Bergklänge und Stadtkultur – das Südtirol Jazzfestival Alto Adige geht in die 35. Runde

Klaus Widmann traut sich was. Denn er widersetzt sich als künstlerischer Leiter souverän den Gesetzen der Festivalwelt, die in der Regel Aufmerksamkeit über Prominenz generiert, und gestaltet das Südtirol Jazzfestival Alto Adige überwiegend mit Musikern, die erst noch entdeckt werden wollen. „Mich interessieren die jungen Leute und ihre Ideen“, meint Widmann und erzählt weiter, dass er aus diesem Grund beispielsweise der grenzüberschreitenden Euregio Jazzwerkstatt viel Raum gebe. Längst muss auch ein „Artist In Residence“ kein alter Meister des Geschäfts mehr sein, sondern kann, wie im Jahr des 35. Jubiläum des Festivals, mit dem holländischen Gitarristen Reinier Baas einen Newcomer der europäischen Jazzszene in den Mittelpunkt stellen. Sein Eröffnungsabend im Messezentrum von Bozen ist eine unterhaltsam-skurrile Mischung aus Konzeptmusik, medienübergreifender Gestaltungsidee und subversivem Witz, die er im elfköpfigen Ensemble präsentiert. Im Mittelpunkt stehen die Zeichnungen von Cartoon-Künstler Raymond Koot (Typex), die eine etwas holprige Liebes- und Leidensgeschichte der schrillen Princess Discombobulatrix illustrieren, von der Sängerin Nora Fischer stellenweise bühnentheatralisch umgesetzt werden, ansonsten aber als Projektionen präsent sind. Für den Festivalstart fügte Baas außerdem eine ebenso fröhlich schräge Bearbeitung der ladinischen Geschichte von Prinzessin Dolasilla hinzu, ähnlich im Stil und mit einer Portion die Tradition relativierendem Humor umgesetzt.

Damit nicht genug. Während der folgenden Tage ist Baas viel beschäftigt, mit Workshops und kleineren Besetzungen wie etwa dem Duo mit dem Saxofonisten Ben van Gelder vor imposanter Dolomitenkulisse auf der Malga-Fornella-Alm am Würzjoch. Überhaupt sind die ungewöhnlichen Orte neben den jungen Musikern, den Länderschwerpunkten wie in diesem Jahr Benelux und dem durchdachten künstlerischen Konzept eine Besonderheit des Südtirol Jazzfestivals Alto Adige. Der Pianist David Helbock beispielsweise gastierte mit seinem Trio in einem Heustadel beim Weihrerhof am Ritten. „Der Sound war ganz speziell, man spürte das Holz schwingen“, meinte er nach dem Konzert, sichtlich angetan von der Atmosphäre und dem begeisterten Publikum. Auf dem Programm standen die Songs des „Into The Mystic“-Albums, die Helbock, der Bass-Ukulele-Spieler Raphael Preuschl und der Schlagzeuger Reinhold Schmölzer mit routinierter Perfektion und viel Emphase präsentierten. Auch hier wurde klar, dass sich das Festival längst zu etwas Eigenständigem entwickelt hat. Denn es feiert die Musik für sich, aber auch als Kombination von regionaler Verortung, außergewöhnlichem Ambiente und zukunftsträchtiger Konzeption. „New Sounds – Fresh Perspectives“ ist als Motto auf die Flyer gedruckt. Passt.

Ralf Dombrowski

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