Jazzfest Berlin 2018 | Tag 3 | Suppentopf-Typologien

Vorsicht Star! Alarm! Ein Konzert mit viel Jazzgeschichte kündigte die Moderatorin des dritten Abends im Haus der Berliner Festspiele an. Eingeladen waren zwei (drei) größere Besetzungen. BigBand und BigEnsembles. Dabei blickte man in der Tat tief in die Anfänge der Jazzgeschichte zurück. Und in die Kochkunst. Abgekocht, abgeschmeckt: Instantsuppe Jazzmeia Horn betrat mit der WDR BigBand und ihrer Show „A Social Call“ zuerst die Bühne. Um genau zu sein, etwas später. Zunächst durften sich Leiter Bob Mintzer und die WDR BigBand für ein Stück selbst präsentieren. Es ist leider eine andauernde traurige Geschichte beim Jazzfest, dass eine ARD-BigBand dabei sein muss. Selten kommt es dabei zu ganz eigenen Ereignissen. So eben leider auch hier. Jazzmeia Horn setzte sich sozusagen auf die Arrangements von Bob Mintzer drauf. Klar, kann Mintzer arrangieren, klar die BigBand das umsetzen, das ist deren Job. Solide, bisweilen wirklich pfiffige Arrangements dabei. Darüber dann aber eben Jazzmeia Horn, die gleich mit den ersten Gesangsäußerungen das Publikum reizte und in den Bann schlug (ich gebe tatsächlich den Gänsehauteffekt zu, es war so). Jazzmeia Horn hat das auch drauf, das ist bewundernswert. Ihre Stimme …

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Irreversible Entanglements (USA) – © HuPe-kollektiv

Jazzfest Berlin 2018 | Tag 2 | Friday Blast

In diesem Jahr hat das Jazzfest Berlin jeden Tag mit einem Motto versehen. Der Freitag stand dabei unter dem Motto „Friday Blast“. Voller Stoff also, Durchlüften! Man kann manches zum aktuellen Jazzfest sagen, ausgewogen ist es jedenfalls nicht. Und das ist gut so. Denn es beweist so nötige Kompromisslosigkeit in der Sache „Musik“. Das Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße war rappelvoll. Dabei sind die programmierten Bands – mit Ausnahme des Art Ensemble of Chicago – eher Kennerinnen bekannt. Und wo man vermeintlich etwas vorweg kennen mochte, war die Aufstellung doch jeweils neu: Uraufführung, Special Edition, Weltpremiere! Improvisationskörper Der Karton mit Überraschungen war also gut gefüllt. Und geblastet hat es auch. Wie gleich zu Beginn bei Irreversible Entanglements (USA). Trompete, Saxophone, Kontrabaß, Schlagzeug und Poetry. Etwa 50 Minuten pures hyperagiles Improvisationsgestöber mit Klangspielphasen, die gleichwohl nicht weniger „intensiv“ waren. Mein Sitznachbar verglich das mit einem Basketball-Team: Immer in Bewegung, immer Fäden der Kombinatorik suchend. Allerdings ohne den Abschluss zu suchen. (Und gottlob vermied man den leicht hereinwabernden Bühnennebel und zweifelhafte Videoeinspielungen auf der Leinwand hinter den Musikerinnen, wie sie noch gestern mehr oder minder …

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Duo „Hamid Drake & Yuko Oshima“ (USA/Japan). Foto: HuPe-kollektiv

Jazzfest Berlin 2018 | Tag 1 | “So What Can Jazz Do?”

Das Jazzfest Berlin wird dieses Jahr zum ersten Mal von Nadine Deventer kuratiert. Sie wird vieles anders machen, Akzente neu setzen, kurz: Ihren eigenen Stempel den vier Tagen an der Spree aufdrücken. Die Ansprüche sind hoch, im gegenseitigen Einvernehmen mit den Musikerinnen und dem Publikum. Es ist zugleich ungerecht und dennoch nicht übergehbar, dass Nadine Deventer zugleich als erste Frau dieses Festival strukturiert. Aber ein Geschlecht macht noch keine Musik. Es ist eigentlich damit nur eine notwendige wünschbare Normalität eingetreten. Sie leitet das Fest ja nicht als Frau, so wenig wie es vor ihr die anderen Leiter als Männer getan haben. Über diese kleine Brücke muss man allerdings der Form halber gehen. Zumal es mindestens an zwei Stellen von Vortragenden oder Musikern ausdrücklich erwähnt wurde. Deventers Stempel ist dabei wie immer bei derartigen Veranstaltungen ein Experiment. Was sich am Ende realisiert, ist kaum planbar. Es hängt von den Musikerinnen ab. Und es hängt auch davon ab, was man sich selbst zur Vorgabe macht. „So What Can Jazz Do?“ Programmatisch startete das Festival mit einem Vortrag von Bonaventure Ndikung „So What Can Jazz Do?“ fragt er …

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Winterjazz 2014. Foto: Martin Hufner

Nachgefragt: Benjamin Schaefers Crowdfunding-Kampagne “Hive Mind”

Auf der Crowdfunding-Plattform „Startnext“ startete der Musiker Benjamin Schaefer ein Crowdfunding-Projekt. Dazu schreibt er: „In diesem Jahr habe ich nach fast zwei Jahren Vorarbeit mein erstes Big Band-Album ‚Hive Mind‘ aufgenommen. Ich wünsche mir, dass diese Big Band auch Konzerte spielt. Das ist teuer (ca. 10.000€ pro Konzert), und die Zahl der Spielorte für Jazz, die sich eine solche Band überhaupt leisten können, ist sehr gering. Deshalb möchte ich einen Teil dieses Geldes durch Crowdfunding co-finanzieren – und euch dabei um eure Unterstützung bitten!“ Martin Hufner hat ihm in diesem Zusammenhang ein paar Fragen zum Thema Crowdfunding, Förderung und Perspektive solcher Initiativen gestellt. Martin Hufner: Benjamin Schaefer, Du gehst gerade einen relativ neuen Weg, um Deine Musik und die Deines Ensembles jenseits einer CD-Produktion zugänglich zu machen. Du sammelst Geld über Crowdfunding ein. Soweit ist es schon gekommen, soweit musste es kommen, endlich kommt es dazu! Crowdfunding als Notnagel oder einer Form von wirklicher Selbstbestimmung? Benjamin Schaefer: Crowdfunding für Musikprojekte gibt es schon seit 15 Jahren, meist werden CD-Produktionen damit finanziert. Ich bin in der glücklichen Situation, dass der Produktionsteil schon durch institutionelle Förderung abgesichert …

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Jazz und Kultur in der Wikipedia.

Gehört der Jazz zu Deutschland?

Die Frage ist natürlich etwas provozierend gestellt. Ein bisschen anbiedernd an den kulturkritischen Zeitgeist auch. Eigentlich ist es sogar eine dumme Frage, die man gar nicht beantworten mag, wenn man noch ganz bei Trost ist. Weder in die eine noch die andere Richtung. Denn: Es gibt natürlich Jazz in Deutschland, man muss nicht allein die Tatsachen aufzählen, dass es Jazzmusikerinnen gibt, Jazzfestivals, JazzZeitschriften oder -Zeitungen, Jazzsendungen im Radio, Jazzausbildungen an Musikschulen und Musikhochschulen, Musikclubs und Plattenlabels, die mit Jazz handeln. Der Jazz ist präsent. Warum ich die Frage dennoch stelle? All die genannten Jazzpräsenzen könnten wirken als ein durch und durch abgeschlossener Bereich, in dem alles klar ist, der außerhalb dieses Bereiches aber nur wenig Wahrnehmung erfährt. Darin steht der Jazz nicht allein. Das kann man von zahlreichen Kulturbereichen ähnlich sagen. Jazz und Wikipedia Unter einem speziellen Blickwinkel unterscheidet sich aber der Jazz in Deutschland von anderen Musikgenres. In dem kleinen Bereich der allgemein lexikalischen Durchdringung. Es geht also um eine Art lexikalischen Jazzexport über Wikipedia. Schaut man beispielsweise danach wieweit Jazz in Wikipedia-Artikeln zum Thema „deutsche Kultur“ (englisch, deutsch, italienisch, türkisch) thematisiert wird, ist …

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Privatbesitz Jazz. Foto: Hufner

Timing & Ton: Wie Adorno einmal nicht „über“ den Jazz schrieb, sondern mit ihm

Jazz und Adorno ist eine lange Geschichte. Meistens wird sie abgekürzt und man sagt sich: Was solls? Schnuppe. War nix für ihn, hat er nicht kapiert und wenn, dann den „falschen“ Jazz gehört. In der Tat, klar, was kann Adorno über den Jazz gesagt haben, was man brauchen könnte. Bloß weil er ein außerordentlich kluger Philosoph und Musikkenner war. Der ein bisschen Niveau in das Sprechen über und von Musik gebracht hat. Jemand, der über den Notenrand hinausdachte und schrieb, aber gewiss eben auch seine „Abneigungen“ gehabt hat. Wie jeder und jede? Klar, Neutralität war seine Sache in der Sache nicht. Zuweilen polemisch, zuweilen denkbar wenig am konkreten musikalischen Ereignis dran, zuweilen für die Leserinnen im Dunkeln tappend. Jazz, das ist sicher, war nicht der Hauptgegenstand seiner Reflexionen. Adorno hat sich sogar manchmal bis an die Grenze der Verleumdung vergaloppiert. So wie 1933: „Die Verordnung, die es dem Rundfunk verwehrt, ›Negerjazz‹ zu übertragen, hat vielleicht einen neuen Rechtszustand geschaffen – künstlerisch aber nur durchs drastische Verdikt bestätigt, was sachlich längst entschieden ist: das Ende der Jazzmusik selber.“ [Band 18: Musikalische Schriften V: Abschied vom Jazz. …

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ECHO Jazz ist tot. Foto: Hufner

Schwer getrübte Freude der ECHO-Jazz-Gewinnerinnen in diesem Jahr

Neulich noch markte ich an, dass bei all dem Trubel um die letzte Echo-Verleihung aus dem Jazz-Bereich kaum Reaktionen zu vermelden waren. Weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Es war einfach ruhig. Kaum jemand pflegte sich in Position zu spielen. Schon gar nicht aus dem Kreis derjenigen, die diesen „Preis“ erhalten haben. Das hat sich jetzt geändert. Markus Stockhausen (und andere aktuelle 2018-Preisträger) lancierte über der Facebook-Seite eine Pressemitteilung. „Uns eint die Freude über den Erhalt des ECHO Jazz-Preises, der aufgrund einer differenzierten Juryentscheidung allein für künstlerische Inhalte vergeben wurde. Wir alle bedauern, dass der ECHO Jazz-Preis durch die Erschütterungen des ECHO Pop in Mitleidenschaft gezogen und nun zum letzten Mal vergeben wurde.“ Schön wäre es, wäre es so. Klar, man kann schon hoffen, dass der Preis für künstlerische Inhalte vergeben wird und nicht für, ja, für was denn sonst als für künstlerische Inhalte. Die Preisvergabe zeigt ganz offen an, dass die Nischenmusik, nähme man die Juryentscheidungen ernst, noch viel nischiger ist als gedacht. Anders ist nicht zu erklären, dass immer wieder viele identische Musiker und gelegentlich auch Musikerinnnen ausgezeichnet werden. Denn die wirklich …

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Menzels Schwester Emilie im Schlaf. Um 1848, Öl auf Papier, aif Leinwand, 46,8 × 60 cm Adolf Friedrich Erdmann von Menzel. Hamburg, Kunsthalle

Kein ECHO weit und breit – Roter Teppich wird eingerollt

Wenn man einmal bedenkt, welche Wellen der Film zu Anna-Lena Schnabel im letzten Oktober geschlagen hat, als sie und die ECHO-Jazz-Verleihung ins Zentrum mehr oder minder starker Diskussionen rückten, kann man als Außenstehender schon etwas verwundert darüber sein, dass der aktuelle ECHO-Skandal so gut wie keinen „öffentlichen“ Widerhall findet im Jazz-Biotop (zwei [vier] Meldungen von Anke Helfrich und Sebastian Sternal gibt es da*). Ist das nun nur Ignoranz? Oder der Haltung geschuldet, dass man sich sagen mag, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun? Bei den Leuten aus dem ECHO-Klassik gab es ja doch zahlreiche Wortmeldungen. Von Christian Thielemann über Daniel Barenboim bis zu Igor Levit. Der ECHO war plötzlich irgendwie „beschädigt“. Erst jetzt? Unter den Jazzerinnen gab es auch nicht wenige, die das Treiben kritisch beäugten. Und nun? Nicht einmal die Meldung, dass man den nächsten ECHO-Jazz ohne Brimborium von Fernsehen und Co über die Bühne gehen lassen will, führte zu irgendeiner nennenswerten Reaktion. Das eine hat offenbar doch mit dem anderen „irgendetwas“ zu tun. Auch der ECHO Jazz ist nun mitbetroffen. Der rote Teppich kann wieder eingerollt werden. Man könnte das …

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Detail einer Violine aus Holz. Foto: Hufner

Musikinstrumentenfotografie: Das Klavier bei Till Brönner

Es ist nicht ganz einfach, ein Klavier (oder einen Flügel) zu fotografieren. Dieses, in der Mehrzahl schwarze (Musik-)Instrument, schluckt quasi alles Licht, was sich irgendwo im Raum befinden könnte. Das Klavier ist eine Art Photonenschlucker. Wären da nicht wenigstens die weißen Tasten, die helfen könnten, das Auge zum Fokussieren zu zwingen. Man soll nicht immer so schwarz/weiß denken wie es kommt Till Brönner – neben seiner Tätigkeit als Fotograf auch Kontraßbegleiter an der Trompete – hat sich vor kurzem daher die Mühe gemacht, dem Instrument wieder die Ehre zuteil werden zu lassen, das es verdient. Er zeigt uns, ein Klavier ist gar nicht mal so sehr schwarz wie man denkt, es kann auch – sofern gut gepflegt – reflektieren auf der polierten Seite. So spiegelt sich reichhaltig der Raum in seinen Facetten. Auch das Schwarz löst er auf in eine Vielzahl von Grautönen. https://www.instagram.com/p/BeYrwXvD_hx/ Man kommt aber nicht an einer Bildkritik vorbei: Das (Klavier-)Model wirkt in dieser Szene etwas reduziert auf seine reine Hauptfunktion. Das ist definitiv zu bemängeln. Man darf ein Klavier nicht auf seine Funktion als Mobiliar einer Hotelanlage oder als Ablage für …

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Doldinger mach die Musik für den Tatort aus Köln. Screenshot
Doldinger mach die Musik für den Tatort aus Köln. Screenshot

Klaus Doldinger – Lost in Soundlibraries

Er hat die Titelmusik für den Tatort gemacht, der Klaus Doldinger. Ein Dauerbrenner, unkaputtbar anscheinend. Außer durch? Durch Klaus Doldinger selbst. So leider im Tatort aus Köln am 22.1.2018 mit dem Titel „Bausünden“. Erst untermalt er saxophonselig die schwül-feuchte-atembetonten Eingangsszene – gekonnt voraussehbar und irgendwie nach Schnullibacke klingend.Oder wie er gegenüber dem Jazzmagazin BILD sagte:  „Das Saxophon hat den ideal-scharfen, verruchten Ton für eine solche Szene. Es hat sich bewährt und auf Bewährtes greift man immer gern zurück. Aber auch Akustikgitarre und Klavier werden gerne für besinnliche Szenen genommen.“ [Quelle: Bild im Netz] Ja, Papa. Nicht zu vergessen: Das Subkontrabassfagott für überbesinnliche Szenen! Das hast Du gut erkannt. Gähn. Aber was nimmt man für besinnungsloses Fernsehtheater? Doldinger führt das musikalische Ton-Material didaktisch gekonnt in einer der ersten Szenen ein. Ein Fünftonmotiv, das gödelescherbachgleich in der Fortsetzung zur Schleife umgebaut wird. Fast ein Klavier-Nocturne – nur schläfrig. Damit nicht genug. Er untertönt auch den – übrigens ansonsten auch – ganz öden Tatort auch Köln vom letzten Wochenende. Ballauf und Schenk tapern im Hellen wie im Dunklen. Auf Twitter finden sich ein paar wunderbare Kommentarperlen: #TatortDer Mörder …

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