Universalist, Forscher, Musikant – Zum Tod des Jazzpianisten und Komponisten Chick Corea

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Chick Corea war ein Meister des Verspielten. Natürlich ist das eine Vereinfachung. Denn hört man seine Improvisationen mit dem analytischen Ohr oder vertieft sich in Notenblätter und Partituren seiner zahlreichen Kompositionen, wird die Leichtigkeit der Oberfläche schnell zu profunder Komplexität der Gestaltung. Aber darum ging es ihm nicht. Musik sollte zugänglich wirken, greifbar sein, ihm selbst, seinen Mitmusikern und dem Publikum Freude machen. Ein Medium, das die eigene Inspiration beflügelt und die Neugier befeuert. Kurz bevor er am 9. Februar 2021 in Tampa, Florida, an einem spät diagnostizierten, bösartigen Krebs starb, gab er der Welt noch eine über seine Website verbreitete Botschaft mit: „Ich danke allen auf meiner Reise, die geholfen haben, das Feuer der Musik am Lodern zu halten. Ich hoffe außerdem, dass alle, die eine Ahnung vom Spielen, Komponieren, Auftreten haben, das auch weiterhin machen, wenn schon nicht für sich selbst, so doch für alle anderen. Die Welt braucht nicht nur mehr Künstler, Musik macht einfach auch unglaublichen Spaß“.

Und dieses Motto trieb ihn an, ein Leben lang. Schon in jungen Jahren hörte Armando Anthony, am 12.Juni 1941 in Chelsea, Massachusetts geboren, viel Musik, die vor allem Freude machte. Als Kind startete er mit klassischem Unterricht, landete aber auch am Klavier der Dixie-Kapelle seines Vaters. In der frühen Sechzigern zog Corea nach New York, bewährte sich in der Latin-Szene und stellte sich 1966 mit seinem Debüt-Album „Tones For Joan’s Bones“ vor. Es gab viel auszuprobieren, Bands von Free bis Psychedelic, neue Instrumente wie die E-Pianos von Wurlitzer und Fender Rhodes, archaische erste Synthies. Corea war dabei, wissbegierig, risikobereit, und als der Pate der Jazzmoderne Miles Davis Musiker für seine Experimente mit Rockelementen suchte, empfahl ihn Tony Williams 1968 in die Peer Group der Szene. Das war der Startschuss seines von da an kaum noch zu bremsenden Künstlerlebens.

Corea gehörte zum Team von „Bitches Brew“ und vier weiteren Davis-Wegmarken des Jazzrocks, traf dort auf Gleichgesinnte, mit denen er nahezu simultan im Quartett „Circle“ das freie Spiel auslotete. Kaum erforscht, hob er 1972 „Return To Forever“ aus der Taufe und entwickelte die Band zügig von kammermusikalischer Weltmusik zu einer Fusion-Autorität. Gleichzeitig reduzierte er die Opulenz, startete mit dem Vibraphonisten Gary Burton und „Crystal Silence“ (1972) seine Erkundungen der kleinen Form, denen zahlreiche Solos und Duos mit Herbie Hancock, Bobby McFerrin oder auch Béla Fleck folgten. Seine Latin-Ader verfolgte zu den Ursprüngen mit „My Spanish Heart“ (1976) und als die Jazzwelt mit dem Tod von Bill Evans das Klaviertrio beerdigte, hielt er mit „Trio Music“ (1981) dagegen. Er schrieb für Kammerensembles und Orchester, reaktivierte die Kunst der Albumblätter mit „Children’s Songs“ (1984) und pflegte seit Mitte der Achtziger gleichberechtigt seine elektrischen und akustischen Projekte. Chick Corea wurde zur Konstante der Jazzwelt, zum Mentor junger Talente, lockte großes Publikum mit ständig wechselnden Klang- und Stilkombinationen in die Säle. Er forderte Offenheit im Hören, Denken, Spielen und belohnte sie mit dem musikantischen Genie eines neugierigen Universalisten, der mit jedem noch so virtuosen Ton auf die Schönheit des Kleinen, Augenblicklichen, Spielerischen verwies. Ein wundervolles Erbe für alle, die folgen!

Text und Beitragsbild: Ralf Dombrowski

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