Der fünfte Kölner „Winterjazz“ – Ein Jubiläum

Lars Duppler. Foto: Gerhard Richter
Lars Duppler. Foto: Gerhard Richter

Von Dietrich Schlegel – Rechtfertigen fünf Jahre schon die stolze Selbstbelobigung „Jubiläum“? Im Falle des Kölner Festivals „Winterjazz“, das sein Programmheft mit dieser Headline schmückt, ist diese Frage uneingeschränkt zu bejahen. Denn über einen solch langen Zeitraum die jeweils erste Jazz-Großveranstaltung des neuen Jahres auf gleich hohem Niveau zu halten und ein nach hunderten zählendes Publikum zu erreichen, ist schon eine beachtliche Leistung. Das ist vor allem der quirligen Kölner Saxophonistin, Komponistin und Bandleaderin Angelika Niescier zu verdanken. Sie ist häufig in der New Yorker Jazzszene aktiv. Vom dortigen Winterjazzfest, das in diesem Jahr fast parallel zum zwölften Mal stattfand, war sie so beeindruckt, dass sie 2012 die Initiative zur Gründung eines ähnlichen Festivals in ihrer Heimatstadt ergriff und auch gleich die künstlerische Leitung übernahm.

Auch in diesem Jahr war ihr wieder ein Programm mit 50 Musikerinnen und Musikern für 19 Konzerte auf fünf Bühnen gelungen. Und wieder war die ganze Bandbreite von modernem Mainstream bis zur experimentellen Grenzüberschreitung vertreten. Den Mittelpunkt des Konzertgeschehens bildete wie gewohnt der Kölner Stadtgarten mit seinen drei Bühnen. Zwei weitere Spielstätten befanden sich in zwei Lokalen quer über die Straße. Finanzielle Unterstützung gab es erneut von Seiten der Stadt Köln und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Aber ohne die Unterstützung des bewährten Stadtgarten-Teams unter Matthias von Welck, der die Organisation und Koordination der sich zeitlich und räumlich überschneidenden Konzerte mit seiner sprichwörtlichen Ruhe und Gelassenheit abwickelte, liefe gar nichts. Das gilt insbesondere auch für die ausgezeichnete Technik im großen Konzertsaal, dem Studio 672 im Untergeschoss und dem Restaurant.

Dieter Manderscheid. Foto: Gerhard Richter
Dieter Manderscheid. Foto: Gerhard Richter

Der Zuspruch der zumeist jungen Leute zu allen Spielstätten war erneut übermächtig. Doch trotz des immensen Gedränges blieb die Stimmung heiter und gelöst. Der grundsätzlich freie Eintritt mag mit ein Grund für die Besucherscharen sein. Doch die Vielfältigkeit des musikalischen Angebots trägt sicher auch zur Attraktion des Festivals bei. Angelika Niescier begründet den freien Eintritt mit der Chance, auch den jugendlichen, mehr der Popmusik zugeneigten Teil des Publikums durch das Erlebnis der Konzerte für den Jazz zu gewinnen. Auch viele Jazzmusikerinnen und -musiker mischten sich unters Publikum, um ihre Kolleginnen und Kollegen zu hören oder back stage Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu pflegen.

Wie es für die Besucher wegen der Menschenmenge und überfüllter Räume häufig schwierig war, immer dorthin zu gelangen, wo gerade eine Band spielte, die man unbedingt erleben wollte, so hatte auch der Berichter, wie alljährlich, seine liebe Mühe, möglichst viele Konzerte zu hören und den Überblick zu behalten. So können auch in diesem Bericht nicht alle Auftritte berücksichtigt werden. Aber das Gewimmel gehört einfach zum Winterjazz dazu, schafft eine im Wortsinn dichte Atmosphäre, und letztlich ist die Hauptsache, dass so viele Menschen herbeiströmen, um guten Jazz zu erleben. Für die Musiker wiederum ist es allemal erfreulich, vor vollem Haus zu spielen, vor einem aufmerksamen, mit Beifall nicht geizenden Publikum.

Das pünktlich um 19 Uhr begonnene Eröffnungskonzert im überquellenden großen Saal – glücklicherweise noch ohne zeitgleiche Konkurrenz an anderen Spielorten – war sogleich ein Highlight. Der Pianist Sebastian Sternal, frischer Preisträger der Deutschen Schallplattenkritik, und Dieter Manderscheid, der Großmeister des Kontrabass im Jazz, hatten ihr eingespieltes Duo um den Schweizer, in Köln lebenden Schlagzeuger Dominik Mahnig gewinnbringend erweitert, um ihr anspruchsvolles, Charles Mingus gewidmetes Programm „Mingus Mingus Mingus“ zu präsentieren. Dass der Titel einem der bedeutendsten Mingus-Alben (aus 1963) entlehnt war, erhöhte die Erwartung der Kenner. Die Spannung steigerte sich, als Manderscheid mittels eines eingespielten historischen Mitschnitts Mingus gewissermaßen selbst das Konzert ansagen ließ. Unter großem Jubel ging dieser O-Ton in das erste Stück über, die berühmte antirassistische Anklage „Fables Of Faubus“. Die Begeisterung steigerte sich von Titel zu Titel, darunter so bekannte Kompositionen wie „Tonight Of Noon“, „Eclipse“, „Re-incarnation Of A Lovebird“ und nahm tosende Ausmaße an, als das formidable Trio mit dem rasant dargebotenen „Boogie Stop Shuffle“ das Konzert beendete.

Wer einen Sitzplatz ergattert hatte, stand nun vor der Entscheidung, einfach bis zum Ende für immerhin noch vier Konzerte im großen Saal zu bleiben oder weiter zu wandern, etwa ins Restaurant. Dort kämpfte der für seinen zupackenden Groove und seine Virtuosität gerühmte Pianist Martin Sasse mit seinen bewährten Sidemen Henning Gailing (b) und Joost van Schalk (dr) gegen einen nicht unerheblichen Geräuschpegel aus dem Thekenbereich an. Auch dass in der Mitte des Gastraums in unablässigem Strom Gäste wie auf einem Ameisenpfad ständig und nicht immer schweigend hin und her liefen, trug nicht gerade zur Konzentration auf der Bühne und im Publikum bei. Sasse verzichtete deshalb in seinem Programm mit „Trio Classics“ auf alle Balladen. Hier müsste vielleicht doch eine andere Raumaufteilung überlegt werden.

Das nachfolgende „4tett“ von Stefan Karl Schmid (sax) / Philipp Brämswig (g) mit Robert Landfermann (b) und Oliver Rehmann (dr) hatte es dort durch seine einfach lauteren Instrumenten etwas leichter, sich Gehör zu verschaffen und ihre Visitenkarte als gut aufeinander abgestimmte Band mit melodiösem, rhythmisch abwechslungsreichem Jazz voller überraschender Improvisationen Jazz abzugeben.

Kaum Probleme hatten es hier dagegen Bands, die mit ihrer Musik die meist stehenden Zuhörer unmittelbar mitreißen konnten. Die Gruppe „Gosto Delicado“ heizte mit Gitarre, Percussion, Bass und der auch Posaune spielenden Sängerin Pia Miranda mit brasilianischen Sambas und Bossa Novas ein. Mitreißend die Mixtur aus Afro- und Cuban-Jazz, Funk, Bebop und Weltmusik der Band des Trompeters Terrence Ngassa, die – um vorzugreifen – nach Mitternacht den ultimativen Schlussspurt des Winterjazz hinlegten.

Aber zurück in die anderen Räume, wo sich noch viel Hörenswertes ereignete. Verharren wir noch im großen Saal. Da gab es eines von mehreren Beispielen erstmaligen Zusammenspielens, in diesem Fall der isländischen Pianistin Sunna Gunnlaugs, die in New Jersey studiert hat, mit dem amerikanischen, seit einiger Zeit in Köln ansässigen Trompeter Ryan Carniaux – eine spannungsreiche Verbindung. Es folgten zwei Konzerte mit gestandenen und prominenten Musikern, die wunderschön und gepflegt Mainstream der letzten zwei Jahrzehnte zelebrierten, mit kunstvoll verästelten Improvisationen. Nicht von ungefähr lehren sie an unseren Musikhochschulen. Die Rede ist vom Hendrik Soll (p) Trio mit Matthias Nadolny (ts) und Henning Berg (tb) sowie dem Duo Peter Weniger (ts) und Hubert Nuss (p).

Ab in den Keller zum Studio 672, wo es anfangs verhaltener, inniger, aber dann doch schwungvoller und erstaunlich raumfüllend mit dem Duo Magnolia aus Anne Hartkamp (voc) und Philipp van Endert (g) begann. Heftiger zur Sache ging es dann mit einer Band, die sich den seltsamen Namen „Arnie Bolden“ zugelegt hat, obwohl dieser Herr gar nicht dabei war. An seiner Stelle setzten Ralph Beerkircher (el-g), Stephan Meinberg (tp, flh, euph, efx) und Christian Thomé (dr) die auch hier dicht gedrängten Zuhörer „unter Strom“ mit einer schwer zu beschreibenden Mixtur aus spontanen Einfällen und offenbar auch streng Notiertem, zusammengehalten von dem ausgezeichneten Drummer.

Für die meisten Zuhörer eher ungewohnt, deshalb von den Protagonisten umso mutiger waren die Darbietungen der „Monsters For Breakfast – Freie Improvisationen für 3 Stimmen“, das waren die Stimmartistinnen Mascha Corman und Thea Soti plus Salim Javaid am präparierten Saxophon. Zwischen Flüstern und Schreien, Sprech- und wortlosem Gesang, garniert mit rhythmisch ausgestoßenen Saxophon-Lauten wurde ein Frühstück aus – so im Programmheft – zeitgenössischer Poesie, Jazz, Neuer Musik und „Noise“ zum Abendbrot serviert – sehr kurzweilig, kunstfertig, aber vielleicht doch eher etwas für musikalische Veganer. Erfrischend dann zum Abschluss im Studio das Quartett der jungen Kontrabassistin Hendrika Entzian mit dem begabten Maxi Jagow (sax), dem brillanten Simon Seidl (p) und dem unaufgeregt zuverlässigen Fabian Arends (dr). Die geerdeten akustischen Jazz spielende, seit 2012 bestehende Band hat bereits einige CDs veröffentlicht, letztes Jahr „Turnus“, mit eigenen Stücken von Entzian und Jagow, die auch in Köln zum Vortrag kamen.

Auch jenseits des Stadtgartens, über die Straße in den Lokalen Zimmermann’s und Umleitung, wurde hohe Qualität geboten, konnte jedoch aus den genannten Gründen nicht möglicher Abstimmung von Zeit und Raum vom Berichter nicht vollständig wahrgenommen werden. Das gilt leider für den Stimmkünstler Michael Schiefel mit dem zwischen Jazz, Ethno, Rock und Pop wandelnden Drummer Klaus Mages sowie für das „Trio Fossile 3“, bestehend aus den drei fantastischen Musikern Rudi Mahall (bcl), Sebastian Gramss (b), comp) und Etienne Nillesen, die sich laut Programmheft „der altehrwürdigen Jazztradition annehmen und sie ins Hier und Jetzt transportieren“. Es gilt ebenso mit großem Bedauern für das Saxophon-Duo Niels Klein und Uli Kempendorff sowie ein weiteres Duo in der instrumental ungewöhnlicheren Paarung Janning Trumann (tb) und Clara Däubler (b).

Bleiben noch zwei Formationen, zu denen durch die Menge vorzustoßen einigermaßen gelang, was sich auch als lohnend erwies. Der Multi-Saxophonist (ts, cl, bcl, melodica) und Komponist Sven Decker spielte mit seiner Formation „Transparency“, zu der die in der Kölner Szene viel gefragten Matthias Akeo Nowak (b) und Etienne Nillesen (dr) gehören, eigene Stücke von seiner letzten CD „Sepia“, kleine, wie er sagt, „autobiographische Geschichten, mal verträumt und melancholisch, mal eruptiv und fordernd“. Als neues Talent offenbarte sich die blutjunge Sängerin Laura Totenhagen, Schülerin erst von Filippa Gojo und jetzt Studentin bei Annette von Eichel an der Kölner Musikhochschule. Im Duo mit dem einfühlsamen David Andres am Bass bewies sie mit ihrer klaren Altstimme, dass sie den Anforderungen des modernen Jazzgesangs bereits gewachsen ist. Von ihr wird noch zu hören sein. Ihre erste CD ist in Vorbereitung.

Das schon traditionelle abschließende Piano-Solokonzert in der Stunde vor Mitternacht im großen Saal gehörte diesmal Lars Duppler, als Pianist in vielen Bands tätig, so bei Jens Düppe, Niels Klein, Nils Wülker. Der Schüler des letztes Jahr verstorbenen Talenteschmieds an der Kölner Musikhochschule, John Taylor, widmete sein erstes Stück Taylors Version von „How Deep Is The Ocean“. Danach folgten drei eigene Kompositionen sowie Improvisationen über „My Favourite Things“ aus Dupplers gerade erschienener erster Solo-CD „Naked“. Die Aufnahmen beim Deutschlandfunk waren, wie er launig erzählte, ein für den Ensemblespieler beeindruckendes Erlebnis des Zurückgeworfenseins auf sich selbst, allein mit dem Flügel in einem „nackten“ Tonstudio. Schöne Melodiebögen fächert er mit kräftigem Anschlag rhythmisch auf, um sie in luzider Weise wieder zusammenzuführen. Kontemplatives Spiel wechselt mit lebhaften und temporeichen Passagen. Die Zuhörer feierten den letzten Musiker des Abends mit großem Beifall, der auch als Dank für ein wieder ereignisreiches und musikalisch ergiebiges Festival aufzufassen war. Dem fünften Kölner Winterjazz wird gewiss ein sechster folgen.

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