CD-Rezension: Ehwald-Schultze-Rainey – Behind Her Eyes

Ein Atem, der zum Ton, zum melodischen Motiv wird. Ein Klaviermotiv wie ein Echo. Eine Zäsur, die mindestens genauso viel zu sagen hat, wie der betont offene Dialog, den sich der Saxofonist Peter Ehwald und sein pianistischer Partner Stefan Schultze leisten, zeigt sich gerade zu Beginn des neuen Albums als Prozess des Suchens. Lieber eine Frage zu viel aufwerfen, als irgendwann der Versuchung einer vorschnellen Antwort erlegen sein. Was die beiden seit nunmehr Jahren anpacken, zeugt von tiefem Einklang, der nur so bestehen kann, wenn man die Verschiedenheit zwischen den beiden Charakteren bejaht. Aus dieser Haltung heraus nahmen die beiden den New Yorker Schlagzeuger Tom Rainey in die Mitte. Und der erweist sich in dieser Konstellation als offensiv mitgestaltend, als mächtige Inspirationsquelle. Denn gerade die verschlungenen, asymmetrischen rhythmischen Muster bereichern die intuitive Zweisamkeit von Ehwald/Schultze immens. Die Stücke, die daraus entspringen, gehen in unterschiedliche, selten vorhersehbare, oft auch etwas labyrinthische Richtungen. Aber nie ohne einen dezidierten Ansatz in Gestalt einer kompositorischen Idee. Nichts ist oberflächlich in diesem gemeinsamen Kaleidoskop aus musikalischer Fantasie. Es laufen lassen, wenn etwas gut ist, und manchmal auch kühn auf die …

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Midsummer Jazz: Cæcilie Norby und Lars Danielsson im Hertener Glashaus

Wer heutzutage neue Konzertreihen etablieren will, braucht Durchhaltewillen und Mut. Beides zeichnet Bernd Zimmermann und Susanne Pohlen, die Macher der „Fine Art Jazz“-Konzertreihe aus, die seit fünf Jahren im nördlichen Ruhrgebiet neue Spielstätten erschließen – etwa ehemalige Industriebauten, intime Wasserburgen oder, als jüngster Wurf, das sogenannte „Glashaus“ in der kleinen Ruhrgebietsstadt Herten. Das städtische Gebäude kann mit einer spektakulären Architektur, vor allem mit einem transparenten Dach aufwarten. Das Debut an dieser neuen Spielstätte fiel hochkarätig aus: Mit der Sängerin Cæcilie Norby und dem schwedischen Bassisten Lars Danielsson. Der Tag ging, die blaue Stunde kam – und mit ihm großer Vocal Jazz. Die dänische Sängerin und der Bassist/Cellist aus Schweden fanden schon vor vielen Jahren privat und künstlerisch zusammen. Auf der Konzertbühne lebt eine innige Vertrautheit, bei der sich keiner dem anderen beweisen muss. Und beide sich auch dem Publikum nicht mehr beweisen müssen. Das garantiert eine besonders tiefe Entspanntheit auf der Bühne. Cæcilie Norby singt Jazz und macht vom ersten Moment an klar: Sie darf das. Ihre Stimme ist reif, wirkt tief geerdet, aber kann trotzdem sanft die Seele streicheln. Sie kommt mit ihrem Tonumfang …

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CD-Rezension: Tobias Hoffmann Trio – Blues, Ballads & Britney

Es war klar, dass da noch mehr geht – viel mehr! Tobias Hoffmann, Kölner Gitarrist und ECHO-Jazz- sowie WDR-Jazzpreisträger im letzten Jahr tritt mit einer eigenen starken Stimme auf den sechs elektrifizierten Saiten aufs neue ins Rampenlicht. Sein Markenzeichen: Zum einen die kompromisslose und gnadenlos subjektive Einverleibung großer Songs, gerne aus der Rock- und Popgeschichte. Zum anderen ein erdiger, analoger, warmer, singender, kurz gesagt einfach „großer“ Sound, der auch vor manchem legendären Bluesgitarristen von einst Gnade finden würde. Jetzt hat Hoffmann zehn neue Klassiker vor dem Verstauben gerettet. Aber Hoffmann wäre nicht Hoffmann, wenn er hier deutlich mehr macht, als einfach nur Denkmäler aufzustellen. Will sagen: Aus der Stückeauswahl entsteht etwas organisches, zusammenhängendes – eine ganz typische, oft meditativ fließende Slowmotion-Dramaturgie, die als Soundtrack für alles mögliche taugt. Mit nichts geringerem als einem Prolog im Himmel eröffnet die CD, denn so heißt Duke Ellingtons Stück. Erstmal in die Klangwelt hineintasten, mithelfen, dass sich imaginäre Poren öffnen. Weiter geht die Reise mit dem ewigen Blues als Treibmittel. Cruisen und nie hetzen ist angesagt. Auch wenn Hoffmann wieselflink die Finger einsetzt, liegt immer in der Ruhe die …

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Jazzoffensive Essen: Planungssicherheit für ein herausragendes Festival

Die Jazzoffensive Essen bereichert seit nunmehr fast 20 Jahren mit Ereignissen wie diesen die freie Szene in der Ruhrgebietsmetropole, alles rein ehrenamtlich! Aktuell freut sich der Verein über eine zukunftsweisende öffentliche Förderung: Ab 2017 wird die Jazzoffensive endlich institutionell und eben nicht nur als temporäres „Projekt“ vom Kulturamt finanziell unterstützt. Es muss also nicht jedes Jahr ein neuer Antrag auf einmalige Projektförderung gestellt werden, wo stets die Fortsetzung ungewiss ist. Für Patrick Hengst und Christian Ugurel vom Vorstand der Jazzoffensive war dieser Schritt längst überfällig: „Jetzt haben wir endlich Planungssicherheit, um unsere Sache viel nachhaltiger weiter zu entwickeln.“ Dass solche Förderungen gut investiert sind belegte die jüngste Ausgabe des Festivals der Jazzoffensive Essen im lauschigen Ambiente des Katakomben-Theaeters – ebenso, das da ganz viele MusikerInnen sind, die hungrig danach sind, sich authentisch auszudrücken und dafür Risiken und Wagnisse in Kauf zu nehmen. Daniel Erdmann (Saxofon) Vincent Courtois (Cello), Frank Möbus (Gitarre) und der Schweizer Schlagzeuger Samuel Rohrer zeigten, was herauskommt, wenn man nur konsequent der eigenen inneren Stimme folgt: Oft in harscher Freejazz-Eruptionen gipfelnd, leben im Spiel dieses Quartetts tief berührende melodische Ideen auf, die …

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Zufluchtsstätte und großes Kino: Das 26. Internationale Jazzfestival in Münster

Wie doch die Zeit vergeht! Lucas Niggli, junggebliebener Schlagzeuger aus der Schweiz musste sich selbst schon wundern, dass sein erster Auftritt beim Internationalen Jazzfestival Münster schon 20 Jahre her ist. So „alt“ ist schon die neue Ära des Festivals im Theater im Jahr 1997. Womit sich einmal mehr die krisensichere Tragfähigkeit des Münsteraner-Konzepts bestätigt. Und die Musik? Die ist mitgewachsen, hat sich bewährt und erneuert sich beständig. Auch wenn die Studentengeneration, aus der heraus dieses Festival im Jahr 1979 geboren wurde, erstmal wieder für aufrührerische Jazz-Klänge gewonnen werden müsste…. Auch die aktuelle Festivalausgabe erzeugte einen frischen Mix aus Wiederbegegnungen, Neuentdeckungen, und Weiterentwicklungen – für so etwas beweist der Festivalkurator Fritz Schmücker seit den Gründertagen des Festivals eine sichere Hand! Um in Münster erst mal behaglich anzukommen und sich wieder heimisch zu fühlen, halfen der Jahrhundert-Bassist Renaud Garcia-Fons und der Pianist Dorantes. Für einen solchen Empfang brauchte und gab es nicht wirklich neues musikalisches Vokabular, dafür aber ein Höchstmaß an reifer Interaktion und spieltechnischer Superlative mit Genussfaktor! Wie man aus Altem etwas ganz Neues zaubert, demonstriert das Trio „I am Three“ : Wo der Ideengeber Charles …

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23. UDJ-Jazzforum mit großer Resonanz

Die Union Deutscher Jazzmusiker organisierte für das 23. UDJ-Jazzforum am 17. und 18. November in Köln 25 Workshops, Vorträge, Diskussionen und Konzerte. Laut Veranstalter lockte das über 200 Besucher und Besucherinnen in den Stadtgarten. Der Vorsitzende der UDJ, Gebhard Ullmann, freute sich: „Das Jazzforum, seine Themen und Künstler zeigen die Bedeutung von improvisierter Musik und machen deutlich, dass wir Musikerinnen und Musiker künstlerisch, kulturpolitisch und gesellschaftlich sehr viel beizutragen haben. Wir freuen uns, dass diese Bewegung derzeit auf äußerst fruchtbaren Boden fällt.“ Einen ausführlichen Bericht über das Jazzforum von Stefan Pieper finden Sie in der kommenden Ausgabe der nmz (12/16).

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Steve Reich Six Pianos mit Gregor Schwellenbach – eine Rezension

Von Stefan Pieper – Gregor Schwellenbach, Hauschka, Tobias Brandt, Paul Frick, Erol Sarp und John Kameel Farah sind allesamt gefeierte Meister einer repetitiven Ästhetik, die sich sowohl in der Popkultur, aber auch in der improvisierten Musik und dem klassisch-zeitgenössischen Spektrum zuhause fühlt. Sie sorgen mit spannenden Crossover-Projekten für Furore, wenn etwa Technotracks auf akustische Ensemble übertragen werden. Wenn diese Kenner der Materie nun Steve Reichs Paradestück „Six Pianos“ musizieren, darf man ohne Zweifel Großes erwarten. Und tatsächlich bringen diese sechs Musiker Steve Reichs Musik überaus treffsicher auf den Punkt. Denn die hier angetretenen Tastenkünstler wissen, wie es geht – nämlich in dieser Komposition auf Anhieb jede Nervenzelle beim Hörenden wach zu bekommem. „Six Pianos“ aus dem Jahr 1973 sieht folgendes vor: Im gemeinsamen Miteinander formen insgesamt zwölf spielende Händen eine sich ständig wiederholende Textur. Die hohe Kunst liegt darin, hier ein unwiderstehliches, vibrierendes Sounddesign herzustellen. Es ist ein hauchdünner Grat, auf dem Genialität entsteht, die nach außen Wirkung entfaltet. Sechs Klaviere vereinen sich in der Behandlung dieser sechs Spezialisten zum rundlaufenden, vorwärtstreibenden Motor. Da lebt die Magie des strikten Kontinuums mit sorgsam dosierten Steigerungen. Betonungen …

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Neues vom Pablo Held Trio: CD Lineage

Das Kölner Pablo Held Trio demonstriert seit vielen Jahren, wie eine organische Band-Chemie verlässlich nach innen und außen wirkt – wo sich andere gerne auch mal in zu viel Kurzlebigkeit verzetteln. Vor zehn Jahren traten der Pianist Pablo Held, Bassist Robert Landfermann sowie der Schlagzeuger Jonas Burgwinkel als Newcomer beim Westfalen-Jazzpreis ins Rampenlicht. Mittlerweile sind die drei zwar in vielen Projekten sehr gefragt, aber bleiben im Kern nach wie vor ureigenen Trio treu, mit dem sie auch gerade international auf Tour gehen. Auf der aktuellen Pirouet-CD präsentiert sich ein entsprechend unterschütterlicher hoher Standard, der sich in jedem Moment selbst genug ist – nicht mehr und nicht weniger. Die Vorgängerplatte kam mit ihren Klassik-Bezügen betont balladesk und verinnerlicht daher – das aktuelle Werk sprüht umso mehr vor quirliger Lebendigkeit. Pablo Helds Klavierspiel hat an erzählerischer Eloquenz und über den Dingen schwebender, dezenter Führungskraft noch zugelegt. Es herrscht ein Klima gegenseitigen Vertrauens – bei einer tatsächlich schwindelerregenden Dichte an musikalischen Ideen. Sie sind genauso subtil wie das ganze komplexe Geflecht drumherum, nämlich all die Abspaltungen, metrischen Unregelmäßigenkeiten  und irritierenden harmonischen Farbenspiele. So kann es nur dieses Trio, …

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Tobias Wember & Subway Jazz Orchestra mit neuer CD „State of Mind“

Tobias Wember spielt die Posaune im Subway Jazz Orchestra und leitet auch dieses noch junge 18köpfige Kölner Musikerkollektiv. Schon nach relativ kurzer Zeit markiert ein zweites Album den guten Fortgang der eingeschlagenen Richtung. Der augenblickliche „State of Mind“ – so der Titel dieses neuen Albums, ist auf jeden Fall ein sehr ausgeschlafener. Eine ganze, zusammenhängende Suite will das Wechselspiel eigener Bewusstseinszustände ihres Schöpfers abbilden – die Stücke wurden im Kammermusiksaal des Deutschlandfunks aufgenommen, ebenso machte das Subway Jazz Orchester damit bei vielen  Auftritten etwa in Moers und beim WDR-Jazzpreis eine hervorragende Figur. Tobias Wembers Arrangierkunst lässt es trotz sprühender Spielfreude aller Akteure nie an aufgeräumter Struktur und Klarheit mangeln. Spürbar ist: Möglichst oft live spielen ist Arbeitsgrundlage. Also treibt es zupackend temperamentvoll nach vor, und der ganze melodische Reichtum der Kompositionen blüht farbenreich auf. Klug sind die Kontraste dosiert, die das Durchhören in einem Zug geradezu zwingend machen: Sehr melodisch, gerade hymnisch geht es los, später treiben schroffere, dissonantere Parts die Dynamik auf Siedepunkt – bevor es später wieder lyrischer wird und schließlich mit einer Art Choralmelodie in die Zielgerade kommt. Tobias Wember kann auf …

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Michel Portal mit neuer CD: Radar – Live at Theater Gütersloh

Von Stefan Pieper – Das Theater Gütersloh bietet als moderne Spielstätte auch für Jazz optimale Bedingungen – mittlerweile gehört der im Jahr 2010 fertiggestellte Bau zu den „Lieblingslocations“ des WDR für das Aufnehmen hochkarätiger Konzerte. Der jüngste Wurf der CD-Edition „European Jazz Legends“ legt die Messlatte noch einmal weiter nach oben: Michel Portal und Richie Beirach für eine Konzertaufnahme im Frühjahr 2016 zum ersten Mal aufeinander – hinzu kam die WDR-Bigband als in jeder Hinsicht flexibler Klangkörper. Über drei lange Stücke, die zusammen eine Suite namens „Esquisse“ bilden, gehört die Bühne allein dem französischen, aus dem Baskenland stammenden Reeds-Spieler und dem heute in Deutschland lebenden US-Pianisten. Man fühlt sich vom ersten Ton an erhoben auf ein erhabenes Plateau von musikalischer Reife! Da lebt traumwandlerisch ausgeschlafene Kommunikation zwischen zwei Spielern, die sich nichts mehr zu beweisen, aber dafür umso mehr zu sagen zu haben. Geschichten erzählen, Traumsequenzen abbilden und sich im angeregten Dialog reiben und messen– darum geht es. Die drei Stücke transportieren jeweils andere Grundstimmungen bzw. haben jeweils eine ganz spezifische „Erzählstruktur“. Im ersten Teil geht es betont rezitativisch zur Sache. Wenn Portal dann im …

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