo Album: „Everybody Loves Angels“. Genau 20 Jahre nach seinem Album „It’s Snowing On My Piano“, der wohl meistverkauften Veröffentlichung des Münchner Act Labels, hat sich Bugge Wesseltoft diesmal in die LofotKatedralen zurückgezogen, eine der größten Holzkirchen Norwegens mit einer einzigartigen Akustik. An diesem wunderbaren Ort ist er seiner Inspiration gefolgt und hat auf einem Steinway-Flügel Stücke eingespielt, die wieder dermaßen entschleunigt daherkommen, dass es gut tut sich einfach einmal hinzusetzen, den Klängen zu lauschen und so auch im Nachgang den hektischen Tagen zu entgehen.  Anders als auf „It’s Snowing On My Piano“ liegt der musikalische Schwerpunkt diesmal nicht auf weihnachtlichen Liedern, sondern auf Evergreens wie z.B. Cat Stevens „Morning Has Broken“, Dob Dylans „Blowing In The Wind“ oder Simon & Garfunkels „Bridge Over Troubled Water“. Trotz dieser bekannten „HITS“ funktioniert das Ganze durch Bugges extrem pointiertes Spiel und den schwebend angelegten Melodien, die er den Tasten Ton für Ton …

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CD »Das Kondensat« mit Ullmann, Potratz und Schaefer

Eine Platte, die zu hören sehr viel Spaß macht! Eine Platte, deren Musik man zu kennen glaubt, obwohl sie nagelneu ist! Drei Musiker, die nicht ganz so berühmt sind wie die großen Berühmten des deutschen Jazz, ohne die aber die Landschaft des zeitgenössischen Jazz nahezu leer und ganz sicher dröge wäre. Ohne Potratz und ohne Schaefer wäre die Berliner – und damit auch die deutsche – Szene nicht denkbar; Projekte und Bands dieser beiden haben Spuren hinterlassen und halten die Hörer immer wieder in Atem. Mehr noch trifft dies auf einen der bedeutendsten deutschen Saxofonisten zu, auf Gebhard Ullmann, dem Jazzpreisträger Berlin 2017. Dessen Strahlkraft reicht seit vielen Jahren bis nach New York; der big apple ist ihm längst schon zweite Heimat geworden. (Von Mathias Bäumel) Zusammen sind sie nun Das Kondensat. Trotz der übertrieben verkopften Bandbenennung – die Musik selbst ist astrein. Ein Trio mit der Kraft des Rock, mit intelligent eingesetzten Digital-Klängen, mit improvisatorischer Individualität in bester Jazzästhetik – klasse. Es ist eine herrlich frische, moderne Musik, es ist im Miteinander von mechanisch und digital erzeugten Sounds eine abenteuerliche, neue Musik, es ist …

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JazzZeitung Review

Rezension „BIRTH“ mit Günther Fischer und Tobias Hoffmann

Die Welt der Musik ist groß, bunt und wird täglich größer und bunter. Sechs CD-Neuerscheinungen gibt es in Deutschland täglich und Presse, Medien und vor allem die Hörer haben es längst aufgegeben, sich durch diesen Dschungel durchzuschlagen. Deshalb möchte ich allen denjenigen, die sich für Musik in allen ihren Spielarten interessieren, einen kleinen Tipp geben. Ich empfehle Ihnen die CD „BIRTH“, die vier herausragende Allround-Jazzmusiker im Studio zusammengeführt hat. Interessant ist vor alle der riesige Altersabstand: Zwischen dem Gitarristen Hoffmann und dem Saxophonisten Fischer liegen beinahe 40 Jahre Lebenszeit mit allen ihren Erfahrungen. Das macht neugierig. (Von Walter Thomas Heyn) Zu nennen wäre an erster Stelle Günther Fischer, der Altmeister des ostdeutschen Jazz. Fischer, 1944 geboren, spielt sein Saxophon, als gäbe es keine Alterungsprozesse. Er kennt alles und kann alles. Selbst in den widerborstigsten Momenten klingt sein Instrument edel, der Klang ist abgerundet, die Skalen makellos. Aber auch in den meditativen Aspekten der Musik überzeugt sein klangreines, an den uralten antiken Aulos erinnerndes Sopransaxophon. Das ist hohe Schule! Der Gitarrist Tobias Hoffmann, 1982 in Remscheid geboren, ist für mich eine Neuentdeckung und eine fulminante dazu. …

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István Grencsó und sein Open Collective veröffentlichte die verdienstvolle Doppel-CD »Derengés / Dawn«

Dieses Foto war unvergesslich. Auch für den Freejazz-Pianisten und -Komponisten György Szabados. Es heißt »Die Hochzeit« (»Az esküvő«) und zeigt eine nur sechs Personen umfassende Hochzeitsgesellschaft wohl auf dem Weg zur Trauung. Die Menschen, voran die weiß gekleidete Braut, scheinen gerade aus einer Wohnung gekommen zu sein und laufen nun auf dem Gang des Innenhofs entlang einer zerschossenen Fassade dem Treppenhaus zu, das sie einige Etagen weiter unten aus der Mietskaserne hinausführen wird. Sie sind – dem damaligen Zeitgeist der Sechziger-Jahre entsprechend – modisch angezogen. Eine Dame lächelt mild, jeder geht für sich. Aufgenommen hatte das Foto der ungarische Fotograf László Fejes, der dafür den World Press Photo Award 1965 erhielt, übrigens als erster Ungar überhaupt. (Rezension von Mathias Bäumel)

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Joe Rosenberg Ensemble: Tomorrow

Lebensäußerung voller Zuversicht: Neue CD des Joe Rosenberg Ensembles

„Es ist schwierig Vorhersagen zu treffen, vor allem über die Zukunft.“ Was sich wie ein Bonmot aus dem Mund eines schneidigen Kabarettisten anhört, welcher Josef Hader ähnelt, ist ein Ausspruch des amerikanischen Baseballspielers Lawrence Peter „Yogi“ Berra, der 90-jährig vor zwei Jahren gestorben ist. Der in Hongkong und Frankreich lebende amerikanische Saxofonist Joe Rosenberg zitiert auf seinem mittlerweile 15. Album als Leader weitere kluge und bedeutende Leute, wie Steve Jobs und Albert Einstein. Letzterem wird die Sentenz zugeschrieben, dass „für uns der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine Illusion ist, wenn auch eine ziemlich hartnäckige.“

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Ab heute im Kino: „Django – ein Leben für die Musik“ und eine Verlosung

Seit Jahren befand sich der französische Manouche-Gitarrist Django Reinhardt (1910-1953) auf dem Gipfel seines Erfolges, obgleich er sein Quintette du Hot Club de Jazz umbesetzen musste, nachdem sein kongenialer Geiger Stephane Grappelli 1939 aus Furcht vor den Kriegswirren in London geblieben war. Inspiriert von amerikanischen Jazzcombos, vor allem derjenigen des Klarinettisten Benny Goodman, hatte Reinhardt an seiner Stelle den Klarinettisten Hubert Rostaing und anstelle eines der beiden Rhythmusgitarristen einen Schlagzeuger – den Ägypter Pierre Fouad, im Film dargestellt von dem französischen Jazzschlagzeuger Vincent Frade – engagiert. (Text: Gerhard Litterst / Fotos: Roger Arpajou/Weltkino) Das neue Quintett war nicht minder erfolgreich im nunmehr von deutschen Soldaten besetzten Paris und eilte von Auftritt zu Auftritt in den führenden Cabarets, darunter das Folies Bergere, einer der von Reinhardt favorisierten Auftrittsorte. Unter dem ihn feiernden Publikum befanden sich indes zunehmend auch deutsche Offiziere, die einerseits seine als „unarische Negermusik“ verpönte Jazzmusik ablehnten, andererseits von ihrer euphorisierenden und popularisierenden Wirkung fasziniert waren. Hier, 1943, setzt die Handlung von Etienne Comars Film Django ein, der – als Weltpremiere und Wettbewerbsbeitrag – die diesjährige Berlinale eröffnete. Gestützt auf Alexis Salatkos Roman Folles …

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Cover Lorenz Kellhuber - Live at the montreux festival

Lorenz Kellhuber: Live at the Montreux Jazz Festival

Nach mittlerweile vier Trioalben legt Lorenz Kellhuber nun endlich ein Piano-Soloalbum vor, live aufgenommen beim 49. Montreux Jazzfestival 2015. Der in München geborene Kellhuber, mittlerweile 27 Jahre alt, kann auf eine bereits ansehnliche, stringente Biografie blicken. Sowohl mit seinem Trio, in dem eigene Kompositionen ausgelotet werden, als auch mit dem „Standard Experience Trio“, mit dem er Songs aus dem American Songbook interpretiert, hat er in der Piano Szene jetzt schon Maßstäbe gesetzt.

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CD-Rezension: Dieter Ilg mit B-A-C-H

Dieter Ilg hat sich mittlerweile einen Platz in der ersten Riege der Bassisten gesichert – national wie international. Unabhängig von seiner kontinuierlichen spielerischen Vielseitigkeit, angefangen bei Marc Copland , Roberto di Gioia oder Mike Manieri, im Duo mit Charlie Mariano oder Till Brönner, erkundet Ilg seit 2009 im Trio mit Rainer Böhm am Piano sowie dem Schlagzeuger Patrice Héral Harmonik, Strukturen und Rhythmik klassischer Komponisten, die er mit seinem Trio jazztechnisch unter die Lupe nimmt. Anders als die seinerzeit im „Third Stream“ üblichen, zum Teil musikalisch abgehobenen, Experimente oder swingende Klassik-Varianten eines Jacques Loussier, nimmt sich Ilg mit seinem Trio ausgewählte Kompositionen und deren Werke vor, analysiert sie und bereitet diese fast visionär auf. Angefangen mit Verdis „Otello“, von der es eine Studio- und eine Live-Version gibt, folgte Wagners „Parsifal“, danach widmete er sich den Werken Beethovens (nomen est omen: „Mein Beethoven“). Nun folgt Ilgs vierter Streich: „B-A-C-H“! Ein nicht minder mutiges Unterfangen, das er sich da vorgenommen hat, das allerdings nahtlos an die vorangegangenen Projekte und Aufnahmen anknüpft. Wer das Trio schon einmal live gesehen hat, weiß wie die Musiker agieren: seelenverwandt, traumwanderlisch spielen …

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