Jazzkritik ist käuflich

Die Dinge sind kompliziert. Neulich übersandte mir Redakteur Andreas Kolb einen Einladung zu einem JazzFestival, das in wenigen Tagen im September auf der Krim stattfinden soll. Rossiya Segodnya International Information News Agency invites Jazz Zeitung to take part in a press trip to the International Jazz Festival Koktebel Jazz Party. The press trip scheduled for September 10-17, 2014 will be held in Koktebel, a picturesque and cozy coastal town in Crimea. Die Sache ist vollfinanziert und so, als ob man Jazzjournalisten einkaufen könnte. (Kann man natürlich und das wird auch gerne, wo Kohle vorhanden, gemacht.  So kam ich zum Winterjazz nach Köln dieses Jahr. Ich glaube, das ist nich okay!) Es wirkt in der Tat teils merkwürdig, was man als bezahlter Gast dann schreibt, wo man sich für die Nettigkeit in der Pflicht fühlt. Ich hätte es auch nie gedacht, dass man nach einer Pressekonferenz über die Qualität des Buffetts nachdenkt und, wenn es mal nur Schnittchen gab statt Frikadellen schon enttäuscht ist. Gehätschelt werden wollen, vollkritisch bleiben und so, wie geht das zusammen? Aber das Geld ist überall knapp. Heute haben die „normalen“ Journalisten …

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Die chemisch unreine Welt des Jazz

Über die Facebook-Seite der Kolleginnen der Jazzthetik habe ich Kenntnis bekommen von dem Versuch der Konstruktion eines Periodensystems des Jazz, ähnlich gebaut wie jenes, welches man aus der Chemie kennt. Sie zitieren den Originaleintrag: A great poster for the music classroom: www.periodictableofjazz.com. Das hat in der Tat etwas sehr Faszinierendes. Kann man den Jazz wirklich in diesen Linien abbilden und welche Konsequenzen hat das für das Verständnis des Jazz, präziser der Jazzgeschichte. Kann man den Jazz auf Louis Armstrong und Jelly Roll Morton zurückführen, ist die Bedeutung von Miles Davis mit drei Einträgen nicht vielleicht zu zentral gesehen? Oder in den Kommentaren auf der Erstpostingsite: Wo sind die ganzen Frauen? Wo ist der ganze europäische Jazz (außer E.S.T.). Die hübsche Spielerei zeigt eigentlich damit etwas ganz anderes. Dass der Jazz längst exoplanetarisch geworden sein muss, vor allem die Ursuppe der subatomaren Bauteile (Quarks & Co) ist so umfassend, dass ein Periodensystem schnell an seine Grenzen kommt. Miles Davis ist kein Element, sondern doch eher ein „schwarzes Loch“ oder ein „roter Riese“, oder ein sehr massereiches Element, was viele Zerfallsprodukte kennt. Oder?

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Das Recht auf Improvisation – “I have no more music in me!“

Man müsste es schon genauer beschreiben. Hat man als Hörer eigentlich ein Anrecht darauf, dass Jazzmusiker etwas zu imporovisieren wissen? Bei einem klassischen Konzert bekommt man ja ein Programm, wo drauf steht, was gespielt werden wird. Das ist bei Jazzkonzerten eher selten der Fall. Ich frage nach: Vor geraumer Zeit hat Felix Janosa auf Facebook von einem Konzerterlebnis mit Keith Jarrett berichtet. Der habe in Paris ein Konzert gegeben und dieses nach einer gewissen Zeit abgebrochen. „I have no more music in me!“, soll er gesagt haben. Beitrag von Felix Janosa. Ich bin nicht sicher. Aber was soll man da machen? Muss ein Musiker dann wie in einem Werksvertrag irgendwie doch weitermachen. Vielleicht hätte Jarrett ja auch einfach ein paar Bach-Präludien hinten an setzen können. Wenn er nicht genug Musik in sich hat, dann gibts ja auch noch genug andere Musik außer ihm. Profi genug ist er ja.

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Bayerisches Jazzweekend 2014 – Teil II

Ein paar Fotos haben wir noch vom Jazzweekend. Darunter Die Drei Damen vom Bismarckplatz. Das sind Lisa Wahlandt (Vokal, Glockenspiel), Andrea Hermenau (Vokal, Klavier), Christiane Öttl (Vocal, Bass).  Das war schon recht schmusi und lässig. Tolle Musikerinnen, die aber ein bisserl abgekämpft wirkten und, naja, mancher Scherz wirkte eben schon auch etwas abgehangen. Der räumlich verkürzte Platz, gefüllt bis an die Ränder, dankte es ihnen dennoch sehr. Ein bisschen traurig machte es einen dennoch, diese fantastische Pianistin Andrea Hermenau an den Rand gedrückt zu sehen. Aber auch Christiane Öttl legte am Bass einen kessen Groove aufs Parkett. Das alles wird so sehr von Lisa Wahlandt absorbiert und ein bisschen auch verschluckt. Klar, die Routine! Klar, eine saubere Sache! Klar, hohes Niveau! Und dennoch. Irgendwie gebremst. Vom Rest gibt es nicht mehr so viele Foto von Petra Basche. Regensburg hat ja auch noch andere gute Gründe für einen Besuch. Hier also noch etwas Hüftgold, nicht zuletzt wegen der wunderbaren Beleuchtung der Tubistin, die die Reflektionen des Instrumentes so ungemein warm metareflektiert. Die Musik konnte da nicht ganz mithalten. Auch hier sauber gespielt, aber irgendwie eben auch …

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Improvisation über Improvisation #7

I – M – P – R – O – V – I – S – A – T – I – O – N . A – I – I – I – M – N – O – O – P – R – S – T – V . V – O – R – M – O – P – I – I – N – A – S – T – I . IM. MP. PR. RO. OV. VI. IS. SA. AT. TI. IO. ON. ATI. MIN. NPR. PRO. TOP. NSA (→ Ami → Spion → Tarn). VOIP. NATO. TISA… INTRO: Na? „Moin moin“ an: Armin; Ina, Isa, Insa, Iris + Irma; Martin, Marion, Mira + Miro (!!); Nora + Norma; Omar; Omars Oma + Opa; Pit, Pino + Patin; Rami, Rani, Rias, Rita, Rosa + Rosi; Sami, Sani, Siri, Sinti + Roma; Tim + Timo; Tom + Tomi; Toni, Tomas + Vati. Roman ist Romanist. Taoist. Maoist. Primat. Primitiv. Asi. Vampir. Tapir. Mops. Sponti am Main: Anti → Pro. Proviant: Vitamin, Provitamin, Opiat, Anis, Pita, Tran, Spinat, Raps + …

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Bayerisches Jazzweekend 2014 – Teil I (Galerie)

So ein Wochenende kann schon sehr lang sein. Und wenn man aus Kleinmachnow angefahren kommt, wird es kürzer und kürzer. Bei den vielen Veranstaltungen, die so ein Weekend zieren, ist es dann nicht so einfach, irgendwo ein Plätzchen zu finden, an dem es einen auch wirklich festhält. Garant dafür ist in der Regel ein Platz, an dem der Rundfunk mitschneidet: Also das Thon-Dittmer Palais. Hier gaben sich denn auch die Musiker die Mikros in die Hand.Die JazzZeitung wird meines Wissens einen Artikel zur Veranstaltung in der nächsten Ausgabe  bringen. Hier zunächst ein paar Eindrücke von der famosen Pepa. Mehr Fotos dann später beim HuPe-Kollektiv. Very Kühn Jazz Quartett Zwischenbemerkung Das Weekend kommt ein bisschen in die Tage, scheint es. Es gibt da schon viel musikalischen Leerlauf auf der einen Seite und doch einige Dauerbrenner, die aber auch nicht mehr so wirklich brennen. Wie beim manchem Witz, den man nicht immer wiederholen muss. Das Weekend sagt von sich selbst, es sei ein Fest, kein Festival. Man weiß nicht, wie man es deuten darf. Straßenfest mit Musikern im gleichen Zuge wie die Cocktails oder Würstl, die Nudelpfanne …

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Bakken und Waits – geht das?

Die Mischung ist erst einmal gewöhnungsbedürftig: die melancholisch-schmutzigen Songs des großen Tom Waits, begleitet vom cleanen Sound der hr-Bigband und gesungen von Norwegens Glamour-Star Rebekka Bakken. Doch es funktioniert (meistens), so viel sei an dieser Stelle schon einmal verraten. Die Idee zu dieser Produktion, die Ende Mai auf CD bei Universal erschienen ist, hatte der Bigband-Arrangeur und –Dirigent Jörg Achim Keller. „La Bakken“ wäre selber nie darauf gekommen: „Tom Waits ist so einzigartig“, sagt die Sängerin, „ich wäre nie auf die Idee gekommen, seine Stücke zu interpretieren. „ Trotzdem willigte sie ein und suchte zusammen mit Schäfer 16 geeignete Songs aus, die anschließend passend arrangiert wurden. Der Vokalistin ließ er dabei viel Raum: „Ich war völlig frei“, stellt Rebekka Bakken weiterhin fest, „auf die Musik und meine eigenen Assoziationen und Gefühle zu reagieren.“ Live zu erleben war dieses Projekt bereits 2013, jetzt liegt die Aufnahme auf CD vor. Natürlich muss man sich erst einmal an die klare Stimmer der Norwegerin, die so fast gar nichts mit den rauen Tönen des Waits-Interpretationen zu tun hat, gewöhnen. Fans beider Künstler werden trotzdem oft ihre Freude an „Little …

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Improvisation über Improvisation #6

Das Thema Revolution hat mich seit dem letzten Blog nicht losgelassen. Genauer gesagt wurde ich erneut darauf gestoßen, als ich feststellte, dass Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ mich auch beim hundertsten Hören mehr packt und erschüttert als jedes andere Musikstück. Ein Blick auf die Geschichte des Werkes zeigt, dass es auch anderen so ging: massive Zuschauerproteste und Handgreiflichkeiten während der Uraufführung; Hohn und Unverständnis seitens der Kritiker; Orchester, die sich weigerten, diese Musik zu spielen. Der „Sacre“ erzwingt beim Ausführenden wie beim Rezipienten eine Reaktion – egal wie diese ausfällt. Spurlos vorüber zieht er nie. Bei Gil Scott-Heron heißt das dann: „You will not be able to stay home, brother“. Die Musik des „Sacre“ ist von einer so urtümlichen Wucht, aus ihr spricht die zarteste Schönheit ebenso wie die brachialste Zerstörungskraft. Wunderschöne Melodien werden fragmentiert und im gezielten Chaos neu zusammengesetzt. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Was sich in der Natur jedes Jahr aufs Neue vollzieht, taucht bei den Menschen zwar seltener, aber doch ebenfalls immer wieder auf – meist mit gravierenden Folgen, nicht nur für die Menschen, sondern auch für die …

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Improvisation über Improvisation #5

„A lot of people never use their initiative because no-one told them to.“ (Banksy) Wenn ich dieser Tage meine Facebook-Startseite durchforste, lese ich von stetig wachsendem Unmut gegenüber den menschenverachtenden Auswüchsen des (Spät-)Kapitalismus und der seltsamen Vorstellung von einer „marktkonformen Demokratie“, die unsere Kanzlerin postuliert. Gerne wird dann eine „Revolution“ herbeigewünscht, die eine Änderung der Verhältnisse zum „Besseren“ herbeiführen möge. Die Revolution ist aber doch bereits in vollem Gange. Oder möchte noch irgendjemand behaupten, sein Leben habe sich in den letzten 10-15 Jahren nicht grundlegend verändert? Es geht nur noch um die Frage, wie wir uns zu ihr verhalten – passiv hinnehmend oder aktiv beeinflussend. Dass eine große Revolution aus Hunderten, Tausenden, Millionen individueller Revolutionen bestehen und im Kopf beginnen muss, wissen wir nicht erst seit Gil Scott-Heron. Wenn jeder von uns sein eigenes Denken revolutioniert – und sei es nur ein kleines bisschen – sieht die Welt womöglich schon bald ganz anders aus. Wir wollen uns nicht länger von Großkonzernen die Spielregeln diktieren lassen? Also gut: Warum haben wir dann noch Social Media-Accounts – sind persönliche Gespräche nicht viel wertvoller als virtuelle Chats? Warum …

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Improvisation über Improvisation #4

Eine gelungene Jazz-Improvisation ist wie eine schöne Blüte. Sie entsteht als Frucht der Arbeit, die die Pflanze vorher geleistet hat – als Samenkorn angefangen, mühsam Wurzeln gebildet und sich als Keimling an die Oberfläche getraut, in Millimeterschritten Blatt für Blatt ausgebildet, an Größe und Widerstandskraft gewonnen, bis sie schließlich stark genug war zu knospen. Fortan hat sie all ihre Kraft in die Ausbildung der Knospe gelegt, bis diese reif genug war, sich zu einer Blüte zu öffnen. Dieser lange, schwierige und vor allem unbedingt notwendige Prozess ist mindestens ebenso bewundernswert wie die eigentliche Blüte. Aufmerksame Gärtner freuen sich über jeden kleinen Schritt, den die Pflanze macht. Meist aber werden die Nutznießer – die Bienen, die Hummeln, das Publikum – erst dann auf die Pflanze aufmerksam, wenn die Blüte sich bereits geöffnet hat. Das ist jedoch nicht weiter verwunderlich, schließlich erregt nichts an der Pflanze so viel Aufsehen wie seine Blüte. Eine offene Blüte legt das Erbgut der Pflanze für jeden sichtbar frei und ermöglicht es Betrachtern wie Nutznießern, Freude an ihr zu haben und den jeweils eigenen Nutzen aus ihr zu ziehen. Jede Pflanze hat …

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