Musikerbiografien als anonyme Hörbücher veröffentlicht

BakerAus unserer aktuellen Printausgabe, von Marcus A. Woelfle – Ich habe in meiner Laufbahn Vieles erlebt: Mir wurden Texte unterschoben, während meine Passagen in Artikeln anderer auftauchten. Meine Worte wurden von wohlmeinenden, doch kenntnislosen Korrekturlesern verschlimmbessert, sinnentstellend gekürzt und verändert. Einmal wurde sogar ein von mir geschriebenes Buch um ein Drittel gekürzt, obwohl ich es diesmal geschafft hatte, die exakte Zeichenzahl zu liefern. Das Resultat strotzte vor Fehlern, unverständlichen Passagen und wurde um ein unfreiwillig komisches Vorwort „ergänzt“. Mochten mich auch die Änderungen vor Schrecken erbleichen oder vor Scham erröten lassen, die Ehre der Autorschaft ließ man mir, selbst wenn mein Name bisweilen mit „k“ und/oder „ö“ entstellt wurde. Doch der folgende Fall ist einmalig. Eigentlich schreibt man nicht über seine eigenen Werke, jedenfalls nicht ohne triftigen Grund. Bei ohne Autornennung oder unter Pseudonym erschienenen Werken hat die Selbstrezension allerdings eine kuriose Tradition. Sein 1782 anonym erschienenes Schauspiel „Die Räuber“ besprach Friedrich Schiller ebenso anonym, nicht einmal sonderlich wohlwollend. Als im Jahr 1900 „die Steckbriefe erlassen hinter dreißig literarischen Uebelthätern gemeingefährlicher Natur“ unter dem Pseudonym Martin Möbius erschienen, rezensierte sie ihr Autor Otto Julius Bierbaum mit Gusto. Beide wollten unerkannt bleiben. Ich hingegen verfolge die gegenteilige Absicht. Ich greife hier zur Feder, um zu bekennen: Ich bin der ungenannte Verfasser der soeben in veränderter Ausstattung neu aufgelegten Hörbücher „Die Chet Baker Story“, „Die Thelonious Monk Story“ und „Die Charles Mingus Story“. Der Name Marcus A. Woelfle findet sich weder über noch unter den Titeln, weder auf dem Rücken, noch auf der Rückseite, und nicht einmal auf der CD selbst. Er findet sich im Falle von Baker und Monk überhaupt an keiner einzigen Stelle. Im Falle von Mingus kann man ihn mit der Lupe auf der Innenseite des Inlays im Tracklisting der 5. CD, des eigentlichen Hörbuches finden. Das Tracklisting der jeweils 5. CD wurde aber bei den beiden anderen Hörbüchern weggelassen. Der Name eines Autors gehört natürlich, wie bei jedem Hörbuch, auf die Titelseite. Dort steht lediglich „Die … Story gelesen von Rufus Beck“. Man könnte lange darüber spekulieren, warum mein Name vergessen wurde. Will man den Eindruck erwecken, der fraglos berühmtere Rufus Beck sei der Autor? War es Schlamperei eines überforderten Praktikanten? Jedenfalls hält man den Autor für so nebensächlich, dass man mich nicht einmal über die Veröffentlichung informierte; womöglich fürchtete man Honorarforderungen. Ich erkenne nur, dass in der Copy & Paste-Ära der gekauften Doktorarbeiten Autorenrechte ohnehin als vernachlässigbare Größe gelten – und das geht nicht nur mich, sondern all jene an, die Wissen, Können, Zeit und Herzblut in etwas investieren. Nun könnte man spekulieren, meine Texte seien so schlecht, dass es ratsam sei, meinen Namen zu verschweigen. Dagegen spricht, dass die „Stories“ bei der Erstveröffentlichung durch Zyx Anklang bei ausgewiesenen Kennern fanden. Das Jazzinstitut Darmstadt schrieb: „Nie waren einem die Jazzlegenden näher als in Woelfles Texten.“ Der unvergessene Konrad Heidkamp schrieb in der „ZEIT“: „Der Musikpublizist und Geiger Marcus A. Woelfle, Jahrgang 1964, vertraut auf sein profundes Wissen, schreibt nicht heute, was er sich erst gestern angelesen hat, und erzählt die Geschichten im Bewusstsein der Gefahr, dass sie sich über die Musik legen können und man also nur hört, was vorher zu lesen war. So bleibt er vorsichtig, verknüpft die Anekdoten mit der Analyse, zitiert Stimmen und zieht seine eigenen Schlüsse (denen man nicht immer folgen muss). Dabei hilft, dass die Musik in Ausschnitten oder vollständig zwischen die Erzählung gestreut ist, als Beleg und zum Atemholen. Eine zweite CD enthält 70 Minuten klug ausgewählte Stücke. Und man profitiert von der Stimme Rufus Becks, der virtuos liest, wandelbar und so konzentriert und zügig, als wolle er selbst wissen, wie es weitergehe in diesen Biografien gespaltener Persönlichkeiten. Auch beim Pianisten Thelonious Monk und beim Bassisten Charles Mingus, beide Komponisten ersten Grades, lebt die vorgetragene „Story“ ihres Lebens von der Unvereinbarkeit von Alltag und Kunst, von Weiß und Schwarz. So flüchtet Charles Mingus in die Wut, Chet Baker in die Drogen und Thelonious Monk ins Schweigen. Den Schwarzen war Baker zu weiß, den Weißen Mingus zu schwarz und Monk warf man vor, er könne ohnehin nicht spielen. Bis er eines Nachts bei einem Radiosender anrief und klarstellte: „Das Klavier hat keine falschen Noten.“ Geschichten, auch das wird hörbar, können nur entstehen, wenn Kunst die Gesellschaft herausfordert und diese zurückschlägt.“ (Die ganze Rezension kann man online nachlesen: http://www.zeit.de/2005/25/D-Aufmacher) Und sein Schweizer Kollege Johannes Anders urteilte: „Das hat meines Wissens noch keine Text-Musik-Edition bisher geschafft, derart umfassend und eindringlich auf Leben und Werk dieser grossen Jazzmusiker einzugehen. (…) Der bekannte Münchner Schriftsteller, Journalist und Jazzspezialist Joseph von Westphalen (…) schrieb über Woelfle in der Süddeutschen Zeitung: ‚So wie Joachim Kaiser’ (der Doyen der deutschsprachigen Musik- und Kulturkritik – ja) ,den Menschen die Klassische Musik nahe bringt, so macht es Marcus A. Woelfle mit dem Jazz’ (…) Alle drei Hörbuch-Editionen sind alten Jazzhasen wie jungen Jazzhörern und –Interessenten gleichermassen wärmstens ans Herz gelegt und sehr empfehlenswert!“ (vollständige Rezension: http://www.andersmusic.ch/01_musik/03_H_Buch/baker_monk_mingus_.html) Die Texte sind offensichtlich so lesenswert, dass sie auch andere auf den Plan riefen. Der Schauspieler Uwe Ochsenknecht las „Die Chet Baker Story“ bei multimedialen Veranstaltungen mit den Trompetern Gerard Presencer und Julian Wasserfuhr, während „Miss Nightingale“ die Sängerin Corinne Chatel, in ihren Monk-Konzerten „Die Thelonious Monk Story“ nicht nur auf Deutsch, sondern sogar auf Französisch vortrug. Die „Stories“ bestanden ursprünglich aus zwei CDs; eine davon enthielt nur eine von mir getroffene Musikauswahl, die auf das Hörbuch abgestimmt war. Die reine Musik-CD wurde nun weggelassen. An ihrer Stelle wurden auf die umfassenden Werkschauen der 4-CD-Boxen von „The Evolution Series“ (BHM) zurückgegriffen. Die Auswahl bei Baker und Monk stammt noch von mir (was freilich nicht vermerkt wird), und zeichnet daher auch in beiden Fällen eine chronologische Entwicklung der beiden Künstler bis 1957 nach (Evolution!). Bei der Mingus-Zusammenstellung war man wohl ratlos. Man orientierte sich zwar an meiner Mingus-Box „80th Birth- day Celebration“ (Zyx), brachte aber die planmäßige Reihenfolge durcheinander und fügte andere Stücke ein. Konnte man in der Erstausgabe der „Charles Mingus Story“ noch 50 Minuten aus den 60er-Jahren hören, so bleibt die Mingus-Auswahl (mit Ausnahme eines kurzen Ausschnitts in der Lesung selbst) 1955 stehen. Man lässt seine wegweisende Musik der späten 50er- und frühen 60er-Jahre außen vor – wahrscheinlich muss ich auch noch froh sein, dass diese eigenwillige Zusammenstellung nicht mit meinem Namen in Verbindung gebracht wird. Eine Unterschrift ist ein Bekenntnis; mit dem Namen übernehmen wir Autoren Verantwortung für Inhalt und Qualität des Geschriebenen. Und: Wir leben von unserem guten Namen. Marcus A. Woelfle

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