Musik aus Stadt und Sand – Rudi Mahall und István Grencsó veröffentlichen CD „Marginal Music / Rétegzene“

Von Mathias Bäumel – Da treffen zwei der fulminantesten und ausdrucksstärksten Holzbläser ihrer Länder – der Deutsche Rudi Mahall und der Ungar István Grencsó – aufeinander, und was wird gespielt? Eine zwar kraftvolle, aber dennoch überaus lyrische, atmosphärische Musik. Die beiden kommen bekanntlich aus verschiedenen Freejazz-Kulturkreisen. Mahall ist stark geprägt von der Berliner Großstadt-Jazz-Atmosphäre, ist bekanntgeworden durch Gruppen wie Der Rote Bereich, Günter Adler oder Die Enttäuschung, durch seine Zusammenarbeit mit Aki Takase und vor allem durch seine Mitwirkung am Projekt „Monk’s Casino“, der einzigartigen Einspielung der Kompositionen Thelonius Monks. Mahall steht für eine souveräne Verbindung von Free Jazz mit Bebop und dem Großstadt-Jazz früherer Zeitepochen. Grencsó dagegen entstammt dem eher ländlichen Nordosten Ungarns, in dem auch slowakischer, ukrainischer und rumänischer Kultureinfluss spürbar ist. Seit mehr als zwei Jahrzehnten mit eigenen Projekten eine individuelle Stimme im Jazz Ungarns, zeigt sich István Grencsó doch stark geprägt vom großen György Szabados und dessen Balance von freien Improvisationen, folkloreinspirierten Melodien und vorgegebenen Strukturen. Durch seine Mitwirkung im Ungarischen Königlichen Hoforchester (Magyár Királyi Udvari Zenekar – MAKUZ) hatte Grencsó Anteil an der Einspielung der von György Ligeti hochgelobten CD »Homoki Zene« (Sandmusik), eine der bedeutendsten – aber oder weil ungarischen – Freejazz-CD der Musikgeschichte überhaupt.

Das auf dieser CD zustande gekommene Miteinander der beiden, unterstützt durch ein hervorragendes Ensemble, lässt aufhorchen. Schon der sehr lyrische, atmosphärische Einsteiger „Give as God“ zaubert eine faszinierende Stimmung in den Raum. Im Kontrast dazu das energische, forsche Stück»From Beyond the Margins«, in dessen Verlauf István Grencsó mit einer rasanten Altsax-Improvisation glänzt, die dann von Rudi Mahalls Bassklarinetten-Solo in bester swingiger Bop-Manier aufgefangen wird. Klasse! Dass die Rhythmusgruppe (Róbert Benkö und Ernö Hock, bass; Szilveszter Miklós, Drums) und der Pianist (Máté Pozsár) jede Wendung in Tempo, Harmonie und Ausdruck sensibel mitgestalten, muss herausgestellt werden. Gegen Ende des Stückes kommt es zu einem funkelnd-schönen Dialog zwischen Flöte und Piano – eine Musik wie Sternenglitzern!

Besonders stimmig klingt die Musik der „Marginal Music“-CD dann, wenn Mahall zu seiner Bassklarinette greift; das Ensemble erreicht dadurch einen ausgewogenen, warmen Sound. Interessant dabei ist, dass durch Mahalls Mitwirkung auch der Eindruck entsteht, als hätten die Kompositionen Grencsós einen etwas anderen Charakter als auf anderen CDs des Saxophonisten. Die Begegnung von Mahall und Grencsó – symbolisch gesprochen eine Musik aus Stadt und Sand.

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