Die chemisch unreine Welt des Jazz

Über die Facebook-Seite der Kolleginnen der Jazzthetik habe ich Kenntnis bekommen von dem Versuch der Konstruktion eines Periodensystems des Jazz, ähnlich gebaut wie jenes, welches man aus der Chemie kennt. Sie zitieren den Originaleintrag: A great poster for the music classroom: www.periodictableofjazz.com. Das hat in der Tat etwas sehr Faszinierendes. Kann man den Jazz wirklich in diesen Linien abbilden und welche Konsequenzen hat das für das Verständnis des Jazz, präziser der Jazzgeschichte. Kann man den Jazz auf Louis Armstrong und Jelly Roll Morton zurückführen, ist die Bedeutung von Miles Davis mit drei Einträgen nicht vielleicht zu zentral gesehen? Oder in den Kommentaren auf der Erstpostingsite: Wo sind die ganzen Frauen? Wo ist der ganze europäische Jazz (außer E.S.T.). Die hübsche Spielerei zeigt eigentlich damit etwas ganz anderes. Dass der Jazz längst exoplanetarisch geworden sein muss, vor allem die Ursuppe der subatomaren Bauteile (Quarks & Co) ist so umfassend, dass ein Periodensystem schnell an seine Grenzen kommt. Miles Davis ist kein Element, sondern doch eher ein „schwarzes Loch“ oder ein „roter Riese“, oder ein sehr massereiches Element, was viele Zerfallsprodukte kennt. Oder?

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Das Recht auf Improvisation – “I have no more music in me!“

Man müsste es schon genauer beschreiben. Hat man als Hörer eigentlich ein Anrecht darauf, dass Jazzmusiker etwas zu imporovisieren wissen? Bei einem klassischen Konzert bekommt man ja ein Programm, wo drauf steht, was gespielt werden wird. Das ist bei Jazzkonzerten eher selten der Fall. Ich frage nach: Vor geraumer Zeit hat Felix Janosa auf Facebook von einem Konzerterlebnis mit Keith Jarrett berichtet. Der habe in Paris ein Konzert gegeben und dieses nach einer gewissen Zeit abgebrochen. „I have no more music in me!“, soll er gesagt haben. Beitrag von Felix Janosa. Ich bin nicht sicher. Aber was soll man da machen? Muss ein Musiker dann wie in einem Werksvertrag irgendwie doch weitermachen. Vielleicht hätte Jarrett ja auch einfach ein paar Bach-Präludien hinten an setzen können. Wenn er nicht genug Musik in sich hat, dann gibts ja auch noch genug andere Musik außer ihm. Profi genug ist er ja.

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Massive Schräge im A-Trane. Foto: Petra Basche

Fast ohne „e“ – „Massive Schräge“ im A-Trane (Fotos und Bericht)

Die Schläfer sind unter uns und wir selbst sind es, die da schlafen. „Massive Schräge“ sind unsere Wecker und unsere musikalischen Tages- und Nachtbegleiter: Johannes von Ballestrem – p, rhodes, Florian Fleischer – git und Johannes Ziemann – dm. Gefunden haben sich die drei übrigens in der Stadt, die für Klassizismus schlechthin steht: in Weimar. Dort trafen sie zusammen, alle zusammen Jazz studierend und jetzt völlig unklassisch agierend. Jetzt leben oder studieren sie in Leipzig, Berlin und Hamburg. Die Besetzung ist nicht gerade eine der üblichen. Drei Rhythmusinstrumente nach dem erweiterten Curt Sachs. Aber diese Rubrizierung ist hinfällig und nur archäologisch präzise: Gleichwohl handelt es sich um Melodie- und Harmonieinstrumente insgesamt und sowohl als auch: Ja, auch das Schlagzeug in den Händen von Ziemann. Man darf der Spur des Rhythmus‘ aber durchaus folgen, die sich in den Kompositionen der drei Musiker äußert. Da wird geschoben, verschoben, konterkariert – Pattpattettern is it. Die pattendernde Struktur ist dabei Substanz und Ergebnis in einem, wie in einem Blumen-Beet, aus dem heraus dann Pflanzenfragmente ragen und sich mäandernd entwickeln, Knospen aufgehen in erfrierend schönen Klängen von Fleischers Gitarre, während …

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Winterjazz 2014. Köln. Foto: Basche

Winterjazz in Köln 2014 – Bericht und fotografische Eindrücke

Die Fakten sind ja ziemlich schnell erzählt. 21 Gruppen auf insgesamt 5 Bühnen an einem Abend im und um den Kölner Stadtgarten. Knapp 75 Musiker gaben sich die Ehre. Kostenlos und drinnen, sofern man einen Platz irgendwo ergattern konnte. Stilistisch eher an aktuellen Jazz-Klängen orientiert, die nicht selten die Sphären zur improvisierten Neuen Musik streifte. Deckungsebenen gibt es ja genug. Fotos: Petra Basche Gleichwohl: Als Zuhörer hatte man es schwer, a) sich zu entscheiden, wohin man wollte und b) sich seinen Hörraum zu erobern. Schlangen oder Menschentrauben vor den Veranstaltungsräumen zeigen an, wie erfolgreich das Konzept ist, einen ganzen Abend sukzessiv und synchron Musiker aufspielen zu lassen und wie schwierig die Hörsituation zu finden ist. Dabei haben sich die Veranstalter ziemlich gewitzt angestellt. Jede Bühne hatte ihren Schwerpunkt. Im Pub, Irish Harp, hätte man neuen Vokaljazz hören können, im „Zimmermanns“ etwas lautere experimentellen Jazz, im Restaurant des Stadtgartens eher Grooviges, auf der Studiobühne Soundtüftler und im „Großen Saal“ Konzertantes mit Klavier. Die Entscheidung wurde einem aber situations- und füllebedingt eher für manchen endgültig – man kam, emphatisch gesprochen, nicht mehr rein, oder nicht mehr raus. Gehörte Höhepunkte Dem …

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Jazzfest 2013 – Monika Roscher BigBand / John Scofield „Überjam Band Deux“ – Gelb- und Grünschnäbel

Eine letzte Überraschung für den Jazzfan konnte das letzte große Konzert beim Jazzfest Berlin 2013 eigentlich nicht sein. Gewiss mochte manchem altgedienten Jazzfest-Gänger der Auftritt ein jungen deutschen BigBand, zumal geleitet von einer Frau, den Magen und seine eingerosteten Hirnareale verdrehen, aber das sind Kollateralschäden, die man allzu gerne in Kauf nimmt – nein, die dürften ihre Alkoholfahnen gerne an der Currywurst-Theke olfaktorisch zum global Stunk vereinen. Kurz, das Jazzfest endete fulminant. Gelbe Gorilla-Musik (Monika Roscher BigBand) Auftritt die charmante Monika Roscher, präsentierend ihre „Fehler im Wunderland“. Kein Fehler! Im Gegenteil. Man hört der Bandleiterin an, sie ist nicht allein vom Jazz sozialisiert. Sie singt nicht mit dieser Woman-Wonder-Stimme, wie sie sich global im Jazz ausbreitet sondern mit einer unprätentiösen Popstimme, wie man sie eher von freundlichen Herren kennt. Ihre Arrangements sind teils skurril, aber nicht überzüchtet. Das ist schon ein so eigener Ton, der ruhelos rauh bis derb dreinfährt. Fotos: Petra Basche Monika Roscher hat begriffen, dass man auch mal ein bisschen was „zeigen“ darf: Ihre gelegentlich eingestreuten Kostümierungen holen die Fantasiewelt des Kinderzimmers auf die Musikrampe. Das überzeugt, weil es nicht als Effekt …

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Im Silbermeer des Mittelalters

Vor mir saß im Konzert ein Mann, dessen Brille, machte mich meine Nachbarin aufmerksam, von der gleichen Manufaktur stammt wie die meine. Man könnte annahmen, er habe auch sonst den gleichen Geschmack. Schließlich sitzt er auch im gleichen Konzert. Und ja, ein Gespräch am Ende eines weiteren Konzertes bbestätigte diese Vermutung. Man war gemeinsam angetan. Das Alter des Mannes passte auch in den Zusammenhang. Man ist eine Generation. Mittelalter. Und dann sieht man sich um: Alles ist hier Mittelalter und vorwiegend männlich. Das vielbeschworene Silbermeer, oft dem klassischen Kozertsaal oder der Oper zugeordnet, exisitiert vor allem bei den Festen des Jazz. Alles ströbelt in allen Ecken. Demgegenüber dann die Musiker auf der Bühne: Christian Scott (dessen Mitmusiker so 22, 23, 24 Jahre alt sind). Heute abend Monika Roscher mit ihrer BigBand (auch keine alten Herren). Michael Wollny! (Obwohl, der sieht nur so jung aus!) Auf der anderen Seite: Olle so genannte Legenden. Pharoah Sanders (74), Jack DeJohnette (71), Ernst-Ludwig Petrowsky (80), Joachim Kühn (69), Fred Wesley (70). Knapp schon steinalt, aber nicht veraltet in ihrer Musik. Und wen erreichen Sie eben? Uns, zwischen 40 und …

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Jazzfest 2013 – Michael Wollny und Abraham Inc. – Strenge Extase vom Main und New Yorker Kraftschmelze

Ein musikalischer Höhepunkt des diesjährigen Festes. Denkbar verschieden die beiden Auftritte, packend waren sie auf beide Weisen. Die Wunderkammer XXL des Michael Wollny mit Tamar Halperin & der hr-BigBand kochte kompositorische Konstruktion hoch, Abraham Inc. feat. David Kracauer, Fred Wesley, socalled and others, schmolz sie im Party-Tiegel ein und ließ den Saal beben Strenge Extase (Michael Wollny / Tamar Halperin & die HR-BigBand) Wollnys Wunderkammer-Kompositionen mit dem von Tamar Halperin ergänzten Tasteninstrumenten-Konvolut (Celesta, Cembalo, Quetsche) haben ja eine ganz eigene Tonsprache. Diese spielt häufig mit Akkordbrechungen aus Terz- und Quartentürmen, in gebrochenen Rhythmen. Die Musik spiegelt sich in den Musikern. Daraus wird eine präzis unscharfe Binnenharmonik gezogen, ähnlich wie ein Zwiefacher. Das haut einen um, zumal wenn Wollny mehr oder minder komplex und instantan komponierte Soli dazwischen setzt. Jetzt kommt mit den Arrangements von Jörg Achim Keller die hr-BigBand in Spiel. Mundgeblasene Kaskaden von den Bläsern fügen sich hinzu, mit dem Schlagzeug wird die Musik durchlöchert. Das fegt einem Orkan gleich durch den Raum. Fotos: Petra Basche Man liest häufig, das erinnere an Filmmusik. Das stimmt. Der Einsatz des Cembalos trägt dazu bei. Von Miss …

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Jazzfest 2013 – Michael Riessler „Big Circle“ und Jack DeJohnette Group – Solistenzwang und Gruppenklang

Der zweite Tag des Jazzfestes hat im Haus der Berliner Festspiele ein Kontrastprogramm bereitgehalten. Ein großer Kreis, Michael Riesslers „Big Circle“ traf auf ein Jazzquartett um den Schlagzeuger Jack DeJohnette. Kraftsuppe trifft auf kammermusikalisches Quartett. Die Fragen stellten sich an diesem Abend anders: Reproduktion des Selbst (Michael Riessler) Der große Kreis von Michael Riesslers Auftritt war recht eigentlich das Zusammentreffen von drei kleineren. Im Zentrum Riessler selbst mit Bassisten und Schlagzeuger (Manuel Orza und Robby Armeen); links davon ein Bläsersextett der Hochschule für Musik und Theater München; rechts der Drehorgel-Virtuose Pierre Charial. Letzteres wirft automatisch die Frage auf: Drehorgel und Jazz? Wie soll das gehen? Werden Lochstreifen improvisierend gelöchert? Nein, die Drehorgel spielt, was man ihr vorgibt. Und vorgegeben ist ihr, was eine über Minuten gehende Soloeinlage anging, eine präzise staunenswerte, rhythmisch-harmonische Arbeit. Was soll daran auch Staunen machen. Den größten Teil unserer Zeit hören wir Musik, die ebenso reproduziert aus dem Radio kommt, auf Schelllackplatten, CDs und sonstigen Tonträgern längst festgehaltenes reproduziert. Daran ist man eigentlich gewöhnt. Aber in der Live-Situation ruft es Verwunderung hervor. Doch die Maschine bewährt sich. Riesslers „Big Circle“ stellt …

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Jazzfest 2013 gestartet – Christian Scott und Joachim Kühn on Stage: Stretch as jazz can

Es gibt offizielle und heimliche Schwerpunkte bei umfangreichen Veranstaltungen wie es das JazzFest in Berlin eine ist. Offiziell geht es um einen „Afrika-Akzent“, inoffiziell um Umarmungen. Das Eröffnungskonzert brachte zwei Formationen nacheinander auf die Bühen: Der Trompeter Christian Scott mit seiner Band und „Gnawa Jazz Voodoo – Joachim Kühn Africa Connection feat. Pharoah Sanders“. Wer umarmt hier wen, wie betont werden die Akzente? Unterschiedliche Antworten: Der Abend war musikalisch durchwachsen und erzeugte ebenso Langeweile wie Verdichtung. Erste Eindrücke und Bilder vom JazzFest 2013. Stretch Music (Christian Scott) Die Gruppe um Christian Scott (tp) mit Braxton Crook (sax), Matthew Stevens (git), Lawrence Fields (p), Kris Funn (b) und Cory Fonville (dm) wird hoch gehandelt. Die teilweise sehr jungen Musiker zu einer musikalischen Familie zusammen gefunden, einer Familie, die einen Kopf hat, Christian Scott und einen Körper, die Band. Darin gelingt es scheinbar mühelos, das Vokabular des Jazz in viele Richtung zu erweitern und sich einzuverleiben. Vom minimalistischen Pattern bis zum Song, von der Einzel- bis zur Gruppenimprovisation. Dabei Stielelemente parallel laufen und sich trotzdem kreuzen zu lassen, bringt eine Multidimensionalität hervor, die musikalisch funktioniert. Das alles …

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Aus den Gletschermassen des Jazz herausgebrochen – Das BuJazzO feierte 25jähriges Bestehen mit Konzert in Berlin

Das Orchester ist zwar erst 25 Jahre alt, aber seine Mitglieder sind nicht älter als 24. Es handelt sich um die wahrscheinlich besten jungen Jazz-Musiker Deutschlands, die seit Jahren durch diese BigBand hindurchgeschleust worden sind. Das stellten sie auch in der aktuellen Besetzung klar. Sie spreitzten dabei das Repertoire von Kompositionen ebenfalls junger Musiker wie Monika Roscher oder Johannes Lauer über Arrangements von Standards bis zur den Gesang von Kurt Elling begleitenden Formationen. Unter der Leitung von Niels Klein und Jiggs Whigham setzen sie fort was unter Peter Herbolzheimer begann. Als Projekt unter der Trägerschaft des Deutschen Musikrats begann man 1988 mit dem wohl besten Jazzpädagogen, Peter Herbolzheimer, unter anderem mit Till Brönner an der Trompete. Heute sind die Früchte der Musik vollreif. Es handele sich, so ein Gast des Jubiläumskonzerts, um das „vielleicht beste BuJazzO aller Zeiten“. Das BuJazzO ist nämlich nicht nur ein Resultat, eine Summe aktueller musikalischer Spielfreude sondern wirkt offensichtlich auch zurück in die Motivation junger Jazzmusiker überhaupt. Es hat das Niveau durch seine stetige künstlerische Leistung insgesamt gehoben. Das tut es nicht allein, sondern im Zusammenspiel mit der gesamten Jazzförderung, …

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