Stefan Schultze, Piano im Sowieso. Foto: Hufner

Standortbestimmung Jazz 2019 (in Berlin)

Mit einem Vortrag und einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wie steht es um den Jazz 2019 – Eine Standortbestimmung“ startete die erste Berliner Jazzwoche. Zwischendrin: Stefan Schultze mit einem Solo am präparierten Klavier.

Wolf Kampmann, Journalist. Foto: Hufner

Es ist richtig: Man muss diese beinahe absurde Frage immer wieder aufwerfen. Sie ist essentiell, wenn man wissen will, wo der Jazz nicht nur an sich, sondern auch in seinem Zusammenhang mit anderer Musik, anderen Künsten und nicht zuletzt auch im Gefüge der kulturellen und politischen Verfasstheit der Welt steht. Wolf Kampmann war es zugedacht, dies grundsätzlich anzugehen. Seine erste provokative These lautete daher: „Die Welt ändert sich, aber der Jazz bleibt, wie er ist.“ Dies war leichthin gesagt. Und so begann er Löcher in diese These zu bohren, vor allem in den zweiten Teil seiner Aussage. Denn dass die Welt sich ändert und laufend neue Situationen für die Jazzszenen bereitstellt, dürfte unbestritten sein. Ebenso, dass die aktuellen Herausforderung bis hin zur Klimafrage und den rechtspopulistischen Angriffen auf die offene Gesellschaft das Thema „Jazz“ zu einem mikroskopischen verkleinern in der Lage sind.

Kampmann engte dabei die Fragestellung dabei unnötigerweise auf den Standort Berlin ein. Aber man war ja in Berlin und Berlin eilt ja der Ruf voraus (oder hinterher), das New York Eurasiens zu sein. Mindestens in Sachen Jazz. Eine kleine Kollektion der Thesen Kampmanns hören Sie hier in drei Thesen, zusammengeschnitten nachhören: Wer braucht den Jazz? Die Hörer und der Jazz! Veränderliche Mikrobiotope. Untermalt übrigens mit zwei Ausschnitten aus Stefan Schultzes Solo am Klavier.

Schultzes Auftritt am präparierten Klavier spiegelte all das wider, was so viel Vergnügen an der musikalischen Spielform Jazz bereitet. Das Experiment, das Konventionelle, das sich als nach oben offene Komplexität zeigt, die Struktur der Überraschung und der Unterraschung. Eben das Spiel mit Erwartungen und deren produktiven Enttäuschungen. Nicht zuletzt der unbedingt „Live-Style“, der sich dem Raum seines Geschehens anpasst. Hier der Lokalität mit dem beredten Namen „Sowieso“ im Kern von Neukölln.

Die sich daran anschließende Diskussion von gut 90 Minuten schloss an Kampmanns Grundrumschlag an, war aber mit Vertretern aus am Jazz beteiligten Subsystemen fast vollständig besetzt: Musikerin (Kathrin Pechloff, IG Jazz, Musikerin), Veranstalter (Udo Muszynski), Journalist (Wolf Kampmann) und Tonträger-Herstellerin (Stefanie Marcus, Traumton Records). Es fehlte allein ein(e) Konsument(in), der zwar alle auf dem Panel auch sind, aber eben auch das beruflich mehr oder weniger.

Die 90 Minuten Diskussion leitete der Musikjournalist Hans Jürgen Linke. Die Diskussion war voll mit streitbaren Aussagen und so wurde auch viel gestritten, wenngleich manchmal im Kreise. Ein bisschen Redundanz schadet freilich auch nicht. Die Fragestellungen gilt es aber aufzudröseln.

Jazz und Marketing

Im Grunde beginnt und endet schon alles bei der Frage, was denn überhaupt Jazz sei. Und zwar aus der Sicht der Hörenden. Offenbar ist gegenüber Jazz eine großer Zugangsbarriere vorhanden. Der Begriff „Jazz“ scheint komplett marketingresistent zu sein und zugleich historisch derartig korrumpiert (mindestens in Deutschland), dass man damit, ja was eigentlich, verbindet. Etwas jedenfalls, was nicht attraktiv nach außen zu kommunizieren ist. Ich sehe dafür viele Ursachen und Gründe, aber in der Diskussion wurde da nicht weiter gegraben. Denn andererseits hilft die Kenntnis der Gründe und Ursachen wahrscheinlich auch nicht groß weiter. In der Diskussion entspann sich daraus und an Kampmanns Vortrag die Frage: Soll man, kann man die Hörenden „abholen“?

Abholen oder einladen oder stehenlassen?

Hier tun sich die Gräben dann schon auf: Für Stefanie Markus von Traumton Records ist es natürlich essentiell, Hörende an Musik zu binden, für den Veranstalter Udo Muszynski gilt das ebenso, wohingegen für die Künstlerin Kathrin Pechloff gilt: Ich mache meine Musik!

Diskussion: Pechloff vs. Marcus

Es gelte vielmehr, zu kommunizieren. Darauf konnten sich alle einigen. Gleichwohl blieb damit das Problem bestehen. Wie kann man etwas kommunizieren, was einerseits so vielförmig ist und andererseits in sich geschlossen als Szene besteht. Wer dem Jazz nahe ist, der ist es eigentlich sein Leben lang. Aber durchaus nicht in all seinen Spielweisen und -formen. Ein Produkt, das es als solches nicht gibt, lässt sich schwer kommunizieren oder vermitteln.

Das Panel. Foto: Hufner

Umso erstaunlicher muss es erscheinen, dass das oben genannte Problem, nämlich dass es ein grobgesellschaftliches Vorurteil über „den“ Jazz gibt, zugleich existiert. Das kommt einer Qaudratur des Kreises nahe, was sich man wollen will auch wenn man es so nicht können kann. Anderes Thema:

Akademisierung des Jazz

Auf der einen Seite begrüßt man es, dass es mittlerweile so viele Möglichkeiten gibt, Jazz zu studieren. Zugleich beklagt man, dass sich damit die Szene der Musikerinnen erheblich verdichte. Der Topf aus dem alle schöpfen könnten wird immer enger. Vor allem in den Großstädten. Damit einher gehe auch eine Akademisierung des Musizierens, das mittlerweile ungeheuer probenaufwendig werde, die die Musikerin Pechloff sagte. Andererseits ist der Ausbau der Studiengänge Jazz wiederum nett, denn damit würden Arbeitsplätze geschaffen, die Jazzmusikerinnen ein lebenswertes Einkommen garantieren können. Problem hierbei: Da die Studiengänge jung sind und die entsprechenden Professuren besetzt wären mit ebenfalls jungen Musikerinnnen, sind diese auf lange Zeit „besetzt“. Anderes Thema:

Projektitis

Der Jazz in seinen Erscheinungsformen ändere seine Gestalt auch aktuell dadurch, dass es mittlerweile größere öffentliche Töpfe gebe, an die man aber herankommen müsse. Folge: Die Jazz-Projekte entstehen in einer Form, die den Vorgaben der Förderer entsprechen müssen. In deren Jurys sitzen dann wieder jene, denen man nach dem Mund zu reden habe. Es fiel das Wort: Mauschelmasse. Projektantragslyrik ist die eine Folge, die andere: Man orientiert sich gegebenenfalls an dieser Fremdautonomie. Gleichzeitig sinken Einnahmequellen aus Stiftungen infolge der aktuellen Zinsentwicklung. Anderes Thema:

Grundsicherung

Stefanie Marcus empfahl, man weiß nicht so genau, ob es ganz ernst war: Man müsse eine Grundsicherung für Jazzmusikerinnen bereitstellen, um eine halbwegs freie und gesunde Jazzlandschaft zu gewährleisten. Problem: Diese Autonomie entkoppelt wiederum die Beziehung zwischen Publikum und Kunst. Aber: Wenn das Publikum ja doch sowieso nicht zum Jazz will? Anderes Thema:

Kostenlos-Kultur und Publikum

Einerseits mache man ganz gute Erfahrungen damit, wenn Veranstaltungen ohne die Zugangsbarriere „Eintritt“ bestritten würden. Der Veranstalter aus Eberswalde Udo Muszynski hat damit ganz gute Erfahrungen gemacht. Andererseits, so Stefanie Marcus, wirkt das auf eine allgemeine Empfindung hin, nach der Kunstzugang allgemein kostenlos (oder sehr günstig) sein müsse. Siehe Streaming-Kosten bei Spotify, Umsonstkultur bei Youtube. So erzieht man sich eine allgemeine Haltung gegenüber Kunst, die die Künstlerinnen nicht lebensfähig machen könne. Den Ausweg, also die Veranstalterinnen stärker zu fördern (Spielstättenförderung etc.) könne man empfehlen, aber das löst das Problem auch nicht für den großen Topf.

Fazit

Das waren nur kleine Eckpunkte der Diskussion, die sich auch um die Rolle des Journalismus drehte (ohne Erwähnung des Rundfunks übrigens!) sowie den Begriff der Subventionskultur, Hochkultur, etc. Man muss dabei leider zum Schluss kommen. Die Welt ändert sich, der Jazz ist vital, aber im Grunde sind beide Welt zutiefst kaputt. An allen möglichen Stellen wird der Versuch unternommen, Probleme zu reduzieren. Aber das Ganze lässt sich gar nicht fassen. Es wird wohl auch deshalb kaum möglich sein, alle „glücklich“ zu machen. Flurschäden werden nicht ausbleiben und dabei wird es auch solche treffen, die es so nicht verdient hätten.

Nur das Grundsatzproblem ist stets das Gleiche. Wer braucht diesen Jazz, den es als „den“ Jazz nicht gibt. Als gesellschaftliches Glasperlenspiel zwischen Eingeweihten wird es schwer sein, ihn auf Dauer zu positionieren, so dass er auch „Beruf“ sein kann. Es wird wohl immer diejenigen geben, die davon leben können (auch gut leben können) und es wird all diejenigen geben, die Jazz nicht zum Beruf machen können. (Und auch hier darf man sich fragen: Ist das überhaupt die richtige Zielorientierung: Jazz als Beruf – was ist ein Beruf und warum ist es so wichtig, einen solchen zu haben.) Typisch für diese Veranstaltung ebenso: Im „Sowieso“ fanden sich zur Veranstaltung gerade mal ca. 30 Personen ein (inklusive Panel und Musiker). Und das in einer Dreieinhalbmillionenstadt! Das ist eben auch Jazzstadt Berlin! Au weia!!

  • Wie auch immer 1: Was gut organisierte Arbeit im politischen Sinn bewirkt, lässt sich auf der Website der IG Jazz Berlin nachlesen.
  • Wie auch immer 2: Die erste Jazzwoche Berlin ist gestartet. Informationen zum Programm bis zum kommenden Wochenende finden Sie hier. Viel Spaß dabei.
  • Wie auch immer 3: Warum man Jazz braucht, weil solche Musikerinnen wie Stefan Schultze einem großartige Musik auf den Punkt präsentieren. Danke für den Auftritt im Bühnenkabuff des „Sowieso“ und Entschuldigung, dass ich Ausschnitte vom Auftritt unter die Worte von Wolf Kampmann gelegt habe.

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