Jazz Prekär? Zu einer Tagung

UDJ_Logo_FinalAus der aktuellen Printausgabe der JazzZeitung (auch digital erhältlich unter diesem Link): ein Artikel von Jonas Pirzer (UDJ) – Zur Tagung der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Evangelischen Akademie Loccum war die Union Deutscher Jazzmusiker eingeladen, um über Lebens- und Arbeitsbedingungen von Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker zu berichten. Das etwas provokante Motto der Tagung lautete: Kreatives Prekariat – Wie lebt es sich von und mit der Kunst. Prekariat, heute Teil des Alltagsvokabulars und so selbstverständlich leicht von den Lippen gehend wie Mittelstandsbauch, Pendlerpauschale oder Krimkrise bietet eine politisch korrekte Begriffsalternative zur hochwertenden „Unterschicht“. Ihm zugerechnet werden Menschen, deren sämtliche Lebensumstände als schlecht bezeichnet werden können; charakterisiert durch Armut, Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, Krankheit und/oder schlechte Zukunftsaussichten. Was ist also Kreatives Prekariat?

Die meisten Künstlerinnen und Künstler sind hochgebildet, hochproduktiv und hochmotiviert! Prekär sind hier in erster Linie die ökonomischen Umstände. Unterdurchschnittliche Vergütung, lockere, Konjunkturschwankungen unterliegende Arbeitsverhältnisse und damit verbundene Unsicherheiten kennzeichnen die soziale Lage im Jazz wie in allen überwiegend freien Künstlerberufen. Feste künstlerische Stellen gibt es nur sehr wenige. Das Berufsbild Jazzmusiker ist heute extrem vielschichtig, die Anforderungen vielfältig. Einkünfte werden in der Regel in vier großen Feldern erzielt:

(1) Gagen: Konzerte, Dienstleistung (Hintergrundmusik, etc.), Studio
(2) Honorare für Kompositionen,  Arrangements, Aufnahmen und Produktion; Veranstaltertätigkeit/Projekte
(3) Vergütungen/Tantiemen (z.B. GEMA)
(4) Pädagogische Tätigkeit

Die ersten drei Einkommensfelder sorgen in der Regel weder einzeln noch in Kombination für ein existenzsicherndes Einkommen. Gut bezahlte Konzertveranstaltungen sind selten und der Markt für kommerzielle Auftritte stark überlaufen sowie starken Schwankungen unterliegend. Hauptberufliche Tätigkeit als Komponist, Arrangeur oder Musikproduzent ist die Ausnahme. Veranstaltertätigkeit von ausübenden Künstlern erfolgt häufig in ehrenamtlicher Form beziehungsweise ist bestenfalls ein Zubrot. Der weitaus geringere Teil der Musiker erhält signifikante Vergütungen durch die GEMA. Um ein kontinuierliches und sicheres Einkommen zu erzielen, üben die allermeisten Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker deshalb gleichzeitig eine pädagogische Tätigkeit aus. Viele Jazz-Profis verfügen darüber hinaus über nebenberufliche Standbeine, die nicht notwendigerweise einen Musikbezug haben müssen, sich aber oftmals aus den Sekundärfähigkeiten, die für Freiberufler unabdingbar sind, herausbilden. Diese sind häufig im Feld Kulturmanagement und Veranstaltungswesen angesiedelt, reichen aber auch über Labelarbeit  bis hin zu Webdesign und Instrumentenbau. Solch verschiedene Arbeitsfelder funktionieren nach sehr unterschiedlichen Prinzipien und stellen die Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker vor unterschiedlichste Herausforderungen. Das „Patchwork“ aus Aufgabenfeldern bietet im Idealfall einen abwechslungsreichen beruflichen Mix mit Synergieeffekten. Allerdings ist es häufig so, dass durch die vielfältigen Anforderungen bei gleichzeitig niedrigen Einkommen aus den verschiedenen Bereichen eine oftmals unhaltbare Situation für Jazzmusikschaffende entsteht, die sie letztendlich zur Aufgabe ihrer künstlerischen Tätigkeit zwingt.

Eine empirische Abbildung der tatsächlichen Einkommenssituation und damit der sozialen Lage ist schwierig, da herkömmliche Statistiken nur unzureichend geeignet sind, Auskunft über das oben beschriebene Berufsbild Jazzmusiker zu geben. Die derzeit interessantesten Statistiken stammen von der Künstlersozialkasse und weisen 2013 für Jazz- und Rockmusiker ein Schätzeinkommen von 11.478 Euro aus. Diese Zahl ist nur sehr begrenzt aussagekräftig, da sie zum einen keine genrespezifische Aussage erlaubt und zum anderen alle Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker mit Festanstellungen (vor allem an Hochschulen und Musikschulen) außer Acht lässt. Auch andere freiberufliche Nebentätigkeiten werden nicht berücksichtigt. Die einzige Möglichkeit, endlich belastbare Befunde zu erhalten, ist die Durchführung einer direkten Befragung der Jazzschaffenden selbst; Zahlen die in dieser Genauigkeit in der Bundesrepublik bisher noch nicht erhoben wurden, für eine bedarfsgerechte Jazzmusikpolitik aber unabdingbar sind.

Nach Loccum ist vor Loccum. Viele Aspekte am Beruf des Jazzmusikers lassen sich durchaus als prekär bezeichnen. Trotzdem wollen ihn zunehmend mehr junge Menschen ergreifen. Allerdings hat sich das Künstlerbild,  gerade in Hinblick auf die Verschiebung in Richtung freischaffende Tätigkeit, schneller gewandelt als die Kulturpolitik. „Brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Kunst?“, war eine der auf der Tagung gestellten Fragen. Unsere Antwort ist: Wir brauchen neue Denkansätze für gute Jazzmusikpolitik. Und vor allem brauchen wir die entsprechenden Taten! Denn, frei nach Heinemann und Regener: Eine Gesellschaft ist nur so viel wert, wie ihr ihre Künstler wert sind.

Jonas Pirzer

Lesen Sie dazu auch unsere Blogbeiträge von Benjamin Schaefer zum „Beruf Jazzmusiker“ unter www.jazzzeitung.de