Jazz in Deutschland, Jazz aus Deutschland: ein Fazit zur Messe jazzahead 2023

Unter jazzahead-Bedigungen geht Einiges: ein Bericht von der aktuellen Ausgabe der weltgrößten Branchenmesse für den Jazz

Drei Tage trafen sich in Bremen Musikerinnen und Musiker, Kulturschaffende, Kulturverwaltende, Fördernde, Medienleute oder einfach nur Jazzfans. Das Kerngeschäft der jazzahead ist klar definiert: Es sind die persönlichen, oft spontanen Begegnungen „Face to face“ – und damit gibt es in Bremen ein verlässliches Gegengewicht zum sonstigen Berufsalltag in einer stark digital vernetzten Kulturwelt.

Es gibt Jazz in Deutschland, aber auch Jazz aus Deutschland. Ersteres beschreibt vor allem eine hiesige Szene, die aus vielen lokalen und oft auch prekären Mikro-Biotopen besteht. Eine starke hiesige Szene ist ein wünschenswerter Zustand, für den sich die jazzahead seit ihrer Gründung tatkräftig engagiert. Umso mehr, als die weltgrößte Branchenmesse für Jazz diesmal das eigene Gastgeberland als Partner „einlud“. Der Messebetrieb, die offiziellen Veranstaltungen und Diskussionspanels plus ein riesiges, öffentliches Konzertmarathon – diese drei Paralleluniversen waren auch im zweiten Jahr nach der Pandemie wieder prall gefüllt. Erleichterung liegt in der Luft, dass die Pandemie den Jazz nicht zur Strecke gebracht hat. Nach der Euphorie im letzten Jahr überwog in diesem Jahr wieder eine entspanntere Routine in den Messehallen. Diesen Eindruck teilt auch Senior-Chef Uli Beckerhoff und hat eine Erklärung dafür: „Viele Aussteller sind Wiederholungstäter, die haben sich hier jede Hektik abgewöhnt.“ Die Themen sind zahllos mit Gesprächspartnerinnen und -partnern aus aller Welt, dabei auch die Ukraine, asiatische Länder, das Baltikum oder das Baskenland. Die Szene lebt und organisiert sich auch immer besser. Wo tatsächlich, gerade in hiesigen Gefilden überall der Schuh drückt, erschließt sich meist erst in persönlichen Gesprächen abseits der Messehektik. Am Stand der Deutschen Jazzunion konnte man die druckfrische Neuauflage der Studie über Lebens- und Arbeitsbedingungen nachlesen. Nicht vieles hat sich demnach real geändert verglichen mit den Erhebungen im Jahr 2016.

„Nachhaltig“ braucht vor allem „flächendeckend“

Kulturstaatsministerin Claudia Roth stattete der jazzahead einen Besuch ab und beschwor zu Recht die Kunst (und gerade auch den Jazz!) als „Stimme der Demokratie“. Und ja – es braucht Nachhaltigkeit auf vielerlei Ebenen! Wenn die Kulturministerin eine Milliarde Euro für die Kultur verspricht, klingt das schön. Ein Kulturpass für finanziell schwache junge Menschen verhilft zur Partizipation. Damit öffentliches Geld jetzt sinnvoll fließt, dafür müssen Baustellen in ihrer Tiefe analysiert werden. Veranstaltern, die aus Angst vor Publikumsschwund Hutkonzerte geben, nützt ein  Kulturpass herzlich wenig. 18 Hochschulen in diesem Land setzen nach wie vor immer neue Jazzmusikerinnen und -musiker in die Welt, die wiederum Auftrittsmöglichkeiten brauchen. Und diese (über-) leben auf die Dauer nur durch eine flächendeckende Spielstätten-Förderung. Überhaupt gehört das Wort „flächendeckend“ ebenso ins programmatische Vokabular wie der inflationäre Nachhaltigkeitsbegriff.

Damit „Jazz in Deutschland“ wirklich als „Jazz aus Deutschland“ mehr Ausstrahlung anderswo entfaltet, dafür braucht es Exportförderungen, wie sie in vielen Nachbarländern Standard sind, worüber man an zahlreichen Länder-Messeständen auf der jazzahead reichlich erfahren kann. Die Initiative Musik ist übrigens an diesem Thema produktiv dran, sei hier noch erwähnt.

Showcase-Konzerte sind die Seele der jazzahead

Die Seele der jazzahead ist die Musik. Mehrere Auftragsprojekte rückten das Gastgeber- und Partnerland in den Fokus. Und wegen der Showcase-Konzerte lohnte es sich auch mal, so manche  offizielle Bekundung zu schwänzen: Zeitgleich mit der Eröffnungsveranstaltung lief eines der spektakulärsten Konzerte dieser jazzahead-Ausgabe: Die Musik des Berliner „Andromeda Mega Express Orchestra“ klingt wirklich so, wie der Name verheißt. Ist Sun Ra von irgendeinem anderen Planeten zurückgekommen? Vielleicht – aber er begegnet hier einer mächtigen zeitgenössischen Gegenwart, die alle endlosen polyrhythmischen Kollektiv-Improvisationen kreativ weiterdenkt.

Viele Bands warten nach der jazzahead mit Spannung darauf, ob sie irgendeine Anfrage aus dem Ausland bekommen. Vielleicht war ja ein einflussreicher Booker im Publikum, genau darum geht es auf dieser weltgrößten Jazz-Kontaktbörse. Auch der Band „Mother“ der griechisch-deutschen Bassistin Athina Kontou (Unser Titelfoto) mit ihrer Fokussierung auf griechische und armenische Musikstile kann man nur wünschen, dass ihr ergreifendes Konzert zusammen mit Luise Volkmann (sax), Dominik Mahnig (Drums) und Lucas Leidinger (piano) in neuen, internationalen Auftrittsangeboten Widerhall findet.

Innige Venue mit unromantischem Namen

Eine innige Venue mit unromantischem Namen ist das Kulturzentrum Schlachthof. Meist brechend voll, potenziert sich hier eine vibrierende Club-Atmosphäre. Entsprechend unwiderstehlich betörte hier jene „dystopische Romantik“, welche dem Gesangsstimme von Lucia Cadotsch anhaftet, die hier als „Liun and the Science Fiction Orchestra“ auf eine starke emotionale Reise entführte.

Auf einer intensiven lyrischen Schwingung war das Oktett „Multiphonics 8“ der Bassistin Gina Schwarz unterwegs. Aus dem Songmaterial des großen Nick Drake breiten sich hier feingesponnene Gewebe aus, in denen vor allem die Holzbläsersection (unter andere mit Annettey Maye, Klarinette und Steffen Schorn) eine große Leuchtkraft entfaltete.

Dass eine definitive Traum-Band unter jazzahead-Bedingungen noch mal über sich hinaus wachsen würde, scheint kein Wunder: Daniel Erdmanns aktuelle Band „Therapie de Couple“ ist zu wünschen, dass hier so schnell nichts „wegtherapiert“ werde: Vor allem der Teufelsgeiger Theo Ceccaldi und der Cellist Vincent Courtois explodierten vor virtuosem Spiel-Feuer. Als hellwach beflügelnde Bereicherung ergänzte Eva Klesse am Schlagzeug diese Band.

Malstrom, bestehend aus den Musikern aus NRW, nämlich Florian Walter (sax), Jo Beyer (drums) und dem Gitarristen Axel Zajac ist eine weitere Band, die so klingt, wie sie heißt, aber ihren Strom aus purem energetischen Klang auszudifferenzieren weiß. Dass diese progressive Spielart von „Jazz aus Deutschland“ im Ausland extrem gut ankommt, haben die drei schon häufiger erlebt. Aktuell stehen neue große Pläne an: Es soll nach Japan gehen und später im Jahr nach China. Besprochen wurde alles dafür auf der jazzahead…

Text und Fotos: Stefan Pieper

Das Beitragsbild zeigt Luise Volkmann und Athina Kontou

 

 

Der tägliche
JazzZeitung.de-Newsletter!

Tragen Sie sich ein, um täglich per Mail über Neuigkeiten von JazzZeitung.de informiert zu sein.

DSGVO-Abfrage *

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.