Frankfurter Jazzgröße: Nachruf auf Emil Mangelsdorff

„Deutschen Jazz gibt es nicht“, hat Emil Mangelsdorffs jüngerer Bruder, der Posaunist Albert Mangelsdorff einmal gesagt. Aber den legendären Frankfurt Sound gab es, mit dem Jazzensemble des Hessischen Rundfunks und Namen wie die Gebrüder Mangelsdorff, Joki Freund, Heinz Sauer und Günther Lenz. Ertönt war dieser Frankfurt Sound nicht erst in den Clubs der amerikanischen Befreier und Besatzer, schon längst vorher – mitten in den letzten Kriegsjahren bei den Treffen der Clique um den Klarinettisten und späteren Altsaxophonisten Emil Mangelsdorff, darunter Carlo Bohländer, Horst Lippmann, Paul Martin oder Hans Otto Jung. Emil und Albert Mangelsdorff lebten in diesen Jahren, geprägt auch durch das sozialdemokratische Elternhaus, in bewusster Opposition zum NS-Staat. Mit dem vitalen Jazz begehrte man gegen die Konformität der NS-Kunst auf. Doch bald begann die Gestapo sich für das Treiben der Frankfurter Swing-Freunde zu interessieren, die Bedingungen wurden schwieriger, man traf sich immer mehr privat. Die Gestapo war es auch, die die Aufhebung einer Zurückstellung von Emil Mangelsdorff vom Arbeits- und Wehrdienst aufhob – mit schlimmen Folgen: 1944 wurde Emil Mangelsdorff zur Wehrmacht beordert und konnte seine Karriere erst 1949 fortsetzen, als er aus russischer …

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Der Klangregisseur – Wolfgang Hirschmann zum 85.

Tonmeister gibt es viele. Jedoch gibt es unter ihnen einen Solitär, dessen Klangspuren von Karl Heinz Stockhausen über Mauricio Kagel bis zu Quincy Jones, von Marlene Dietrich bis zu Herbert Grönemeyer, den Bläck Fööss und schließlich bis zur WDR Big Band reichen: Wolfgang Hirschmann. Jahrzehntelang war sein Name ein klingendes Markenzeichen. „Sie kennen doch den Hirschmann?“ „Sie kennen doch den Hirschmann?“ schnurrte des Öfteren der berühmte Klaviervirtuose Friedrich Gulda an der Bühnenrampe. Nicht nur Gulda, sondern unzählige Berühmtheiten vertrauten Wolfgang Hirschmann in allen musikalischen und technischen Angelegenheiten. Dazu zählte auch Klaus Doldinger, für den der Klangästhet etwas Besonderes war: „Du warst in meinem Musikerleben der erste musikaffine Mensch, den ich neben meinen vielen Musikerfreunden Ende der 50er-Jahre als Tonmeister wahrgenommen habe.“ Auf seine Zusammenarbeit mit Wolfgang Hirschmann angesprochen, schreibt der Label-Manager Siggi Loch 2017 in der Festschrift für Wolfgang Hirschmann zum 80. Geburtstag (LAG Musik Verlag): „1964 kam es bei dem Album ‚Night Lady‘ mit dem Johnny Griffin Quartet für Philips auch erstmals zu einer Zusammenarbeit. Hirschmann war damals nicht nur der Tonmeister am Pult, sondern ein kreativer Geist“. Diese Kreativität sollte seinen weiteren Berufsweg …

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Zwischentöne, allumfassend: Zum Tod des Pianisten Walter Lang

Am 16. Dezember 2021 starb der Jazzpianist Walter Lang. Ein Nachruf von Ralf Dombrowski Ich hatte ein Bild gepostet. Viele Menschen haben es kommentiert, aus aller Welt. Es sind nicht die beiläufigen Beileidsbekundungen, die man kennt. Denn der Tod von Walter Lang trifft viele. Er war nur 60 Jahre alt, der Krebs hatte ihn ereilt, über das Jahr hinweg geplagt. Er musste sich zurückziehen, es passte nicht zu ihm. Denn Walter Lang war immer mittendrin. Höflich unauffällig, aber beständig. Seit den späten Achtzigern gehörte er zur bayerischen, zur deutschen, zur europäischen Jazzwelt, ein Fels in der Brandung der Zeitläufte, der, auf den man sich verlassen konnte. Das hing eng mit seinen musikalischen Vorstellungen zusammen. Walter Lang war kein Revolutionär. Der offensive Regelbruch interessierte ihn kaum, wenn überhaupt, dann als Akzent in einem größeren gestalterischen Zusammenhang. Seine Welt waren Harmonie und Melodie, beide für sich, aber auch in engem Austausch. Er liebte das Feine, das aus einem pointiert gesetzten Akkord erwachsen konnte, das Lächeln eines Klangs, der Menschen anstrahlte. Vor allem faszinierte ihn das Kantable, die vokale Qualität von Melodien, die sich nicht im Vordergrund des …

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Traumzitate fließen in Musik – die Schweizer Sängerin, Vokalkünstlerin und Stimmcoach Saadet Türköz

Zürich. Sie sieht sie „eigentlich nicht als typische Musikerin“. „Ich kenne keine Noten“, erklärt Saadet Türköz und will das auch nicht als Koketterie verstanden wissen. „Ich bin keine Volkssängerin, keine Jazzsängerin“, formuliert die 60-jährige Züricherin, die seit rund drei Jahrzehnten als Sängerin, Vokalkünstlerin und Improvisationsmusikerin tätig ist. Seit Anfang der 1990er Jahre hat sie mit zahlreichen Musikerinnen und Künstlerinnen zusammengearbeitet, darunter Elliott Sharp, Nils Wogram, Hans Hassler, Fritz Hauser, Lionel Friedli, Julian Sartorius und Koch-Schütz-Studer aka Hans Koch, Martin Schütz und Fredy Studer, Paul Lovens, Bertl Mütter und andere. In den Bereichen Video, Theater, Film, Tanz und Literatur arbeitete sie unter anderem mit Pipilotti Rist, Sven Holm und Nikola Weisse. Aufzählungen, die sich scheinbar beliebig verlängern lassen und doch nur schlaglichtartig das vielfältige Schaffen Türköz‘ beleuchten. Das hat mit ihrer eigenständigen künstlerischen Persönlichkeit, aber auch den Genres zu tun, in welchen die Schweizerin aktiv ist. Es ermöglicht ihr mit südafrikanischen Musikern wie ZIM Ngqawana ebenso intensiv zu interagieren, wie mit der Wuppertaler Geigerin Gunda Gottschalk oder traditionellen kasachischen Musikern. Im Bereich freier, improvisierter Musik kommt es häufig zur Zusammenarbeit von Künstlern,  die dann oft nur …

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Fotograf des Mittendrin: Nachruf auf Sepp Werkmeister

Die Clubs hießen anders, „Orlando“ zum Beispiel, oder „Bongo Bar“, „Reitschule“ oder „Domicile“. Die Welt war auch noch eine andere. Musiker spielten oft wochenweise auf einer Bühne, in den Clubs wurde gequalmt, was das Zeug hielt, auch ordentlich gesoffen. Es gehörte zum Lebensstil des kultiviert Subversiven, sich ein wenig gegen die Etikette der Hochkultur zu stemmen, auch wenn man insgeheim ein Stück von ihr sein wollte. Es war eben Jazz, afroamerikanische Musik, importiert mit den Alliierten, einschließlich des dazu passenden Lebensgefühls der kleinen Freiheit im schon wieder bieder sich einschwingenden Wirtschaftswunder. Und mittendrin ein junger Mann mit Kamera, der mit Ikoflex oder Rolleiflex versuchte, den Musikern auf der Bühne ein von Intensität durchdrungenes Bild abzutrotzen. Es ist ihm oft gelungen. Duke Ellington zum Beispiel, mit Augenringen, Kippe im Mund, spät in der Nacht. Art Blakey oder Lionel Hampton, vor Schweiß nur so glänzend. Bobby Timmons, ein pianistischer Fürst der Dunkelheit, lässig das Zigarillo im Mundwinkel. John Coltrane, in der Pause auf der Treppe des Village Gates in New York, den Blick in die Ferne der Inspiration gerichtet. Sepp Werkmeister hat sie fast alle gehört, gesehen, …

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Tobias Meinhart Quartet. Foto: Mariana Meraz

Jazzige Erinnerung: Album gemahnt an Tod von George Floyd

Während des Lockdowns hat Saxofonist Tobias Meinhart die Musik für ein neues Album geschrieben und mit seinem New Yorker Quartett aufgenommen. Im dritten Anlauf, da ist Tobias Meinhart ganz zuversichtlich, wird es diesen Herbst mit dem Auftritt im Theater Regensburg klappen. Das für Frühjahr letzten Jahres geplante Konzert musste der in New York lebende Saxofonist bereits zweimal absagen. Eine ganze Europatour ging vor über einem Jahr den Bach runter: „Ich saß in einem kleinen Cafe“, erzählt der aus Wörth (Donau) stammende Musiker, „als im Radio die Nachricht kam, dass die USA die Grenzen dicht macht. Ein Tiefschlag!“ Flüge, Hotels, Mietwagen – alles musste gecancelt werden. Da ahnte der 38-jährige Bandleader und Komponist, der schon einige künstlerische Erfolge vorzuweisen hat, noch nicht, was in den kommenden Monaten in der Stadt die niemals schläft, wie ein abgenudelter Slogan über New York City lautet, noch bevorstand. „Wir haben zwei Monate fast keinen Fuss vors Haus gesetzt“, beschreibt er die Situation mit seiner Freundin in ihrem Appartement. „Unten sind täglich die Kühlwägen mit den Toten vorbeigefahren, wir haben uns nicht mehr rausgetraut.“ Später hörte er von älteren Musikern, die …

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Erroll Garner und Victor Venegas im Mai 1970 in der Berliner Philharmonie. Foto: Bayerisches Jazzinstitut/Ludwig Binder
Erroll Garner und Victor Venegas im Mai 1970 in der Berliner Philharmonie. © Foto: Bayerisches Jazzinstitut/Ludwig Binder

Verkörperte Improvisation – Zum 100. Geburtstag des Pianisten Erroll Garner

Die materialreichen, luxuriös ausgestatteten Bände des Münchener Pianisten und Autors Ernst Burger über Franz Liszt, Frederic Chopin und Robert Schumann genießen unter Musikfreunden und Liebhabern guter Bücher beinahe schon Kultstatus. In einem ähnlich aufwändigen Band, „Erroll Garner – Leben und Kunst eines genialen Pianisten“ hat Burger dem Jazzpianisten Erroll Garner, ein Denkmal gesetzt. Das Buch erschien 2006 beim ConBrio Verlag und es war naheliegend, den Autor anlässlich des 100. Geburtstags seines Idols am 15. Juni 2021 um eine Würdigung in der neuen musikzeitung zu bitten. Der Artikel „Gottes Geschenk an die Klaviertasten“ enthält auch zwei Notenbeispiele, „S‘ Wonderful“ (1953) und „Just One of those things“ (1964), an denen sich wunderbar illustrieren lässt, wie weit Jazzinterpretation und Notentext auseinanderklaffen können. Ein wunderbar unterhaltsames Exempel für transkribierende Jazzer und vergleichende Jazzwissenschaftler. Da Garner keine Noten schreiben konnte, spielte er auf Tonband und andere schrieben es auf. Garner hinterließ mehr als 200 Kompositionen, darunter „Misty“, einer der am meistgespielten Jazzsongs des 20. Jahrhunderts. Garner ist verkörperte Improvisation: „Just sit down and play“ war die unter seinen Bandmitgliedern gefürchtete Einleitung zu ungeprobten Plattenaufnahmen oder Konzerten. In einem Interview mit …

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Pianistin Svetlana Marinchenko präsentiert „Letters To My Little Girl“ auf CD

Tastenvirtuosin Svetlana Marinchenko kennt keine musikalischen Grenzen und lässt sich schon gar nicht in eine stilistische Schublade stecken. Seit 2015 ist die aus Moskau stammende Pianistin in der Jazzszene unterwegs, und egal wo sie spielt hinterlässt sie ein einen fesselnden Eindruck, sowohl beim Publikum als auch bei ihren KollegenInnen. Marinchenkos Ausbildung am Klavier begann eigentlich bei Andrei Kondakov am Mussorgsky College of Music. Sie trat danach auf internationalen Jazzfestivals und in Jazzclubs auf, sammelte Erfahrungen und gründete ihre erste Combo „Svetamuzika“ mit der sie bereits 2015 ihr erstes Album „Present Simple“ aufnahm. Sie studierte weiter bei Prof. Tizian Jost an der Hochschule für Musik und Theater in München, gewann u.a. 2016 den Steinway Jazz Förderpreis-Wettbewerb in München und im Jahr 2019 den begehrten Kurt Maas Jazz Award. Um ihre aktuelle Aufnahme „Letters To My Little Girl“ produzieren und publizieren zu können, startete sie eine Crowdfunding Kampagne. Die Unterstützung war überwältigend und so wurde zeitnah durchgestartet. Mit Peter Cudek am Bass und dem Schlagzeuger Ofri Nehemya wurden insgesamt neun Eigenkompositionen aufgenommen und eingespielt. Mit von der Partie waren zusätzlich die Sängerinnen Enji Erkhembayar und Fiona Grond. …

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Endlich: SiEA und ihr Debutalbum „RIDE“

Was ist SiEA? Techno-Ballade, Jazz, Indie, Performance, Avantgarde-Pop? Die Musikerinnen der Band passen nicht wirklich in eine Schublade, aber das ist letztlich auch egal, denn ihre Musik ist schlichtweg – unbelievable! Ein Merkmal sticht bei SiEA besonders heraus: die Kompromisslosigkeit und pure Freude am Spiel auf der Fahrt durch kosmische Musikgefilde, denn das neue Album „RIDE“ verweist auf Sally Ride, die dritte Frau im Weltraum. SiEA funktioniert auf Tonträger, das stellt die Debut-CD „RIDE“ eindrucksvoll unter Beweis. Kein Wunder bei der Besetzung. Antonia Dering & Patricia Römer Gesang, Performance, Synthesizer werden groove-technisch wie instrumental unterstützt von Ramona Schwarzer, Bettina Maier, Lucie Graehl, Amélie Haidt, Julia Hornung, Lisa Wilhelm und Angela Requena Fuentes. Soweit die facts zum „harten“ Kern von SiEA. Weitere Gäste geben sich auf der CD ein Stelldichein wie z.B. Jutta Keeß oder Kira Linn, und mit Samuel Wootton oder Michael Salvermoser sind last not least auch noch zwei Jungs mit von der Partie. Die Kompositionen schreibt SiEA selbst und irgendwie ist die Band mehr als nur Musik. Das ganze Konzept sollte eher als Kunst-Performance-Musik-Dialog betrachtet werden und die Arbeit unter- und miteinander ist …

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Zum Tod des Swingposaunisten Alexander Katz

Schrozberg. Alexander Katz wurde 1949 in Reutlingen geboren und erlernte mit 14 Jahren auf autodidaktische Weise das Posaunenspiel. Der talentierte Teenager leitete 1965 seine erste Jazzcombo und stand seit 1974 als Profi auf der Bühne. 1977 gründete „Al Cat“, wie er sich gerne nennen ließ, „Alexanders Swingtime Band“, eine Big Band im Stil der schwarzen Orchester der späten 30er Jahre. 1990 formierte Alexander Katz die „European Swing Stars“, welche in wechselnden Besetzungen auf Tournee gingen. Vor zwei Jahrzehnten wurde von ihm die „Louis Armmstrong Revival Band“ kreiert, die sich mit neun Musikern, davon mit drei Trompetern, dem Werk Satchmos widmeten. Dem Oldtime huldigte er auch mit seiner „Alexander’s Ragtime Band“, hintersinnig benannt nach dem Hit von Irving Berlin. Nach eigenem Bekunden von Posaunist Katz war seine „Phrasierung stark rhythmisch und riffartig geprägt“, der Ton „satt und voll“. Die Liebe für den Big-Band-Jazz und dabei für den Improvisationsstil der Ellington-Band ließe sich bei keinem seiner Soli verschweigen. Viele namhafte Stars und Pioniere des Jazz gingen mit dem auch vokal aktiven Alexander Katz auf Tournee oder spielten Schallplatten mit ihm ein. Beispielsweise  die Trompeter Wild Bill Davison, …

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