Nik Bärtschs Solo-Album Entendre

Den Komponisten und Pianisten Nik Bärtsch verortet man spontan mit den Ensembles Ronin oder Mobile. Auf seiner neuen Aufnahme beschreitet er, zumindest beim Label ECM, dem er seit gut fünfzehn Jahre verbunden ist, neue Pfade. Mit „Entendre“ erscheint dort ein Piano-Soloalbum, das Bärtsch im ihm klanglich wohl vertrauten Auditorio Stelio Molo RSI in Lugano aufgenommen hat. Bärtsch hat sich, nach seiner ersten Soloaufnahme vor zwanzig Jahren, in diesem Metier kontinuierlich weiter entwickelt, ob im Rahmen der 2017er Solo-Tournee, anlässlich seines Recitals in New York zum fünfzigjährigen Jubiläum von ECM oder im von Bärtsch gegründeten Züricher Club EXIL, in dem er regelmäßig auftritt.

Wo Nik Bärtsch draufsteht, ist auch Nik Bärtsch präsent. Was musikalisch im Ensemble funktioniert klappt solo entsprechend, wobei seine Musik dabei einen wesentlichen Aspekt hervorhebt: es finden sich Nuancen und Momente wieder, die man bereits von den Ensembles Ronin oder Mobile kennt. Anders als im Gruppenkontext aber, wirken Bärtschs Stücke solo gespielt fragiler, sensitiver. Die Kompositionen werden in der Regel nummeriert, mit „Modul“ betitelt und dienen so als musikalischer Rahmen, um sich entsprechend dem instrumentalen Umfeld anzupassen zu können.

 

Modul 58_12

Das beste Beispiel dafür ist auf der aktuellen CD gleich das erste Stück „Modul 58_12“: eine Kombination, die Bärtsch bereits im Ensemble mit Ronin auf „Awase“, bzw. mit Mobile auf „Continuum“ interpretiert hat. Für die vorliegende Soloaufnahme ist das vielleicht auch der beste Einstieg für den Hörer, da dieser, sofern er den kompositorischen Bärtsch Kosmos kennt, erst einmal mit vertrauten Klängen abgeholt wird. Nichts desto trotz hat gerade sein Solospiel eine ganz eigene Anziehungskraft, da man unmittelbar den puren Sound des Flügels hört und wahrnimmt, jedes einzelne Detail, sei es der Tastenanschlag oder das Nachklingen der Saiten. Unnötig zu betonen, dass hier aufnahmetechnisch wieder meisterlich produziert worden ist, das ist nun mal ECM-Standard! Nach diesem kraftvollen Auftakt folgt ein Mix aus kontemplativen, beruhigend entrückten Stücken wie „Modul 55“, die Raum geben für Assoziationen, wobei auch in minimalistischen Wiederholungen von Phrasen, z.B. bei „Modul 26“ oder dem rhythmusbetonten „Modul 5“, größtmögliche klangliche Transparenz zu Tage gefördert wird.

Den Flow finden

Bärtsch selbst merkt zu seinem Spiel an, dass er versucht „loszulassen, einen Flow im Stück zu finden; den Drang, die Musik zu forcieren, zu überwinden und so eine höhere Ebene der Freiheit in Übereinstimmung mit der Form des Werkes zu finden“. Mit großartigem Feingefühl und Präzision erreichen seine „Module“ damit den Hörer und vermitteln ein intensives, wohltemperiertes Hörerlebnis. Man kann sich unbeschwert fallen lassen, alles um einen herum vergessen und vollkommen in die Klangwelt von Nik Bärtsch eintauchen.

Für das Album „Entendre“ – nomen est omen – sollte man sich bewusst Zeit nehmen und es konzentriert mit Muße hören, damit es seine gesamte melodisch harmonische Kraft entfalten kann.

Parallel zur CD erscheint Anfang Mai im Verlag Lars Müller Publishers eine Buchpublikation von Nik Bärtsch: „Listening: Music – Movement – Mind“, die Einblicke in seine „rituelle Groove-Musik“ gewährt und die Philosophie, die ihr zugrunde liegt, reflektiert.

Nik Bärtsch – Entendre, ECM 2703

Text und Fotos: Thomas J. Krebs

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2 Kommentare

  1. Ich hab sie grad im Ohr, die Neueste von Nik Bärtsch. Als grosser Liebhaber seiner Kunst und guter Kenner seiner Kunstwerke fällt mir erstmal auf, wie er spielerisch mit bekannten Motiven seiner Werke umgeht – wie er eben spielt mit ihnen; das ist ein Segen zu erleben, denn SPIELEN ist eine ganz andere Kunstform, als sich an Kompositionen zu halten und diese zu reproduzieren, finde ich. Ich hab ihn hunderte mal live erlebt und nicht einen einzigen Moment das Gefühl gehabt seine Musik komme aus der Konserve. Er und seine Freunde spielen sie in den Raum hinein, konstruieren sie derart gekonnt präzise, engagiert und mit Leichtigkeit jedesmal ganz neu, mit Spielraum für Überraschendes. Was für ein Genuss, dies alles, nebst den grandiosen Kompositionen, eben erleben zu dürfen. Gerade waren es 850 mal im Zürcher Club ‚Exil‘ – ja, ohne Wiederholungen, jedes mal neu, anders, jeder Ton ist, was er ist: ein Unikat – dem sind sie verpflichtet scheint mir; das hebt den Ton als Wunderbares genau dorthin, wo er hingehört. Danke!

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