Zum Tod des Pianisten und Arrangeurs Jacques Loussier

Nach dem Geiger Jean Luc Ponty ist der französische Pianist und Arrangeur Jacques Loussier der zweite Franzose, der in Stuttgart die German Jazz Trophy erhielt. Anlässlich des Tods von Jacques Loussier (* 26. Oktober 1934 in Angers; † 5 März 2019) veröffentlicht die Jazzzeitung noch einmal die Laudatio auf den Preisträger der German Jazz Trophy 2010. Der damals noch mit 10.000 Euro (heute 15.000 Euro) dotierte Preis wird zusammen mit einer Statue des Stuttgarter Bildhauers Otto Hajek von  von der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg, der neuen musikzeitung und JazzZeitung.de verliehen.

 

German Jazz Trophy A Life For Jazz 2010 an Jacques Loussier

Laudatio von Andreas Kolb

Bad Boy of Music heißt ein Blog der neuen musikzeitung, der angeführt wird von dem Komponisten und Pianisten Moritz Eggert. Er sieht sich als Bad Boy, als Böser Bube der Musik, und will in seinem Werk, aber auch in seinen Blog-Texten bewusst provozieren, Stellung beziehen, Tabus in der Musik und im Musikleben brechen. Eggert bezieht sich mit diesem Namen wiederum auf George Antheil, den US-amerikanischen Pianisten und Komponisten des „Ballet mechanique“. Die Uraufführung der Filmmusik zum ersten abstrakten Film von Fernand Léger und Dudley Murphy geriet 1926 in Paris zu einer Skandalaufführung, ebenso 1927 in New York. Antheil berichtete in seinen Memoiren, dass er während der Konzerte damals immer einen Revolver im Schulterhalfter getragen hätte, um sich nach den Aufführungen notfalls einen Weg durch das aufgebrachte Publikum bahnen zu können.

Es ist mir nicht bekannt, dass Jacques Loussier einmal einen Revolver während eines Konzertes Konzertes getragen hat. Daran gedacht hat er vielleicht einmal, denn – man vergisst das heute gerne – anfangs wurde er vom Klassikpublikum mit seinen Bach-Verjazzungen durchaus als Bad Boy betrachtet. Das Publikum fand es skandalös, was Loussier da mit ihrem Säulenheiligen J.S. Bach auf offener Bühne anstellte.

Heute liebt es Loussier für seinen Play Bach. Rund 6 Millionen verkaufte Alben seit 1959 und bis zum heutigen Tag ausverkaufte Konzertsäle belegen eine Popularität, die auch einem Popmusiker zur Ehre gereichen würde. Aber Loussier macht keine Popmusik, obwohl er am Beginn seiner Karriere sich duchaus die Frage stellte: Was tun? Popmusik? Nicht klassisch genug. Klassische Musik? Zu klassisch. Jazz? Ach komm! Ich bin doch nicht aus New Orleans. Also?“
Dieses Also hat Jacques Loussier inzwischen mit seinem Lebenswerk beantwortet, und dieses Lebenswerk wird heute von Seiten der Jazzer mit der German Jazz Trophy A Life For Jazz geehrt.

Im Olymp der Pianisten zählt Jacques Loussier zu den Spätberufenen: Erst im Alter von zehn Jahren weckte ein Konzert eines kleinen, unbedeutenden Tanzorchesters in der französischen Provinzstadt Angers in ihm das Verlangen, ein Instrument zu spielen. „Meine Schwester spielte schon Klavier. Und als mich meine Mutter fragte, ob ich auch spielen wolle, sagte ich ja.“ So begann Loussiers klassische Ausbildung unspektakulär, aber erfolgreich. Schon während seines Studiums am Pariser Konservatorium bei Yves Nat schien eine Karriere als Konzertpianist vorgezeichnet. Doch es kam anders: Der ursprüngliche Impuls durch die leichte Muse war noch immer lebendig. Mitte der 50er-Jahre hatten Loussier und seine Kollegen am Konservatorium nicht nur Bach, Beethoven, Brahms im Ohr, sondern auch den Sound des MJQ, des Modern Jazz Quartets. Loussier war von der Kunst von Milt Jackson, Percy Heath, Kenny Clarke elektrisiert, vor allem aber zog ihn die Persönlichkeit des Pianisten John Lewis an. In einer Phrasierung à la Modern Jazz Quartet spielte er damals mit und vor Gleichgesinnten Jazzmusik, nur dass ihm das Great American Songbook samt dazugehöriger Improvisationstradition fremd war. Er war in der Welt von J.S. Bach zuhause und machte ein folgenreiches interkulturelles Experiment, indem er Bachs „Material“ verjazzte.

Original-Ton Jaques Loussier: „Während meines Studiums am Konservatorium begann ich mit den ersten Jazzimprovisationen über Bachs Musik. Natürlich nicht während der Unterrichtszeit, sondern beim Mittagessen im Speisesaal, wenn mich meine Freunde darum baten. Da entdeckte ich dann eine ganz andere musikalische Welt, wie im akademischen Unterricht: variiert, mit vielen Einflüssen, neuen Perspektiven, neuen Klängen und Methoden gegenüber offen. Mit einem Wort Freiheit.“

Da unsere Preisverleihug  im Konzertsaal der Stuttgarter Musikhochschule stattfindet, vielleicht eine kleine Abschweifung meinerseits. Zu einer Zeit, in der Künstler in Bachelor und Masterstudiengängen ausgebildet werden, und ihr Pensum in 40 Wochensstunden bemessen und ihre künstlerische Arbeit mit Points vergütet  werden: Manchmal ist die Mensa das bessere Curriculum als der Hörsaal.

„Play Bach“, die erste, hatte Jacques Loussier 1959, wie er selbst sagt, „nur zum Vergnügen und für Freunde aufgenommen“. Doch die Sammlung Bach’scher Klavierstücke gemischt mit Jazzrhythmen und Improvisationen erreichte unglaubliche Popularität. So wurde aus Loussier ein Klavierpionier, und zwar ein über die Maßen erfolgreicher. Seit über 50 Jahre nimmt er als Mr. Play Bach eine Alleinstellung ein, doch im Vergleich zu anderen Größen aus dem Jazzmétier, hat seine Kunst nichts von ihrer Anziehungskraft aufs Publikum eingebüßt.

Ein paar Worte zur Besetzung: Loussier begann im Klavier-Trio und spielt bis heute am liebsten in dieser Besetzung. 1959 zählten der Bassist Christian Garros und der Schlagzeuger Pierre Michelot zu Loussiers Sidemen. Später folgten Vincent Charbonnier und André Arpino. Seit dem krankheitsbedingten Ausscheiden von Charbonnier ist Benoit Dunoyer de Segonzac an dessen Stelle als Schlagzeuger getreten.

Abgesehen von der Tatsache, dass im Zentrum aller Ensembles der Initiator und Motor Loussier stand, war allen Musikern gemeinsam, dass sie einen sehr kammermusikalischen Ansatz hatten. Sie machten Jazzmusik, in der neben Rhythmik und Improvisation auch Agogik und Dynamik eine Rolle spielten. Loussier stellt an seine Mitmusiker Anforderungen wie an klassische Musiker. Er schildert das so:

„Was wir machen ist ja eine Mischung aus Jazz und Klassik, die Arrangements sind so präzise, das muss erst einmal in seiner ganzen Tiefe erfasst werden. Man kann sich also nicht wie im Jazz kurz über den Ablauf der Stücke verständigen und dann gleich loslegen. Das ist bei uns im Trio nicht möglich. Es ist ja fast Kammermusik, die wir spielen.“ Auch im Alter von 76 Jahren stimmt die Verbindung zwischen Loussier und Bach noch immer – nach über einem halben Jahrhundert praktiziertem Play Bach. Gefragt, was er tun würde, wenn er Bach heute begegnen könnte, antwortet er: „Ich bin mir sicher, er würde mögen, dass ich über seine Themen improvisiere. Das ist bereits in die Musik des größten Musikers aller Zeiten hineingeschrieben.“

Jahrzehntelang war der Name Jacques Loussier ein Synonym für Play Bach – doch als Künstler und als Bad Boy, der er nur einmal auch ist, suchte er neue Heausforderungen und machte sich an Bearbeitungen der Musik von Satie, Ravel, Debussy, Mozart und Vivaldi. Die Ergebnisse sind so vielfältig wie die genannten Komponisten. Doch sein Publikum reagierte ähnlich reserviert wie damals, als Loussier erstmals Bach spielte. Denn eigentlich wollen seine Verehrer nur eines von ihm: „Spiel Bach!“

Play Bach heißt es jetzt auch bei uns im Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart: Ich freue mich auf das Preisträgerkonzert, und wenn dem einen der anderen unter Ihnen beim Zuhören die Frage in den Sinn kommt: Ist das Jazz? Dann denken Sie daran: So eine Frage muss ein Bad Boy nicht beantworten. Er muss einfach nur sein Ding machen. Und deshalb ist er ein Jazzmusiker.

Eines von nur zwei Konzerten, die Loussier im Jahr 2010 in Deutschland gab, fand an Christi Himmelfahrt in der Bayreuther Stadthalle statt. Dem Feiertag zum Trotz lässt er sämtliche im Programmheft angekündigten Choralbearbeitungen weg und konzentriert sich auf Konzerte, etwa das Brandenburgische Konzert Nr. 5, das Konzert d-Moll, eine Fuge D-Dur und ein „sehr, sehr bekanntes Stück“. Sein Publikum weiß mit dem ersten D-Dur Akkord, um welchen Hit es sich handelt: „Air“ aus der Orchestersuite D-Dur. Nach zwei Stunden Konzert gehen Standing Ovations in rhythmisches Klatschen und Stampfen über, glückliche Gesichter im Publikum, Zugaben werden gefordert. Jacques Loussier betritt zusammen mit seinem Bassisten Benoit Dunoyer de Segonzac und seinem Schlagzeuger André Arpino noch einmal die Bühne und spielt die geforderte Zugabe. Danach tobt der Saal erst richtig, aber es hilft nichts, mehr Glück gibt es heute Abend nicht.

Foto: Hans Kumpf

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