Privatbesitz Jazz. Foto: Hufner

Timing & Ton: Wie Adorno einmal nicht „über“ den Jazz schrieb, sondern mit ihm

Jazz und Adorno ist eine lange Geschichte. Meistens wird sie abgekürzt und man sagt sich: Was solls? Schnuppe. War nix für ihn, hat er nicht kapiert und wenn, dann den „falschen“ Jazz gehört. In der Tat, klar, was kann Adorno über den Jazz gesagt haben, was man brauchen könnte. Bloß weil er ein außerordentlich kluger Philosoph und Musikkenner war. Der ein bisschen Niveau in das Sprechen über und von Musik gebracht hat. Jemand, der über den Notenrand hinausdachte und schrieb, aber gewiss eben auch seine „Abneigungen“ gehabt hat. Wie jeder und jede?

Klar, Neutralität war seine Sache in der Sache nicht. Zuweilen polemisch, zuweilen denkbar wenig am konkreten musikalischen Ereignis dran, zuweilen für die Leserinnen im Dunkeln tappend. Jazz, das ist sicher, war nicht der Hauptgegenstand seiner Reflexionen. Adorno hat sich sogar manchmal bis an die Grenze der Verleumdung vergaloppiert. So wie 1933: „Die Verordnung, die es dem Rundfunk verwehrt, ›Negerjazz‹ zu übertragen, hat vielleicht einen neuen Rechtszustand geschaffen – künstlerisch aber nur durchs drastische Verdikt bestätigt, was sachlich längst entschieden ist: das Ende der Jazzmusik selber.“ [Band 18: Musikalische Schriften V: Abschied vom Jazz. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 15635 (vgl. GS 18, S. 795)] Und nicht vergessen, nach aktueller Rechnung war da die Geschichte des Jazz erst 16 Jahre alt und nicht wie heute 101!

Kleine Korrekturen

Aber ganz ohne späte Einsicht war er, Adorno, ja nicht. So schreibt er: „In der Zeitschrift für Sozialforschung 1936 hatte ich eine soziologische Interpretation des Jazz publiziert, die zwar empfindlich an dem Mangel spezifisch amerikanischer Kenntnisse krankte, …“ [Band 10: Kulturkritik und Gesellschaft I/II: Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 8567, (vgl. GS 10.2, S. 704).]

Wichtig! Es ging ihm so sehr um die Musik „Jazz“ gar nicht. Sondern wie er hier sagt um eine „soziologische Interpretation“ oder wie an anderer Stelle um das „Jazzsubjekt“, dessen Konstruktion er später als unzulänglich bezeichnete: „Die Momente, welche die Idealkonstruktion eines Jazzsubjekts motivieren, sind zu nennen; in dem alten Text über Jazz wurde das, wie unzulänglich auch immer, versucht.“ [Band 8: Soziologische Schriften I: Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 5304 (vgl. GS 8, S. 333).

Über – Zum – Vom

Auch wenn man sich die Titel der Aufsätze jeweils anschaut: „Über Jazz“, „Zum Jazz“ oder „Abschied vom Jazz“ wird man schnell sich klar, so ganz besonders in die Tiefe gehen sie nicht. Jazz als musikalische Spielart war es eher nicht so sehr wert, analysiert zu werden. Fragen zu sozialen Situation standen mehr im Mittelpunkt. Was nicht heißt, dass Adorno sich auch zur Sache geäußert hätte. Sein Blick fällt dabei immer auf Umwege auf den Jazz: Über die Hörer, die „fans“, über die Musikindustrie, über die „Aneignungen“ aus dem Bereich der Neuen Musik. Das Problem beginnt und endet mit der Synkope als einem der problematischen Aufhänger. Das könnte man noch lange und weit ausführen. Will ich aber nicht. Bin ja schließlich Adornit! Und deswegen schon muss man den Jazz mit Adorno gegen Adorno verteidigen. Nicht den ganzen, aber doch genügend.

So sehr also viele Gedanken zum oder über den Jazz bei Adorno fehlerhaft sind, ist damit nicht alles passé. Dieses Tabularasamachen wäre dann vor allem bequem, um mit den falschen Vorwürfen die richtigen mitzueliminieren. Aber auch das steht nicht gerade an.

Was man vom Jazz lernen kann, bitte?

Ansteht vielmehr eine Textstelle bei Adorno, in der er ohne wenn und aber den Jazz als hilfreich bezeichnet. Vor allem für Interpretation im Bereich der traditionellen Musik. Von der geht er auch an dieser Stelle aus. Es geht um Betonungen und solche Differenzierungen an Beispiel von Schumanns Klavierkonzert. Näher an der Sache, geht nicht.

„In der traditionellen Musik genügt es nicht, unabhängig vom Taktstrich zu musizieren, sondern man muss zugleich die absoluten und die Taktbetonungen fühlen, d.h. den Konflikt beider austragen.“ (Theodor W. Adorno: Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion, Frankfurt/M. 2001, S. 171 f.) [Es folgen Beispiele von Schumann]

In der neuen Musik so fährt Adorno fort, geht solche Differenzierungen verloren, weil sie, so Adorno, wegen der Dissoziation des Rhythmischen wegfallen. Und er denkt da nicht an Carl Orff oder Boris Blacher – nur um das zu verstehen, sondern um all die seriellen und aleatorischen Verfahren etc., die Avantgarde waren.

„Solche Wirkungen sind der neuen Musik, durch den Fortfall des rhythmischen Schemas, verwehrt, analog den entsprechenden harmonischen.“ (ebd., S. 172)

Und da kommt der Jazz ans ins Blickfeld:

„Von hier fällt ein Licht auf eine wirkliche Funktion des Jazz: nämlich solche Differenzierungen, die sonst verschwinden, zu bewahren. Wie übrigens überhaupt die Interpretation manches vom Jazz zu lernen hat.“ (ebd.)

Dieser Text findet sich in den nachgelassenen Schriften, den Notizen zu einer „Theorie der musikalischen Reproduktion“. Diese Passage stammt aus dem Jahr 1957. Wenn man es genau nimmt, geht es hier auch noch indirekt um so etwas wie Jazz. Es geht um die Art und Weise des Musizierens, um den Umgang mit Timing und Ton. Interpretation hat manches vom Jazz zu lernen. Leider gibt es meines Wissens keine weiteren Ausführungen dazu bei Adorno. Was er aber klar macht, es gibt diesen ineinanderfallenden Zusammenhang von „Komposition“ und „Interpretation“, den man in der traditionellen Musik noch so gut und wahrscheinlich substantiell getrennt weiß (Spezialfälle ausgenommen). Oder um es kurz zu sagen: Es schadet der traditionellen Musikerin kein bisschen was, wenn sie sich ordentlich in Jazzkonzerten herumtreibt!

Warum das?

Es ist ja klar, dass Adornos grundlegend ramponiertes Bild in der Jazzliteratur durch so einen nachgelassenen Satz nicht allzu sehr korrigierbar ist. Vielmehr wäre zu fragen, warum er unter der Hand dem Jazz doch einiges abgewinnen konnte, in offiziellen Texten jedoch kaum einen Takt vor dem anderen lässt. Ich denke, die Frage ist genereller Art: Es gibt ja auch kaum ein anderes Stück Musik nach 1910, dem er komplett beispringen würde. Die, die ihm vorgeschwebt hätte, hat sich nie realisiert. Was aber das auf den Jazz übertragen heißen könnte: Man muss einiges als mutwillige Mutmaßung zur Seite legen ohne doch die gesamten triftigen Einsichten zum Sturz zu bringen. Da könnte man – und das ist ja typisch und gehört zur soziologischen Einsicht in den Jazz dazu – vom Popbereich einiges lernen, der sich ja durchaus mit zahlreichen Kritiken Adornos einverstanden erklärte und sie weitergetrieben hat: Roger Behrens, Martin Büsser, Güther Jacob, Detlef Diedrichsen etc. pp. Aber, natürlich. Muss man nicht. Man könnte auch bei Daniel M. Feiges Philosophie des Jazz weitermachen. Aber dazu bedürfte es wohl einer streitbaren Diskussion darum und darüber. Soweit ich das sehen konnte, ist das kaum passiert. Was schade ist, aber eben auch zeigt, dass das Interesse daran nicht allzu überwältigend zu sein scheint.

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2 Kommentare

  1. Es muss wohl seinen triftigen Wiesengrund haben, Adornos kosmetische Spätkorrekturen am Scheitern seines Jazzbegriffs dem Vergessen zu entreißen – vielleicht um damit ggf. berechtigte Zweifel an seiner lupenreinen Erkenntnisklarheit und vor allem Fortschrittlichkeit zu zerstreuen? Was mich daran stört, ist das Ausblenden gewisser reaktionärer Anfälligkeiten, weshalb ich Gelegenheit nehme, an die Chuzpe Klaus-Heinz Metzgers zu erinnern, wonach jener „nicht mehr ohne Vorbemerkung zitierbar ist, denn offenbar hält er (Adorno) in der gegenwärtigen politischen Lage die Polizei für ein einsetzbares Instrument der Kritischen Theorie, vermittelst dessen sich die philosophischen Differenzen zwischen ihm und seinen Schülern über die Kategorie der Praxis praktisch entscheiden lassen. Wenn aber einer, der das gesellschaftliche Unwesen immerhin durchschaut, schon kein Revolutionär sein mag, sollte er wenigstens genügend persönliche Asozialität aufbringen, um keine ausgesprochene Stütze des bestehenden Systems zu sein oder gar dessen Büttel zu werden. “ Ende des Metzger-Zitats. Postadornitisch sollte man m. E. kein Fass aufmachen und den peinlich gescheiterten Allesbesserwissermusiksoziologen zum quasi Beinahe-Jazzflüsterer rehabilitieren (wohlgemerkt: zum Fachphilosophen TWA ist damit kein Wort gesagt).

  2. Schließe mich dem Vorredner an.
    &
    Wennste kein Adornit bist – sei der steinalte – aber hier passende Spruch angeführt:
    “Mann – kann sich auch zu Tode adornieren.“
    Seine abfällige bourgeoise Haltung & Einstellung hat sich doch bis weit in die 60er hinein nahezu uneingeschränkt “Negermusik“ etc gehalten.
    Musikalität weist sich halt anders aus.
    Mein Onkel HH -Staatsoper – auf den Bühnen der Welt als Heldentenor zuhause.
    Der Herr Kammersänger – mein spiritus rector – befand Anfang der 60er – “Beatles? So genial wie Beethoven.“

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