BR kickt Hammerstein ins Aus

„Mit…“, dann folgt eine unmerkliche Verzögerung bis die Anmoderation mit „…Lukas Hammerstein“ abschließt. Seit Jahr und Tag beginnt der bei München lebende Journalist und Autor Jazz & Politik jeden Samstagnachmittag damit, dass er sich vorstellt. Angesiedelt ist das Magazin bei der Politikredaktion des Bayerischen Rundfunks (B2), die Musik wählt der Musikredakteur Roland Spiegel aus. Abgesang auf eine Magazinsendung Kurz vor Sommerbeginn traf ich Hammerstein zu einem Interview im Eingangsbereich des  Rundfunkhauses des BR, nahe beim Münchner Hauptbahnhof. Ich wollte ein Porträt des 65-jährigen Freiberuflers verfassen, dessen politisches Feuilleton zum Interessantesten, manche Hörer*innen würden sagen „zum Besten gehört“, was vom BR produziert wird. Während der Arbeit am Text landete im Postfach eine Nachricht, dass Jazz & Politik Anfang kommenden Jahres (2024) eingestellt wird. Unversehens bekommt das Interview einen anderen Drall und die Geschichte gerät zu einem Abgesang auf eine Magazinsendung, die innerhalb des durchaus immer noch vielfältigen deutschen Rundfunkwesens einmalig ist. Nische Jazz & Politik Im Schatten großer Reichweiten und Quoten, die vom hohen Sendemast herab alles überblicken, führt Jazz & Politik ein Nischendasein für politisch Interessierte und  Hörerinnen die wissen wie zäh praktische Politik in …

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CD-Rezension: Burkard Kunkel & Bob Degen – Two Geese By The River

Für die beiden Protagonisten war es wohl eine noch größere Überraschung als für ihr musikalisches und Publikumsumfeld. Für ihr im Selbstverlag produziertes und vertriebenes Album „Two Geese by the River“ haben der im Spessart lebende Holzbläser Burkard Kunkel und der Wahl-Frankfurter Bob Degen am Piano einen Platz auf der Bestenliste (2. Quartal 2023) vom Preis der deutschen Schallplattenkritik ergattert. Wohlverdient, mag man schon ins Horn stoßen, bevor die musikalischen „Gänse“ schnatternd gewürdigt worden sind. Dafür spricht ein kurzer Rückblick auf das vor neun Jahren erschienene Duo-Album „Down By The Harbour“. Selbiges bewegt sich in seiner lyrischen Intensität und musikalisch-künstlerischen Qualität auf dem gleichen hohen Niveau wie das Veröffentlichte. Die Idee zum neuen Album, schreibt Kunkel in den knappen Linernotes, ist bei einem Italientrip im Frühjahr 2022 entstanden, wovon auch einige der Fotos zeugen. Die zeigen die beiden noch gut verpackten Musikerfreunde in aufbrechender Natur, Kunkel mit dem selten im Bereich des Jazz zu hörenden Bassetthorn in der Hand. Erneut sind einige der zwischen drei und sieben Minuten langen Stücke gemeinsam entwickelt worden, drei hat Degen und fünf Kunkel beigesteuert. Lyrische Kathedralen und Seen Nahezu beschwingt …

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CD-Rezension: Brad Mehldau – Your Mother Should Know: Brad Mehldau Plays The Beatles

Mit zwei Minuten, 18 Sekunden bleibt Brad Mehldau sogar noch unter der Länge des offiziellen „Your Mother Should Know“-Videoclips, der die lächelnden Beatles, in weiße Fräcke gekleidet, in einem kitschigen Filmsetting zeigt. Hemdsärmelig – jedenfalls im Video – folgt der amerikanische Pianist dem leichten Retroswing des Originals, bei dem sich Paul McCartney von einer familiären Szene inspirieren ließ. Einen swingenden Boogie-Sound verwendet Mehldau auch für „I Saw Her Standing There“, wobei diese feine Interpretation fröhlicher und freier klingt als das eher melancholisch angehauchte Titelstück. Live in Paris aufgenommen Mehldaus neues Soloalbum ist während der Coronazeit live vor reduziertem Publikum in der Philharmonie de Paris aufgenommen worden. Verschiedene Titel der einflussreichen Fab Four hatte er schon längere Zeit solo und mit seinem Trio im Programm, bis dahin aber noch kein einziges davon auf Tonträger veröffentlicht. Auf einen Vorschlag seines Labels ließ er sich schließlich ein, beschloss aber, keine der bereits von ihm interpretierten Stücke, sondern eine Auswahl weniger bekannter Songs zusammenzustellen. Eine Ausnahme bildet lediglich David Bowies etwas schwermütig klingendes „Life On Mars?“, das Mehldau allerdings ein wenig aufrichtet und von dem er sagt, es sei …

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Poetische Jazzsongs mit Humor und Tiefe

Konzert. Um ein Haar wäre der großartige Auftritt von Sängerin Efrat Alony Covid zum Opfer gefallen.   Regensburg. Nach außen schrill, nach innen poetisch, träumerisch und oft alles andere als geradlinig. Efrat Alonys Songs beschäftigen sich auf vielfältige Weise mit Eindrücken und ihrer Sicht auf die Welt um sie herum und damit, wie sie sich darin spiegelt. Da kräuseln sich Gedanken, Ignoranz wird als Glücksgefühl erlebt und „der süße Duft der Luft nach einem Regenschauer“ erfüllt sie mit Hoffnung. Auf der Bühne, wie bei ihrem Konzert beim Jazzclub im Leeren Beutel, tritt die Sängerin und Komponistin extravagant gekleidet auf. Auf den ersten Blick wirkt sie damit ein wenig überkandidelt. Beginnt sie aber zu singen, rücken ihre blauen Schuhe mit den Haifischzähnen, die türkisfarbene Brille und der weite steife Rock, nach wenigen Momenten weit in den Hintergrund. Dann konzentriert man sich nur noch auf diese phänomenale Stimme, die im Laufe von zwei Stunden eine ganze Klangwelt zu erschaffen imstande ist. Das Ausdrucksspektrum, mit dem Alony das Publikum ein ums andere Mal fasziniert und begeistert, ist riesig. Sie singt hoch und dünn wie ein Mädchen, springt mühelos …

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Joe Fonda: „Zukunft gehört den Frauen“

Joe Fonda wurde neben Mary Halvorson und Oliver Lake als einer von fünf „musicians of the year“ 2023 in New Yorks City Jazz Records gewählt. Zwei seiner letztjährigen Alben sind als „recordings of the year“ gelistet und eines seiner Konzerte als Konzert des Jahres. Auch in Europa ist Fonda regelmäßiger Gast. Michael Scheiner hat ihn für die Jazzzeitung portraitiert. Joe Fonda ist ein Wanderer. Keiner im urdeutschen Sinn, der Wald und Wiesen kennt. Der in Amsterdam im amerikanischen Bundesstaat New York aufgewachsene Bassist ist ein Wanderer zwischen Welten – kulturellen, musikalischen, instrumentalen und gesellschaftlichen. Seit drei Jahrzehnten pendelt er mehrmals jährlich von den Vereinigten Staaten nach Europa, um hier Touren mit eigenen Bands und mit Musiker*innen zu spielen, deren Einladungen er folgt. In seiner Heimat USA ist er nur fünf Jahre länger on the road. Zunächst erhielt Klein-Joe Gitarreunterricht, bevor er auf Bass umstieg und Anfang der 1970er Jahre ein Studium an der Berklee School of Music absolvierte. Heute wechselt er zwischen dem E- und seinem geliebten Kontrabass. Gelegentlich spielt er auch noch Flöte und singt. Schon Anfang 2023 ein erfolgreiches Jahr Musikalisch bevorzugt der …

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Im Rausch der Roscher-Band   

Nach Jahren der Weihnachts-Zwangspause brachte die Bigband von Monika Roscher den Jazzclub Regensburg zum Kochen. Ob heute viele Musikerinnen derart selbstbewusst und energisch zupackend aufträten, wollte eine Zuhörerin nach dem gefeierten Auftritt der Monika Roscher Bigband wissen. Es seien heute deutlich mehr als vor drei oder vier Jahrzehnten und sie seien in allen Instrumentengruppen vertreten, lautete ein Teil der Antwort. Die Münchner Musikerin allerdings ist auch in der femininer gewordenen Jazzszene ein rares Talent. Außerhalb des Sichtkreises der Bühne schreibt, arrangiert und textet Roscher Musik für Streichquartett, ebenso wie für ihre Bigband, für Orchester und Bühneninszenierungen. Auf der Bühne agiert sie als Multitalent. Sie dirigiert, spielt mitreißend Gitarre, singt und übernimmt die Moderation. Dabei unterhält sie das begeisterte Publikum mit ihrer authentischen Mischung aus Charme und Leidenschaft. Bei aller Professionalität hat man bei der sympathischen Fränkin immer den Eindruck, dass sie ganz bei sich ist, wenn sie über die Entstehung ihrer Songs und Kompositionen erzählt. Ein solcher Song dreht sich um „8 Princesses“, die das Nordlicht stehlen wollen. Heftige Ausbrüche auf der Gitarre sind eingebunden in einen zwiespältig-gruseligen Groove über welchen düstere Bläserstaccatos laufen. Sie …

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Wuchtige Grooves, stille Momente: Kultband OM im Jazzclub Leerer Beutel

P-M-F/B, der Titel ist so rätselhaft, wie vieldeutig. Mit diesem mächtig groovenden Stück aus ihrem neuen Album „OM 50“ fallen die vier Musiker der schweizerischen Kultband beim Jazzclub in Regensburg mit der Tür ins Haus. Unnachgiebig jagt Bobby Burri mit dem Plektron über die Saiten des Kontrabasses, nicht weniger straff vorwärts getrieben von Gerry Hemingway am Schlagzeug. Dieser ersetzte Fredy Studer, der im Sommer plötzlich verstorben ist, aber das Album noch mit eingespielt hat. Mit dem Video eines typischen Suder-Solos vom Jazzfestival Schaffhausen, welches auf Leinwand projiziert wurde, erinnerte die Band an ihn. Gitarrist Christy Doran, Urs Leimgruber (ss), Burri und Hemingway gestalteten und begleiteten dieses anrührende Gedenken an ihren Freund mit leisen, intimen Klängen und geräuschhaften Sounds, die schließlich langsam verhallten. Danach setzten sie mit einer wuchtigen, energisch treibenden Improvisation erneut eine Duftmarke, bei der das spärliche Publikum im Leeren Beutel die Ohren anlegen musste. Leimgruber ließ sein Sopransax schrill aufheulen, fiepte, schmatzte und zog die Luft scharf ein, statt ins Mundstück zu blasen, während Doran zwischen brodelnden Eruptionen und geräumigm Slidespiel eine Fülle an Klängen mit seinen Effektgeräten generierte. Der Bayerische Runfunk hat …

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Fisch und Fischer schuhplatteln – Christian Kühn vertont Grimm’sche Märchen

„Manntje, Manntje, Timpe Te / Buttje, Buttje inne See…“ grummelt Christian Kühn zwischen leicht tänzelnder Gitarre und schweren Bassschritten. Der einfallsreiche Komponist und Gitarrist hat mit seiner Band Kuhn Fu das alte Grimm‘sche Märchen vom „Fischermann und syner Frau“ vertont und interpretiert es auf dem siebten Album mit dadaistischer Lust völlig neu.   Um es vorneweg zu sagen: Es ist ein kolossales Vergnügen, ein köstlicher exzentrischer Spaß mit manchmal heftiger Sturmgitarre und entsetzt jaulenden Klarinetten, tanzendem Bass und raunender Erzählstimme. An jeder Ecke springt ein neues musikalisches Ballett aus dem Wasser, tanzt mit dem Fischer Marcel De Champignon, einem Hornspieler, und dem Fisch „Bruno the Architect“ einen Schuhplattler, Blues oder punkgesättigten Reigen.   Mit improvisatorischer Spielfreude Mit forciertem deutschem Akzent wird die Geschichte auf Englisch zu einem modernen Märchen umgeformt. Hauptfigur ist der Fischer, der auf der Suche nach der perfekten Melodie ist – nach „the melody that makes millions“. Diesen Wunsch soll ihm der Fisch erfüllen. Dabei entstehen – auf dem gleichzeitig veröffentlichten Live-Album (Vinyl) aus Saalfelden zu hören – die Texte immer wieder spontan auf der Bühne. Neben zwei Klassikern der wunderbar abgedrehten …

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Stumme Schreie und zirpende Frösche – Das Jubiläumsalbum von OM 50

Im trüben Schneeregen sitzen drei auf einer Leitplanke, der vierte steht daneben und streckt einen alten Schirm hoch. Das Bild auf der Homepage vom OM ist ein Signal, ein „OMen“ für die Beständigkeit und gemeinsame Energie, die es der Band ermöglicht, heuer das 50-jährige Bestehen mit einem neuen Album zu feiern, beziehungsweise das Feiern ermöglichen würde, muss man sagen, denn Schlagzeuger Fredy Studer ist kurz vor Veröffentlichung des Jubiläumsalbums überraschend verstorben.   „Wir haben natürlich von seiner Krankheit gewusst“, seufzt Christy Doran, „dass es aber so plötzlich passiert, hat uns alle überrascht und überrumpelt“, bekennt der Luzerner Gitarrist hörbar betroffen. Auf Tour werden die drei ergrauten Musiker Urs Leimgruber, Christy Doran und Bobby Burri nunmehr mit einem jungen Schweizer Schlagzeuger aus der Enkelgeneration unterwegs sein.   50 Jahre Stammbesetzung Auf dem quietschbunten Cover steht OM 50 in einem stilisierten, leuchtenden Konfettiregen, unverkennbar designed vom selbst legendären Nikolaus Troxler. Gegründet wurde die Band 1972 unter dem Eindruck (und Einfluss) von John Coltrane und Jimi Hendrix. Bald darauf traten sie am von Troxler gegründeten Willisau-Festival auf. Als Pioniere einer europäischen Electric-Free-Music schrieben sie damit an der europäischen …

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Ex-Popstar in freien Jazzgefilden – Vesna Pisarović in Regensburg

Die kroatische Sängerin Vesna Pisarović fasziniert bei ihrem Trioauftritt im Leeren Beutel, Regensburg, mit freiem Jazz und Scatgesang. Musik zu machen und übliche Einteilungen in Stile und Genres dabei links liegen zu lassen, ist heute beinahe eine Selbstverständlichkeit.   Skifflemusiker spielen mit Jazz-, Blues- oder anderen musikalischen Formen. Popmusiker greifen auf ethnische Formen zurück, Hip-Hopper nutzen völlig selbstverständlich Jazz, Grunge oder Punk. Dass aber eine erfolgreiche Popsängerin das Genre wechselt und beginnt modernen Jazz zu singen, ist auch heute noch eher selten. Noch dazu, wenn sich diese Sängerin, wie die in Berlin lebende kroatische Musikerin Vesna Pisarović gänzlich außerhalb des Mainstreams und des populären Swing bewegt. Was vor über einem halben Jahrhundert die englische Popsängerin Juli Driscoll und eingeschränkt später auch Nina Hagen vorgemacht haben, setzt die aus Bosnien-Herzegowina stammende Pisarović seit 2006 fort. Nach großen Hits, mehreren vergoldeten Alben und einer erfolgreichen Teilnahme am Eurovision Song Contest, nahm sie das experimentelle, von Elvis Presley inspirierte Album „With Suspicious Minds“ mit Gerhard Gschlößl, Clayton Thomas und  Steve Heather auf. Es war ein tiefgreifender Wandel, den Pisarović vollzog und den sie seither ständig für sich weiterentwickelt …

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