Jazzland Norwegen: Eindrücke vom Nutshell Festival und Nettjazz Festival

Es hat mehrere Gründe, dass die Jazzwelt die norwegischen Künstler gut kennt. Dazu gehören auf der einen Seite natürlich Kreativität, Originalität, spielerisches Können. Auf der anderen Seite aber lassen sich Institutionen wie Music Norway oder das West Norway Jazz Centre nicht lumpen und veranstalten umfangreiche Events mit internationalen Gästen, die die Künstler aus dem eigenen Land auf besonders nachdrückliche Weise vorstellen. Es ist einfach etwas anderes, wenn man, wie im vergangenen Jahr, Trygve Seim sein Solo-Saxofon am Bug eines Wikinger-Bootes spielen hört, während das Gefährt gerade einen Fjord entlang schippert. Oder wenn Erland Dahlen, wie in diesem Jahr, sein Schlagzeug vor dem pittoresk verzierten Chor der Vangskyrkja Kirche trommelt. Oder wenn das Indie-Jazz-Quartett Rune Your Day seine karg-energischen Klangräume bei einer Garden Party mit Blick auf den malerischen See von Voss entfaltet. Das Auge hört mit, das Gehirn kodiert angenehme Stimmungen mit der musikalischen Erfahrung, und die Offenheit wächst, sich mit ausgerechnet dieser Spielart des europäischen Jazz zu beschäftigen. Das kann es nicht alleine sein, aber es ist eindeutig ein spannenderes Gesamtpaket, als eine CD aus dem Posterumschlag zu holen.

Außerdem zeugt es von einer öffentlichen Wertschätzung, die ein Land seinen Künstlern entgegenbringt. Schon deshalb sind Veranstaltungen wie das Showcase-Festival Nutshell spezielle Termine im Jahresablauf, vor allem, wenn sie sich auch noch mit einem weiteren Festival wie dem Nattjazz in Bergen kombinieren lassen, das seit Freitag und noch bis in den Juni hinein vor allem einheimische Künstler auf die Bühne der ehemaligen Sardinenfabrik USF Verftet bringt. Spannend war dabei die stilistisch Ausrichtung der jungen Künstler, die präsentiert wurden. Galten lange Zeit nach der Phase des freien, experimentellen Spiels die Kombinationen mit Rockmusik, Electronics oder Folk als die typischen Spielstile, mit denen man aus Skandinavien im allgemeinen und Norwegen im Speziellen rechnen konnte, waren diesmal modern traditionelle Ensembles in der Überzahl. Das Sextett Bounce Alarm etwa bewegte sich mit zwei Saxofonen und Trompete als Frontline im Klanggemenge zwischen vorsichtiger Ausweitung der Ensembleform, Elementen der aktuellen Folkkomposition und energisch improvisierenden Passagen. Durchaus ähnlich, wenn auch gestalterisch zugleich lakonischer und experimentierfreudiger arbeitete das Concept Quintett der Saxofonistin Hanna Paulsberg sich an vergleichbarem akustisch modernem Material ab. Erland Dahlens Solo-Programm entwickelte sich zu einem energetischen Trommel- und Glocken-Gewitter, während das Klaviertrio von Dag Aresnen in der Spielkultur geschmackvoll in der Nachfolge der modernen Jazzromantiker agierte.

Aber es ging auch anders und emphatischer. Das Trio um den Pianisten Håvard Wiik zum Beispiel schaffte es, trotz der Kürze eines Showcase-Konzerts wunderbar viel Witz in die Dekonstruktion des Pianoformats zu packen. Und der Saxofonist André Roligheten durfte gleich zweimal seine Rolle als wichtige neue Gestalt in der Modern Szene des Landes bekräftigen, zum einen als bis in freie Spiel hinein navigierender Bandleader seines eigenen Quartetts, das mit sperrigen, sich über lange Bögen entwickelnden Kompositionen an die Siebziger anknüpfte. Außerdem war er einer der beiden Saxofonisten des Quartetts Rune Your Day, das in der Mischung aus präzise entwickelter Arrangementkargheit und Indie-Soundappeal die überzeugendste Figur des Nutshell Events machte. Demgegenüber wirkten die Stars des Eröffnungswochenende des Nattjazz Festivals schon beinahe wie Kollegen von gestern. Denn wenn ein Frode Haltli sein Akkordeon auspackte, um atmosphärischen Avant Folk anzubieten, oder auch Geiger wie Nils Økland, Erlend Apneset oder Old Kvernberg ihre Hardanger Fiddle in die Hand nahmen, um mal mehr, mal weniger energisch an der Atmo des Nordens zu schrauben, entsprach das eher dem Soundklischee als die Musik, die die jungen, aus dem Klanginventar der Jazzmoderne schöpfenden Musiker und Musikerinnen entwickelten.

Text & Fotos: Ralf Dombrowski
Titelbild: Rune Your Day

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