Das große Zusammenrücken – Festival-Beobachtungen von „Jazz & The City“ in Salzburg

Dass in der Beschränkung auch eine Chance liegt, ist ja eine in Coronazeiten allzuoft bemühte und oft schönfärberische Behauptung. Trotzdem ist mitunter etwas dran, wie nun auch beim „Jazz & the City“-Gratis-Publikumsfestival in Salzburg zu erleben war. Natürlich ging es nach eineinhalb düsteren Jahren samt einem Komplettausfall heuer weder mit dem alten Etat noch mit den früheren Publikumszahlen weiter. Nur dreieinhalb statt fünf Tage lang konnte man sich treiben lassen, und statt bis zu 56 Spielstätten – es dürfte weltweit kaum eine andere Stadt geben, in der man fußläufig so viele grandiose Auftrittsorte finden kann wie in Salzburg, und dabei reden wir noch gar nicht über Open-Air-Plätze – waren es nun 13.

So war es die konzentrierteste, dichteste Festivalausgabe, seit die Hamburgerin Tina Heine (die seinerzeit schon das Elbjazz-Festival auf die Spur setzte) vor sechs Jahren die Intendanz übernahm. Im Guten wie auch im nicht so Guten. War es doch quasi das Gegenbild zur letzten Vor-Corona-Ausgabe, als das Motto noch „Let’s get lost“ geheißen hatte. Nun hieß es eher: sich sammeln. Schauplätz waren situationsbedingt diesmal die größeren, Konzert-bewährten und -tauglichen Locations (wozu man den lärmigen Stiegl-Kellers rechnen kann, wenn man nicht ausgerechnet das schlagzeuglose Filigran-Trio des Geigers Theo Ceccaldi dorthin platziert. Ein paar organisatorische oder technische Patzer gehören in Salzburg auch immer dazu). Bereits bekannte wie die Kollegienkirche, der „Jazzit“-Club und die „Szene“, die nun erst recht der eigentliche Festival-Mittelpunkt wurde.    Erstmals war das wunderschöne Marionettentheater (im Haus des Landestheaters) dabei, gleich als vielleicht zweitwichtigste Anlaufstelle (samt Aftershow ganz zum Schluss). Und neu war auch die Open-Air-Bühne am Residenzplatz.

So ging dieses „Jazz & The City“ eher in Richtung „normales“ Festival, und war nicht mehr der über Tage gestreckter lange Salzburg-Spaziergang, auf dem man die unterschiedlichsten Orte, vom Brauerei-Maschinenhaus über Buchhandlungen und Restaurants bis zum Schirmgeschäfte musikalisch entdecken kann. Dafür hatte man es auch viel weniger mit störender Fluktuation, sofort überfüllten kleinen Räumen oder der Gleichzeitigkeit von Allzuvielem zu tun.

Kompakt war denn auch die Besetzung des Programms. Weit über 50 Konzerte waren es dann doch, einschließlich der von Heine so geliebten spontanen „Blind dates“ und „Open House“-Non-Stop-Performances. Sah man genauer hin, waren es freilich bei weitem nicht so viele Bands und Künstler: Fast alle spielten geradezu im Akkord, mit verschiedenen Besetzungen und Projekten. Was nun seinen eigenen Reiz hat, wenn man den Schlagzeuger Max Andrzejewski erst beim großartigen Eröffnungskonzert an der Seite des Gitarristen Kalle Kalima in der Weichenstellerrolle sah, mit der er das Ensemble Resonanz und den Rezitierend-singenden Charly Hübner in eine überzeugende Kombination von Schuberts Winterreise mit Nik-Cave-Songs leitete; dann mit seinem hyper-expressiven Duo Training mit dem Saxofonisten Johannes Schleiermacher; dann mit dem Hütte-Sextett seines John-Wyatt-Projektes; und schließlich im zufälligen „Blind Date“-Zusammentreffen. Auch besagtes Ensemble Resonanz war gleich mit drei völlig unterschiedlichen Programmen vertreten. Ein Lukas Kranzlbinder war mit seiner Erfolgsband Shake Stew da, aber auch im Duo mit Julian Sartorius, ein David Helbock mit seinem angestammten Random/Control-Trio, samt Erweiterung um eine Sängerin, und mit seinem neuen „New Cool“-Trio. Ein Kit Downes, der mit dem grandiosen Deadeye-Hammond-Trio die „Szene“ verzückt, im „Jazzit“ auf Lucia Cadotsch trifft und in der „Kollegienkirche“ (mit der dabei kaum zu hörenden Cellistin Lucy Raylton) die Orgel ausreizt.

Lässt man die bisher genannten Namen Revue passieren und nimmt dann noch andere wie die Schlagzeuger Christian Lillinger (derzeit ja allgegenwärtig und auch hier Titelfigur auf Plakat und Programm) und Alfred Vogel, die Holzbläserin Angelika Niescier, die Vibrafonisten Pascal Schumacher und Christopher Dell, die Pianistin Julia Hülsmann oder den Trompeter Nils Petter Molvaer dazu, sieht man, dass die „Jazz & the City“-Edition 2021 eine der „Festivallieblinge“ war. Fast kein Musiker, der in den vergangenen Jahren noch nicht (und meist mehrfach) in Salzburg zu Gast gewesen ist. Und kaum einer, den man nicht dem Spektrum der europäischen Avantgarde zuordnen kann. Das war – obwohl sich Salzburg schon zuletzt immer mehr in Richtung Saalfelden bewegte – nun sicher auch der Ausnahmesituation dieses Jahres geschuldet. Zur Gewohnheit sollte es nicht werden. Für ein gutes Festival und seine Macher gilt, wenn sie dem Publikum dienen wollen, auch die  Devise „kill your darlings“. Oliver Hochkeppel

Alle Fotos: Henry Schulz

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