Erlösung aus der Konzertabstinenz: Frederik Kösters „Die Verwandlung“ auf der Lüdinghauser Burg Vischering

Fotos und Text von Stefan Pieper. Der Liveauftritt von Frederik Kösters Band „Die Verwandlung“ im Hof der westfälischen Wasserburg Vischering war vor allem für diese Kölner Musiker eine besondere Premiere: Im März vor dem großen Lockdown konnten sie das letzte Mal vor Publikum auftreten und eine so lange Live-Abstinenz wiegt schwer. Motivation und Stimmung sind nun einfach ganz anders, als bei jeder Livestream-Produktion, sagt Frederik Köster bei der Begrüßung – um die ganze Emotion dann zusammen mit Joscha Oetz, Jonas Burgwinkel und Sebastian Sternal ans zahlreich erschienene Publikum weiter zu geben.

Das Kölner Quartett hat für seinen aufgeklärten Jazz schon zahlreiche Preise abgeräumt – und sie sind in Köln im Rahmen des Klaeng-Kollektivs äußerst umtriebig, wenn es um die Vernetzung der regionalen Jazzszene geht. Sie legen sich dann auf der Burg Vischering mächtig ins Zeug mit ihren betont eigenständigen Kompositionen. Unregelmäßige Metren und gewagte Tonalität, die sich Ecken und Kanten leistet – und Gelegenheit gibt, sich daran abzuarbeiten und spontan Neues daraus entstehen zu lassen. Ja, es braucht an diesem Abend erst mal ein kleines Weilchen, um in den komplexen Koordinatensystemen von Kösters Kompositionen heimisch zu werden.

Aber die Energie des Ortes beflügelt bald umso nachhaltiger: Frederik Köster lässt sich fallen und sein Spiel strahlt überlegene Wärme und Ruhe aus. Joscha Oetz auf dem Kontrabass mobilisiert überlegene Energien und kommt immer auf den Punkt, wen er in resoluten Linien die Geschicke lenkt. Sebastian Sternal fantasiert und soliert, lässt es funkeln und strahlen auf dem Fender Rhodes, das eben so wenig wie der große Flügel vor so viel leichtfüßiger Anschlagsfinesse widerstehen kann. Und Jonas Burgwinkel: Der zeigt sich einmal mehr prädestiniert, um den programmatischen Namen von Kösters Band wörtlich zu nehmen: Sein gestenreiches, intuitives Schlagzeugspiel ist eine permanente „Kunst der Verwandlung“. Unablässig verleibt er sich den Groove, Energielevel, alle Klänge und Gesten und vor allem auch die klitzekleinen Feinheiten eines jeweiligen Stückes ein, malt aus, füllt Lücken, verdichtet, denkt weiter – und zwar ohne irgendwann mal eitel die Dinge an sich reißen zu wollen.

Die „Kunst der Verwandlung“ verleibt sich an diesem Abend viele Inspirationsquellen ein: Vor allem orientalische Tonskalen haben es Frederik Köster angetan, seit er im Rahmen des Morgenland-Festivals nach Beirut tourte. Aber es hat auch viel europäisches, ja manchmal durchaus balkaneskes, wie er zu den treibenden Tanzbeats der Band mit Vierteltönen jongliert. Wunderbar sensibel streicheln impressionistische Klangbilder die Seele, welche Frederik Köster dem südländischen Levante-Wind abgelauscht hat – und die hier nun die Abenddämmerung stimmungsvoll begleiten.

Das arabische Wort Yallah heißt so viel wie „Los geht`s“ und so klingt dann auch die so betitelte Nummer. Temperamentvoll brennen alle vier ein Ideenfeuerwerk ab. Schließlich bleibt nur das Schlagzeug übrig – Burgwinkel zieht in einem mächtigen Solo das Resumé aus allem voraus gegangenen. Es ist längst dunkel und die Bühne in farbiges Licht getaucht, als Frederik Köster in der Abschluss-Nummer zum Sänger wird. Leise und poetisch trägt er William Blakes Gedicht „Evening Star“ als sensible Ballade vor. Und die wirkt vor allem deshalb so hautnah, weil Köster bei diesem reinen unplugged-Konzert gar kein Gesangsmikro hat. Und dies auch gar nicht braucht bei einem Publikum, das im vertieften Zuhören bestens geübt ist. So geht gelebte musikalische Fantasie, die eine solche auch in den Köpfen der Zuhörerschaft aufblühen lässt!

Der tägliche
JazzZeitung.de-Newsletter!

Tragen Sie sich ein, um täglich per Mail über Neuigkeiten von JazzZeitung.de informiert zu sein.

DSGVO-Abfrage *

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.