Jazzahead! mit zwei Ausrufezeichen

„Hinter diese jazzahead! wollten wir zwei Ausrufezeichen setzen“, sagt Sybille Kornitschky, Leiterin der jazzahead! in Anspielung auf die beiden großen Themen der diesjährigen Ausgabe: Neben dem Partnerland Niederlande, das sich sowohl auf der Messe als auch im musikalischen Programm von seiner besten Seite zeigte, stand auch der Jazz aus Afrika in diesem Jahr im Mittelpunkt.

 

Tineke Postma Aria Group

Tineke Postma, eine der herausragenden Persönlichkeiten der lebendigen niederländischen Musikszene, ist vor allem auch eine einfühlsame Zuhörerin. Solche Qualitäten offenbarte ein Showcase-Konzert mit ihrem aktuellen Trio, auch Aria Group genannt. Gemeinsam mit Robert Landfermann am Bass und Tristan Renfrow am Schlagzeug entführte sie das Publikum auf eine modale Klangreise voller klanglicher Innovation und emotionaler Tiefe. Es ist nachvollziehbar, warum schon Wayne Shorter voll des Lobes über die talentierte Niederländerin war, sieht er doch gewissermaßen hier ein Erbe zeitloser Innovation weiter gepflegt. Erfreulich genug ist es, dass durch die Beteiligung des Kölner Bassisten Robert Landfermann auch eine künstlerische Verbindung zum niederländischen Nachbarland lang gelebt wird – solche grenzübergreifenden Kooperationen auszubauen, ist ja auch Anliegen der jazzahead.

DZ’OB (UA)

Die Ukraine verfügt nicht nur über eine verschwenderische Fülle hochtalentierter, bestens ausgebildeter Musikerinnen und Musiker; ihre eigene Musikszene zeigt auch in puncto Kreativät dem Rest der Welt, wo es langgeht. Eine definitive Neuentdeckung der jazzahead markiert die elektroakustische Band DZ’OB aus Dnipro. Eine feine, gestenreiche Kammermusik von Oboe, Klarinette und Fagott auf der einen und zwei Streichern auf der anderen Seite wird durch eine coolen Beat getaktet durch Schlagzeuger und subtile Elektronik – heraus kam musikalische Relevanz, die vom Kammermusiksaal bis hin zu jedem Club anschlussfähig ist. Keine Frage, dass Konzerthäuser und Clubs in Kiew und anderswo auch in Kriegszeiten offen sind. Den begeisterten Applaus beantworteten Vasyl Starshynov (Oboe), Oleksii Starshynov (Fagott), Iryna Li (Violine), Oleksii Badin (Klarinette, Elektronik) und Andrii Yarovyi (Schlagzeug) durch das Hissen der ukrainischen Flagge. Kultur als Statement, aber eben auch auf maximalem Innovationsniveau!

Alexandra Ivanova Trio

Klassische Jazzformate werden durch eine junge Musiker*innen-Generation auf der Höhe der Zeit gehalten und mischen sich dabei auch gesellschaftlich ein. Ein frisches Klaviertrio um die bulgarisch-österreichische Pianistin und Komponistin Alexandra Ivanova begeisterte mit einer fesselnden Performance, die auch kulturpolitisch einiges zu sagen hatte. Mit beeindruckender Gewandtheit öffnete Alexandra Ivanovas Trio alle Türen zwischen Jazz, nahöstlichen Maqam-basierten Traditionen und auch afro-kubanischen Rhythmen. Einen hervorragenden Job machten dabei auch Nilas Lukassen (Bass) und Nathan Ott (Schlagzeug). Leichtfüßiger kann man den eurozentrischen Kanon in der Musik wohl kaum hinterfragen. Auch verbal zeigte sich Alexandra Ivanova als kraftvolle Performerin, wenn sie phasenweise in engagierter spoken-word-poetry programmatische Appelle zur Toleranz zwischen Kulturen und Geschlechtern vortrug.

Leïla Martial & Valentin Ceccaldi

Ein Duo, das bereit ist, an die Grenzen zu gehen, fand in der konzentrierten Atmosphäre des, wie immer, gut gefüllten Schlachthofs ideale Bedingungen. Schon wie zu Anfang die wachsende Erregung in Leïla Martials Stimme von Valentin Ceccaldis Cello-Tremoli beantwortet wurde, markierte großartiges Hörkino. Das französische Duo schöpfte noch nicht einmal die zur Verfügung stehenden 30 Minuten aus, um in einem schillernden, zuweilen bizarren, dann wieder traumverlorenen Kosmos zwischen freier Improvisation, Chansons und imaginärem Musiktheater Berge zu versetzen – kein Wunder, wenn Hieronymus Bosch surreal-religiöses Gemälde vom Garten der Lüste für das aktuelle Programm von Leïla Martial & Valentin Ceccaldi Pate stand.

Raw Fish (NL)

Noch einmal neue Klänge aus den Niederlanden – und noch einmal eine Formation, die eben nicht nur von dort, sondern auch aus Dänemark und Italien kommt und im Nachbarland zusammengefunden hat, weil hier eben so „internationale“ Arbeitsbedingungen herrschen. Der vollbesetzte Schlachthof war auf jeden Fall der ideale Resonanzraum: Bei „Raw Fish“ wird die ganze Diversität popmusikalischer Referenzen zum Rohmaterial – dass dabei die Betonung auf „roh“ liegt, stellten Teis Semey, Giovanni Iacovella am Schlagzeug und Marta Arpini mit Gesang und Synthesizern wiederum mit verblüffendem Feingefühl unter Beweis. Von kantigen Beats über psychedelische Synthesizerklänge bis hin zu rätselhaften Melodien und Riffs aus Indipop und Alternative Rock lieferte das Trio eine eindringliche halbe Stunde voller sinnlicher Ambivalenz.

Shuteen Erdenebaatar Quartet (DE)

Auch wer am Samstagabend drei lange jazzahead-Tage und -nächten hinter sich hatte, wurde spätestens hier wieder hellwach: Die mongolische Pianistin Shuteen Erdenebaatar hob zusammen mit ihrem Quartett zu einem enthusiastischen Höhenflug ab – mit so viel Ausstrahlung, dass auch vor einem so großen Auditorium wie in der vollbesetzen Messehalle so etwas wie Intimität entstand. Glitzernde Tongirlanden, der warme Atem des Sopransaxophons, eine zupackende Rhythmusgruppe und fokussierte, gleichberechtigte Interaktionen – all das gab dieses Quartett mit furioser Vehemenz ans begeisterte Publikum weiter. Shuteen Erdenebaatar am Klavier, Nils Kugelmann am Bass, Valentin Renner am Schlagzeug und Anton Mangold an Saxophon und Flöte arbeiten mit Herzblut und voll fokussierter Klarheit an den ewigen Idealen des modernen Combojazz, in deren Kern wiederum diese individuellen unerschöpflichen kompositorischen Einfälle dieser in München beheimateten Ausnahme-Pianistin und Bandleaderin stehen.

 

North Sea String Quartet

Geiger George Dumitriu sollte noch am Sonntagmittag ein Spontankonzert in Bremens Innenstadt geben – vor allem ging es ihm und Pablo Rodriguez darum, dass ihr formidables „North Sea String Quartet“ mehr Bekanntheit außerhalb der Niederlanden erlange – vor allem, wenn es um Auftrittsmöglichkeiten gehe. Aktuell bewerben sie ihr neues Album „Splunge“, ebenso gab es am niederländischen Messestand alle Informationen zur aktuellen Tournee, die auf jeden Fall mal einen Kurztrip ins Nachbarland rechtfertigen. Wer sich mit einem unkonventionellen Ansatz zwischen die Stühle von Genres setzt, fällt oft bei Bookern und Veranstaltern aus den Wahrnehmungsschablonen heraus. Dies zu ändern war unter anderem ein Anliegen auf der Jazzahead. Wer mit den Musikern in Bremen ins Gespräch kam, spürte auch eine immense Leidenschaft, mit der sie in Workshops und Masterclasses das eigene Wissen um neue Wege in der Klanggestaltung auf Instrumenten weiter geben.

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