Meine erstes Jazzalbum war „Portrait in Jazz“ des Pianisten Bill Evans. Vom Cover blickte mir ein adrett gekleideter Endzwanziger entgegen, mit Seitenscheitel, Intellektuellenbrille und traurigem Gesichtsausdruck. Das Album war fortan Dauergast in meinem CD-Spieler, und auch wenn mich die gesamte Aufnahme auf vielfältige Art faszinierte, so stach doch ein Stück besonders heraus: „When I Fall In Love“. Diese Klangfarben! Dieser Sound! Diese sensible Eleganz, die feine Melancholie in der Ausgestaltung von Melodie und Improvisation! Das Stück sprach direkt zu mir und war mit ein Grund für meine Entscheidung, Jazzklavier zu studieren. In den 17 Jahren, die zwischen meinem ersten Höreindruck und heute liegen, habe ich unzählige Tage Jazzmusik gehört und ganz unterschiedliche Phasen der Begeisterung für bestimmte Stile oder Musiker durchlebt. Viele davon kamen und gingen, aber diese Aufnahme beeindruckt mich noch immer. Sie bleibt stets frisch für mich; mit jedem Mal Hören finde ich einen neuen Anknüpfungspunkt, warum sie mir so gut gefällt. Werbung War ich damals sehr fixiert auf den Pianisten, genieße ich heute vor allem die Leistung seiner beiden Triokollegen (Bassist Scott LaFaro und Schlagzeuger Paul Motian): LaFaro spielt im Thema nichts …
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Das JazzZeitungs-Blog. Hier schreiben Rainer Wein, Jörg Lichtinger, Peter Ortmann, Thomas Spitzer, Benjamin Schaefer, Martin Hufner …
Improvisation über Improvisation #8
Jerome Kerns „All the things you are“ ist ein Musikstück, das einem im Jazzkontext häufig begegnet – ein sogenannter Standard. Wie so viele Stücke aus dem Great American Songbook wurde es ursprünglich für ein Broadway-Musical („Very warm for May“, 1939) geschrieben. Das Musical war schnell vergessen, der Song aber erwies sich als Hit: die „Coverversionen“ von Tommy Dorsey (1939) und Frank Sinatra (1945) schafften es beide auf Platz eins der Hitparade (… wie ich dieses Wort liebe!). Die frühen Vokalversionen – wie jene von Helen Forrest (1939), Jo Stafford (1946) oder Tony Martin (1946) – untermalten mit opulenter Orchestrierung Oscar Hammersteins hochromantischen Text und verdeutlichten die Tanzmusikfunktion des Jazz in der Ära der Swing-Big-Bands. Recht schnell fand das Stück aber auch in Bebop-Kreisen Anklang, wo es als reine Instrumentalmusik für kleinere Besetzung abstrahiert wurde. Dizzy Gillespie stellte „All the things“ 1945 erstmals ein Intro voran, das auf den ersten Blick wenig mit dem eigentlichen Stück zu tun hat und eine neue, geheimnisvollere Komponente hinzufügt. Werbung Dieses Intro tauchte bereits wenig später – etwa bei Red Rodney (1946) und Charlie Parker (1947) – so selbstverständlich integriert …
WeiterlesenNolens volens politisch – auch Jazz & Co
In meinem letzten Eintrag habe ich ein paar Variationen über die Käuflichkeit der Jazzkritik publiziert. Die Angelegenheit hat weite Kreise gezogen. Unter anderem wurde nachgefragt, was denn das alles mit der Einladung zu einem Jazzfestival auf die Krim zu tun haben soll. Was denn diese tagespolitische Anspielung soll. Darauf will ich kurz eingehen ohne den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine selbst bewerten zu müssen. Aus der Ferne und der Nachrichtenlage heraus scheint das unmöglich. Nun: Kultur spielt auch in diesem Konflikt eine immer größere Rolle. So sind die Nachrichten, dass russische Beiträge (auch musikalischer Art) teilweise in der Ukraine ganz offen zensiert werden keine Neuigkeit. Wie es anders herum ist, ist mir leider nicht bekannt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies auch von der Gegenseite praktiziert wird, verwunderlich wäre es nicht. Werbung Eine Einladung zu einem Jazzfest auf der Krim, deren Zugehörigkeit strittig ist zwischen der Ukraine und Russland, ist natürlich ein Versuch, Fakten herzustellen. Das betrifft aber nicht nur Jazzkritiker, die dorthin eingeladen werden sollen, sondern auch Musiker, die dort spielen. In der Meldung wurde als deutsche Combo der Auftritt des „Club …
WeiterlesenJazzkritik ist käuflich
Die Dinge sind kompliziert. Neulich übersandte mir Redakteur Andreas Kolb einen Einladung zu einem JazzFestival, das in wenigen Tagen im September auf der Krim stattfinden soll. Rossiya Segodnya International Information News Agency invites Jazz Zeitung to take part in a press trip to the International Jazz Festival Koktebel Jazz Party. The press trip scheduled for September 10-17, 2014 will be held in Koktebel, a picturesque and cozy coastal town in Crimea. Die Sache ist vollfinanziert und so, als ob man Jazzjournalisten einkaufen könnte. (Kann man natürlich und das wird auch gerne, wo Kohle vorhanden, gemacht. So kam ich zum Winterjazz nach Köln dieses Jahr. Ich glaube, das ist nich okay!) Es wirkt in der Tat teils merkwürdig, was man als bezahlter Gast dann schreibt, wo man sich für die Nettigkeit in der Pflicht fühlt. Ich hätte es auch nie gedacht, dass man nach einer Pressekonferenz über die Qualität des Buffetts nachdenkt und, wenn es mal nur Schnittchen gab statt Frikadellen schon enttäuscht ist. Gehätschelt werden wollen, vollkritisch bleiben und so, wie geht das zusammen? Werbung Aber das Geld ist überall knapp. Heute haben die „normalen“ …
WeiterlesenDie chemisch unreine Welt des Jazz
Über die Facebook-Seite der Kolleginnen der Jazzthetik habe ich Kenntnis bekommen von dem Versuch der Konstruktion eines Periodensystems des Jazz, ähnlich gebaut wie jenes, welches man aus der Chemie kennt. Sie zitieren den Originaleintrag: A great poster for the music classroom: www.periodictableofjazz.com. Das hat in der Tat etwas sehr Faszinierendes. Kann man den Jazz wirklich in diesen Linien abbilden und welche Konsequenzen hat das für das Verständnis des Jazz, präziser der Jazzgeschichte. Kann man den Jazz auf Louis Armstrong und Jelly Roll Morton zurückführen, ist die Bedeutung von Miles Davis mit drei Einträgen nicht vielleicht zu zentral gesehen? Oder in den Kommentaren auf der Erstpostingsite: Wo sind die ganzen Frauen? Wo ist der ganze europäische Jazz (außer E.S.T.). Werbung Die hübsche Spielerei zeigt eigentlich damit etwas ganz anderes. Dass der Jazz längst exoplanetarisch geworden sein muss, vor allem die Ursuppe der subatomaren Bauteile (Quarks & Co) ist so umfassend, dass ein Periodensystem schnell an seine Grenzen kommt. Miles Davis ist kein Element, sondern doch eher ein „schwarzes Loch“ oder ein „roter Riese“, oder ein sehr massereiches Element, was viele Zerfallsprodukte kennt. Oder?
WeiterlesenDas Recht auf Improvisation – “I have no more music in me!“
Man müsste es schon genauer beschreiben. Hat man als Hörer eigentlich ein Anrecht darauf, dass Jazzmusiker etwas zu imporovisieren wissen? Bei einem klassischen Konzert bekommt man ja ein Programm, wo drauf steht, was gespielt werden wird. Das ist bei Jazzkonzerten eher selten der Fall. Ich frage nach: Vor geraumer Zeit hat Felix Janosa auf Facebook von einem Konzerterlebnis mit Keith Jarrett berichtet. Der habe in Paris ein Konzert gegeben und dieses nach einer gewissen Zeit abgebrochen. „I have no more music in me!“, soll er gesagt haben. Werbung Beitrag von Felix Janosa. Ich bin nicht sicher. Aber was soll man da machen? Muss ein Musiker dann wie in einem Werksvertrag irgendwie doch weitermachen. Vielleicht hätte Jarrett ja auch einfach ein paar Bach-Präludien hinten an setzen können. Wenn er nicht genug Musik in sich hat, dann gibts ja auch noch genug andere Musik außer ihm. Profi genug ist er ja.
WeiterlesenBayerisches Jazzweekend 2014 – Teil II
Ein paar Fotos haben wir noch vom Jazzweekend. Darunter Die Drei Damen vom Bismarckplatz. Das sind Lisa Wahlandt (Vokal, Glockenspiel), Andrea Hermenau (Vokal, Klavier), Christiane Öttl (Vocal, Bass). Das war schon recht schmusi und lässig. Tolle Musikerinnen, die aber ein bisserl abgekämpft wirkten und, naja, mancher Scherz wirkte eben schon auch etwas abgehangen. Der räumlich verkürzte Platz, gefüllt bis an die Ränder, dankte es ihnen dennoch sehr. Ein bisschen traurig machte es einen dennoch, diese fantastische Pianistin Andrea Hermenau an den Rand gedrückt zu sehen. Aber auch Christiane Öttl legte am Bass einen kessen Groove aufs Parkett. Das alles wird so sehr von Lisa Wahlandt absorbiert und ein bisschen auch verschluckt. Klar, die Routine! Klar, eine saubere Sache! Klar, hohes Niveau! Und dennoch. Irgendwie gebremst. Werbung Vom Rest gibt es nicht mehr so viele Foto von Petra Basche. Regensburg hat ja auch noch andere gute Gründe für einen Besuch. Hier also noch etwas Hüftgold, nicht zuletzt wegen der wunderbaren Beleuchtung der Tubistin, die die Reflektionen des Instrumentes so ungemein warm metareflektiert. Die Musik konnte da nicht ganz mithalten. Auch hier sauber gespielt, aber irgendwie eben …
WeiterlesenImprovisation über Improvisation #7
I – M – P – R – O – V – I – S – A – T – I – O – N . A – I – I – I – M – N – O – O – P – R – S – T – V . V – O – R – M – O – P – I – I – N – A – S – T – I . IM. MP. PR. RO. OV. VI. IS. SA. AT. TI. IO. ON. Werbung ATI. MIN. NPR. PRO. TOP. NSA (→ Ami → Spion → Tarn). VOIP. NATO. TISA… INTRO: Na? „Moin moin“ an: Armin; Ina, Isa, Insa, Iris + Irma; Martin, Marion, Mira + Miro (!!); Nora + Norma; Omar; Omars Oma + Opa; Pit, Pino + Patin; Rami, Rani, Rias, Rita, Rosa + Rosi; Sami, Sani, Siri, Sinti + Roma; Tim + Timo; Tom + Tomi; Toni, Tomas + Vati. Roman ist Romanist. Taoist. Maoist. Primat. Primitiv. Asi. Vampir. Tapir. Mops. Sponti am Main: Anti → Pro. Proviant: Vitamin, Provitamin, Opiat, Anis, Pita, Tran, Spinat, Raps …
WeiterlesenBayerisches Jazzweekend 2014 – Teil I (Galerie)
So ein Wochenende kann schon sehr lang sein. Und wenn man aus Kleinmachnow angefahren kommt, wird es kürzer und kürzer. Bei den vielen Veranstaltungen, die so ein Weekend zieren, ist es dann nicht so einfach, irgendwo ein Plätzchen zu finden, an dem es einen auch wirklich festhält. Garant dafür ist in der Regel ein Platz, an dem der Rundfunk mitschneidet: Also das Thon-Dittmer Palais. Hier gaben sich denn auch die Musiker die Mikros in die Hand.Die JazzZeitung wird meines Wissens einen Artikel zur Veranstaltung in der nächsten Ausgabe bringen. Hier zunächst ein paar Eindrücke von der famosen Pepa. Mehr Fotos dann später beim HuPe-Kollektiv. Werbung Very Kühn Jazz Quartett Zwischenbemerkung Das Weekend kommt ein bisschen in die Tage, scheint es. Es gibt da schon viel musikalischen Leerlauf auf der einen Seite und doch einige Dauerbrenner, die aber auch nicht mehr so wirklich brennen. Wie beim manchem Witz, den man nicht immer wiederholen muss. Das Weekend sagt von sich selbst, es sei ein Fest, kein Festival. Man weiß nicht, wie man es deuten darf. Straßenfest mit Musikern im gleichen Zuge wie die Cocktails oder Würstl, die …
WeiterlesenBakken und Waits – geht das?
Die Mischung ist erst einmal gewöhnungsbedürftig: die melancholisch-schmutzigen Songs des großen Tom Waits, begleitet vom cleanen Sound der hr-Bigband und gesungen von Norwegens Glamour-Star Rebekka Bakken. Doch es funktioniert (meistens), so viel sei an dieser Stelle schon einmal verraten. Die Idee zu dieser Produktion, die Ende Mai auf CD bei Universal erschienen ist, hatte der Bigband-Arrangeur und –Dirigent Jörg Achim Keller. „La Bakken“ wäre selber nie darauf gekommen: „Tom Waits ist so einzigartig“, sagt die Sängerin, „ich wäre nie auf die Idee gekommen, seine Stücke zu interpretieren. „ Trotzdem willigte sie ein und suchte zusammen mit Schäfer 16 geeignete Songs aus, die anschließend passend arrangiert wurden. Der Vokalistin ließ er dabei viel Raum: „Ich war völlig frei“, stellt Rebekka Bakken weiterhin fest, „auf die Musik und meine eigenen Assoziationen und Gefühle zu reagieren.“ Werbung Live zu erleben war dieses Projekt bereits 2013, jetzt liegt die Aufnahme auf CD vor. Natürlich muss man sich erst einmal an die klare Stimmer der Norwegerin, die so fast gar nichts mit den rauen Tönen des Waits-Interpretationen zu tun hat, gewöhnen. Fans beider Künstler werden trotzdem oft ihre Freude an …
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