Kein Stein bleibt auf dem anderen: Filippa Gojos neues Album „Vertraum“

cover_filippaVon Stefan Pieper –  Filippa Gojos neues Album „Vertraum“ ist die Antithese zu vielem Überlauten und Überproduzierten, was heute vielfach die Sinne verstopft. Dies gebiert im Falle der in Köln lebenden Sängerin ein Panoptikum unverbrauchter vokaler und im besten Sinne künstlerischer Möglichkeiten. Übrigens hat Filippa Gojo soeben den Neuen Deutschen Jazzpreis bekommen – und noch einen Solopreis dazu! Die Frage nach dem Warum beantwortet diese Platte, zu der Filippa Gojo übrigens von Roger Hanschel einige maßgebliche Anregungen erfuhr, aufs eindrücklichste.  „Vertraum“ ist ein Fantasiewort – und so etwas ist hier Programm. Denn Filippa Gojo mag die Befreiung durch Dekonstruktion. Sie ist auf ihrem Album sich selbst und ihrer eigenen Stimme genug. Mehr braucht es nicht, wenn man es kann – und Filippa Gojo kann genau dies: Mit ihrer Stimme eine facettenreiche Ausdrucksskala abbilden und auf diesem Wege Neues, Unverbrauchtes zu erschaffen. Und dabei authentisch zu bleiben.

Das neue Album, zu dem sie übrigens von Roger Hanschel künstlerische Anregungen erhielt, wirkt so, als wäre sie noch stärker als bislang innerlich zur Ruhe gekommen. In manchen Songs beschreibt sie ja auch Zustände eines perfekten Einklangs mit sich selbst und der Welt. Was bei ihr – und vermutlich bei jedem Menschen die Grundlage für echte Kreativität ist! So ist schon am Anfang ein Jazzstandard namens „Lazy Afternoon“ nicht länger ein solcher, sondern wird zur persönlichen Botschaft.

Ihr Gesang atmet eine tiefe innere Ruhe. Etwas dunkel gefärbt mutet das warme Timbre ihrer Stimme an – und eine latente Vorliebe für etwas sperrige Intervallsprünge geben den Melodien ihr unverkennbares lebendiges Gepräge. Dazu perlt auf dem neuen Album zuweilen eine spielzeughafte Pentatonik auf einer Art Daumenklavier. Das macht locker für schonungslose Verstöße in vokalartistische, lautpoetische Stimmen-Abenteuer. Und sowas hat bei dieser Künstlerin nie den Anflug von – in der singenden Zunft sonst durchaus häufig anzutreffendem – Manierismus.

Im Gegenteil: Hier kommt alles natürlich aus sich selbst heraus – und geht zugleich auf mutige kreative Entscheidungen zurück. Selbst wenn punktuelle Exkurse von freejazziger Vokalakrobatik auch mal in dadaistisch anmutende Lautpoesie und Fantasiesprache münden. Filippa Gojo lässt auch in Sachen sprachlicher Semantik keinen Stein auf dem anderen.

Lebendige Jazz-Kultur kann ohne eine hellhörig forschende Offenheit für neues Terrain nicht plausibel sein. In dieser Hinsicht lotet „Vertraum“ neue Quellen aus, die teilweise uralt sind: Tief berührende Lieder hat sie in ihrer Vorarlberger Heimat ausgegraben und sich dafür auch ins alemannische Mundart-Idiom hinein gehört. Eine Reflexion über die Vergänglichkeit eines jeden Tages findet sich in metaphern gesättige Naturlyrik gekleidet. Noch ergreifender wirkt eine – diesmal aus dem 19. Jahrhundert kommende – tieftraurige Ballade über eine unerfüllte Liebe, die nicht hat sein sollen. Der Geliebte musste in den Krieg ziehen und ist nie wiedergekommen. Sowas passiert auch heute ständig irgendwo auf diesem Planeten, soviel ist klar!

Sehr intensiv wirkt auch ihr zweites selbstgespieltes „Begleitinstrument“ – eine Shruti-Box, eine Art Harmonium aus der indischen Musik, welches durch einen statischen, aber zugleich unregelmäßig schwingenden Bordunton die Gesangsmelodien verdichtet.

Kurzum: Filippa Gojo markiert mit ihrem neuen Album einen Entwicklungsschritt, der staunen macht. Die Musikwelt braucht mehr solche Alben. Aber nochmal geht ein solches Album wie dieses wohl kaum. Dafür ist es zu einzigartig…..

 

Filippa Gojo: Vetraum“ (Ajazz 2015)

 

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