Jason Moran – The Harlem Hellfighters Foto: © HuPe-kollektiv

Jazzfest Berlin 2018 | Tag 3 | Suppentopf-Typologien

Vorsicht Star! Alarm! Ein Konzert mit viel Jazzgeschichte kündigte die Moderatorin des dritten Abends im Haus der Berliner Festspiele an. Eingeladen waren zwei (drei) größere Besetzungen. BigBand und BigEnsembles. Dabei blickte man in der Tat tief in die Anfänge der Jazzgeschichte zurück. Und in die Kochkunst.

Abgekocht, abgeschmeckt: Instantsuppe

Jazzmeia Horn betrat mit der WDR BigBand und ihrer Show „A Social Call“ zuerst die Bühne. Um genau zu sein, etwas später. Zunächst durften sich Leiter Bob Mintzer und die WDR BigBand für ein Stück selbst präsentieren. Es ist leider eine andauernde traurige Geschichte beim Jazzfest, dass eine ARD-BigBand dabei sein muss. Selten kommt es dabei zu ganz eigenen Ereignissen. So eben leider auch hier. Jazzmeia Horn setzte sich sozusagen auf die Arrangements von Bob Mintzer drauf. Klar, kann Mintzer arrangieren, klar die BigBand das umsetzen, das ist deren Job. Solide, bisweilen wirklich pfiffige Arrangements dabei. Darüber dann aber eben Jazzmeia Horn, die gleich mit den ersten Gesangsäußerungen das Publikum reizte und in den Bann schlug (ich gebe tatsächlich den Gänsehauteffekt zu, es war so). Jazzmeia Horn hat das auch drauf, das ist bewundernswert. Ihre Stimme ist großartig, keine Frage. Sie hat Jazzgeschichte im Gesang abrufbereit gespeichert, wenn sie bei Moanin‘ oder Tenderly agiert, oder fast musicalartig operiert und dann auch mal wieder scattet.

Und die WDR BigBand? Sie muss spulen, sie rackert, sie macht alles richtig. Aber das ist zu wenig! Wie sehr wünschte man sie sich als einen aggressiven Partner, der auch mal ausbüxt, der die Sängerin herausfordert, der sie überrascht. Das wäre der nötige Kick gewesen. Man möchte den Schlagzeuger aus seiner Zelle souveränen Exekutierens retten, auf die Bühne rennen mit einer Blüte aus Blättern von Anarchie.

Die bange Frage: Wäre das überhaupt gewollt gewesen? Bestünde da nicht die Gefahr, dem Star die Show zu stehlen? Ich fürchte: Ja. So wie das bei einem Solo Karolina Strassmayer in der BigBand durchaus gelang: durchdacht, komplex, höchstlebendig, der heimliche Höhepunkt des gesamten Auftritts. Abseits der Piste, das aber geht scheinbar nicht. Und das ist traurig, weil es so viel Potential unausgeschöpft lässt. Gerne auch das Scheitern. So bleibt die Show.

Kochende Brühen – Wildes Werden

Anders dann der zweite Act. Jason Moran – The Harlem Hellfighters (USA/Großbritannien) – James Reese Europe & the Absence of Ruin, eingeleitet durch ein duftiges Vorspiel junger Berliner Musikerinnen, die an jene Jazzwurzeln erinnerten und den Moment einfingen, an dem sich eine Militärkapelle zum Tiger mausert. Drei Stücke Blasmusik am Übergang zur wilden Musik. Das war elegant und duftig gemacht, Nikolaus Neuser hat die Stücke einstudiert. Das will gekonnt sein und das können wohl nur nicht-durchprofessionalisierte Musikerinnen. Charmant, dann giftig, dann tiefes 19. Jahrhundert in den Triopassagen anklingen lassend, als wenn man Franz Schubert über den großen Teich geschubst hätte. Tolle Sache. Ob das authentisch sein kann oder nicht? Eine lästige Frage, die niemand beantworten kann. Aber doch, ja, so könnte es auch gewesen sein. Der Starduft war damit aus dem Saal herausgeweht.

Der nächste „Star“ wartete schon mit Jason Moran am Bühnenran. Mit dem Projektnamen „James Reese Europe & the Absence of Ruin” erinnerte er an einen schwarzen Musiker, der im ersten Weltkrieg als Freiwilliger der USA in Europa als Soldat eingesetzt wurde und Musik mit seinen dann Harlem Hellfighters genannten Jungs spielte. Moran will die Erinnerung daran in die Gegenwart zurückholen. Der Auftritt ließe sich jetzt kleinlich im Ablauf beschreiben, von Herzschlägen, von Militär-Band-Klängen der Brass-section, deren Spektrum von Trauermusiken bis hin zu durchgedrehten Varietéstücken reicht, darin dann mal Subbass-Schwingungen zu elektronischen Klängen, markanten, knappen Piano-Soli. Es tauchen die Ghosts von Albert Ayler auf. Der Schlagzeuger rührt unermüdlich in der kochenden Ursuppe mit Spaß, mit Freude, mit Depressionen – eine dreckige-würzige Musik, dann eine fast ziemlich gerade, pure: New Orleans durch den Fleischwolf der Postmoderne gedreht. Und gegen Ende des Auftritts dann die Bilder auf der Leinwand mit schwarzen Soldaten der US-Army, die Bild für Bild aus der Vergessenheit treten und einen vorwurfslos anschauen, obwohl sie dazu genug Grund gehabt haben mögen dürften. Am Ende versammeln sich die Musikerinnen um den offenen Flügel aus dessen Mitte es rot leuchtet, während auf der Leinwand jemand vor einem Grab kniet. Das war alles beeindruckend und ohne Anflug von Wehleidigkeit.

Danach tritt man heraus ins Foyer in dem ein Piano/SchlagzeugDuo aktualisierten Ragtime spielt. Schön!

Rundfunk & Ton

Daheim dann noch die Kulturradios in Deutschland durchgeklappert, aber überall nur Jazzfest Berlin. Zu müde, es bis zum Ende zu hören. Aber eine wunderbare Angelegenheit. Und man stellt dann fest, ja, der Rundfunk hört die Sachen anders, hat seine Tonmeisterinnen, die mitunter ganz anders akzentuieren. Man erkennt teilweise die Sachen kaum wieder, die man tags zuvor noch im Konzertsaal hören konnte. Lob dafür. Lob dafür, dass der Rundfunk das bringt. Das ist gut!


Die Musikerinnen

WDR Big Band feat. Jazzmeia Horn (USA/Deutschland) – A Social Call. Deutschlandpremiere

  • Bob Mintzer Leitung, Arrangements
  • Jazzmeia Horn vocals
  • Johan Hörlen alto saxophone
  • Karolina Strassmayer alto saxophone
  • Olivier Peters tenor saxophone
  • Paul Heller tenor saxophone
  • Jens Neufang bass saxophone
  • Ludwig Nuss trombone
  • Alistair Duncan trombone
  • Mattis Cederberg bass trombone
  • Andy Hunter trombone
  • Wim Both trumpet
  • Ruud Breuls trumpet
  • Rob Bruynen trumpet
  • Andy Haderer trumpet
  • Jaspar Soffers piano
  • John Goldsby bass
  • Paul Shigihara guitar
  • Hans Dekker drums

Jason Moran – The Harlem Hellfighters (USA/Großbritannien) – James Reese Europe & the Absence of Ruin
Audiovisuelles Projekt von Jason Moran und den Filmemachern John Akomfrah & Bradford Young, Deutschlandpremiere

  • Jason Moran, John Akomfrah & Bradford Young
  • Ife Ogunjobi trumpet
  • Joe Bristow trombone
  • Andy Grappy tuba
  • Hanna Mubya tuba
  • Mebrakh Johnson saxophone, clarinet
  • Kaidi Akinnibi saxophone, clarinet
  • Alam Nathan saxophone, clarinet

mit Bandwagon’s

  • Jason Moran piano
  • Tarus Mateen bass
  • Nasheet Waits drums

unter Mitwirkung der folgenden jungen Berliner Musiker*innen

  • Carlotta Gobel flute
  • Lilli Matzker clarinet
  • Paula Tennstedt clarinet
  • Anton Kowalski alto saxophone
  • Wenzel Benn alto saxophone
  • Aaron Klenke tenor saxophone
  • Elina Dalewski trumpet
  • Elise Hundertmark trumpet
  • Laszlo Griese trombone
  • Simeon Prause trombone
  • Charlotta Gurr french horn
  • Milena Mette tuba
  • Maxim Boehm-Tettelbach drums
    Probenleitung Berliner Ensemble: Nikolaus Neuser

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