Klingendes Vermächtnis: Paolo Fresu – Legacy

(Von Stephanie Knauer) Drei Jubiläen waren der Anlass für ein Vermächtnis: „Legacy“ heißt die 3CD-Box von Trompeter und Flügelhornist Paolo Fresu, im Frühjahr erschienen beim Label Türk. Jede Silberscheibe ist das Filtrat einer runden Summe an Jahren des Zusammenmusizierens. IMPROVVISI feiert 22 Jahre im Duo mit Uri Caine, IMPROMPTUS 20 Jahre Devil Quartet und REPENS 40 (!) Jahre mit dem Paolo Fresu Quintet. Eines eint alle drei: sie sind vollständig improvisiert, natürlich nachbereitet und gemastert, mit dem typischen Fresu-Sound von unendlicher Weite, aber musiziert wurde ohne Netz und doppelten Boden.

Wer so einen Ansatz so fesselnd und farbenreich, noch dazu konserviert für die Ewigkeit realisieren kann, muss sich musikalisch rückhaltlos vertrauen können – einerseits. Ein gigantischer Background ist Bedingung zwei, zudem ein ähnliches Stilgefühl und ein harmonierender Geschmack. Was Kontraste und Überraschungen nicht ausschließt.

Gewagt und gut

Dass so ein Vorhaben gewagt wird und dass es so gut funktioniert, zeigt bereits die grundsätzliche Meisterschaft Paolo Fresus und seiner – ausnahmslos – männlichen Kollegen. In ihren musikalischen Genesen tauchen unzählige grandiose motivische Ideen auf, werden im besten Sinne verarbeitet, tauchen ab in Jazz- und auch Klassikstile, werden rhythmisch, motivisch und auch klangdesigntechnisch abgeklopft.

Die eingesetzten Multieffekte, der mit Handarbeit verfremdete Klang wie manuell gedämpfte Saiten treten (in Spuren zu sehr) als eigenständige Parameter in Augenhöhe zu anderen wie Rhythmus oder Artikulation auf. Humor hat ebenso Platz wie dodekaphonisch wirkende Passagen, astreine Unisonostrecken, engmaschige Imitationen, beides zum Staunen virtuos gemeistert.

Ohne Grenze zur E-Musik

Dieser Jazz dockt direkt an die Neue E-Musik, eine Grenze gibt es nicht mehr. Auch in der „Klassik“ spielte die Improvisation lange eine wichtige Rolle. So zu Lebzeiten der Barockkomponistin Barbara Strozzi (in „Legacy“ die einzige Frau weit und breit), deren Arie „L´amante bugiardo“ eine von den sechs notierten Vorlagen ist, die als Ghost Tracks auf den CDs und der ebenfalls erschienenen Vinyl-Box enthalten sind.

Hier zeigen Paolo Fresu und Uri Caine in ihrer Exegese einen feingezeichneten, behutsam sensiblen Pulsdrive, zeitlos stilgerecht ohne historisierend zu sein. Dabei können beide auch sehr groovig, mit Fender Rhodes very funky. Je mehr Musiker beteiligt sind, desto anspruchsvoller wird das gemeinsame Improvisieren – wie ein Artist, der sich Reifen über Reifen auflädt. Es gelingt.

Wohlproportioniert

Manche Nummern sind kurz wie Haikus und umso gehaltvoller, man möchte im Anschluss meditieren darüber, manche erzählen Stories, spannend bis zur letzten Sekunde, manche brechen ab, andere wiederum dürfen ausklingen. Dabei ist die Jubiläums-Box alles andere als ein Kunterbunt. Den Musikern gelingt eine wohlproportionierte Sache, der Duktus bleibt trotz allen Wandlungsreichtums à la Paolo Fresu and friends und es ist, was es sein sollte, ein klingendes Kompendium jahrzehntelangen Dialogisierens in der Musik, das Emotio und Intellekt erfreut.

Stephanie Knauer

Label: Tǔk Music, Vertrieb: edel Kultur, LC: 12228

Edition: 3-CD Box: Legacy

3-LP Box: LEGACY

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