Nach Rio für Aerobic-Album: Curt Cress in Regensburg

„Handmade“, handgemacht, wird heute als zweifelhaftes und zudem unscharfes Qualitätsmerkmal in der Popmusik benutzt, um Musik zu beschreiben, bei der auf Elektronik und Computer verzichtet wird. Abgesehen davon, dass der Verzicht auch auf Unkenntnis oder Abwehr gegenüber neuen Entwicklungen beruhen kann, erfolgt auch die Erzeugung elektronischer Tonspuren und Klänge selten ohne Hände. Curt Cress hat sich in seiner langen internationalen Karriere als Schlagzeuger nie gegen digitale Neuerungen abgeschottet. Auf Einladung des Regensburger Drummers Gerwin Eisenhauer (Trio ELF) und des Jazzclub war er zum Drumtalk nach Regensburg in den Leeren Beutel gekommen.

Man kennt sich aus Passport-Zeiten: Bassist Wolfgang Schmid ist für tieftönende Fundament der Erzählungen von Curt Cress zuständig.. Foto: Michael Scheiner
Man kennt sich aus Passport-Zeiten: Bassist Wolfgang Schmid ist fürs tieftönende Fundament der Erzählungen von Curt Cress zuständig. Foto: Michael Scheiner

Bereits in den 1980er Jahren, erzählt er, habe er sich ein elektronisches Drumkit angeschafft – und es teuer vermietet. Warum er zu einem der bestbezahlten Schlagzeuger der Jazzszene wurde, hängt sicher auch mit diesem ausgeprägten Sinn für Neuerungen und seiner Klugheit in geschäftlichen Dingen zusammen. Den eigentlichen Ausschlag allerdings hat etwas anderes gegeben. Seine musikalische Leidenschaft und die „Energie, die ich für jede Art Musik im Studio und auf der Bühne reinstecke“, hat ihm heute den Ruf einer Schlagzeuglegende eingebracht. Deshalb ist er jahrzehntelang nahezu weltweit von Künstlern und Produzenten für Aufnahmen gebucht worden.

Berichte aus Jahrzehnten im Business

Davon und wie es dazu gekommen ist, dass er für Stars wie Ike und Tina Turner, die Rockröhre Gianna Nannini, Falco, Rick Springfield und Freddie Mercury die Stöcke geschwungen hat, bot der Münchner launige Einblicke. Zusammen mit seinem Freund, dem Drum-Tuner Werner Fromm (Drummer der Frankfurt City Bluesband), beschrieb er seinen Einstieg und die Zeit bei Klaus Doldingers Passport, zeigte Videos und spielte Ausschnitte von Songs, an deren Aufnahme er beteiligt war. Einige Male setzte er sich auch ans rundum mikrofonierte Drumkit und spielte mit dem Münchner Bassisten Wolfgang Schmid (Kick, Paradox) live würzig funkige Improvisationen. Kennengelernt haben sich die beiden bei Doldingers Passport, als Schmid den jungen Cress dem Bandboss als Ersatz für Udo Lindenberg ans Herz legte.

Seine Geschichten mit großen und kleinen Stars waren begleitet von Anekdoten von durchgearbeiteten Nächten, verpatzten Einsätzen und Drogenparties, aus denen er sich selbst allerdings raushielt. Cress erzählte von Aufnahmen für Udo Lindenberg und Udo Jürgens, mit Uwe Ochsenknecht und Peter Schilling, für die Scorpions und Nena. Vor der Schauspielerin Katja Riemann „ziehe ich den Hut“, meinte er anerkennend und erzählte, wie er sie für den Film „Bandits“ coachte, in dem sie Schlagzeug in einer Frauenband spielt.

Von Queen bis Aerobic?

E-Bassist Wolfgang Schmid. Foto: Michael Scheiner

Besonders schräg eine Story von der langen Zusammenarbeit mit dem erst im Januar verstorbenen Produzenten Frank Farian, zu dessen bekanntesten Projekten Boney M. und Milli Vanilli zählen. Nach einem dringlichen Anruf flog Cress nach einem Weihnachtsfest mit der Familie direkt nach Rio de Janeiro. Dort hing er tagelang am Strand, an Hotelbars und in Discos herum, bis endlich eine Aufnahme zustande kam. Wegen schlechter Tonqualität musste diese später in Frankfurt wiederholt werden – und stellte sich als Soundtrack für ein Aerobic-Album von Sydne Rome heraus.

Abgefahrene Plots

Auch von einer Passport-Aufnahme im Studio des Stommelner Produzenten Dieter Dierks lieferte er einen abgefahrenen Plot. Dierks war mit dem Klang des Schlagzeugs extrem unzufrieden und mauerte es in der Nacht mit Ziegelsteinen ein. Anschließend musste die Mauer wieder abgerissen werden, um das Drumset frei zu kriegen. Cress vermied es, auf unerfreuliche Begegnungen mit schnöseligen Stars einzugehen. Seinen peinlichsten Moment dagegen, als er in Japan bei einem Auftritt mit einem Star und großem Orchester acht Takte zu früh einsetzte, sparte er nicht aus. An die „hundert entsetzten Blicke“, die auf ihn gerichtet waren, konnte er sich offenbar plastisch gut erinnern.

Emotionale Erinnerungen

Eine besondere Beziehung hatte er offenbar zum Komponisten und Leadsänger der britischen Band Queen, Freddie Mercury. „Von ihm konnte man jeden Ton, wie er ihn gesungen hat“, meinte er beinahe ehrfürchtig bewundernd, „direkt in die Welt hinaus schicken“. Cress spielte auf seinem ersten Soloalbum „Mr. Bad Guy“ Schlagzeug, das Mercury während seiner Zeit in München in den legendären Musicland Studios aufnahm.

Als er darüber zu erzählen beginnt, bricht Cress die Stimme. Erst nach einigen Minuten, die sein Stichwortgeber Fromm mit weiteren Anekdoten überbrückte, konnte der, auch mit 71 Jahren noch schlanke und dynamisch wirkende Drummer, den Faden wieder aufnehmen. Im Keller des Arabella-Hochhauses, wo sich das Musicland Studio befand, ließ der Produzent Cress für einen Song im ewig langen Flur vor den Studios trommeln, um den unglaublichen Nachhall mit einzufangen. Als die Polizei wegen Ruhestörung anrückte, wurde Cress, der mit dem Drumkit auf einer fahrbaren Bühne saß, schnell wieder ins Studio reingezogen.

„Handmade“ heißt übrigens das erste Album von Klaus Doldingers Passport mit Cress am Schlagzeug. Das kann man auch heute noch mit großem Genuss anhören. Von jeder der mehr als 12.000 Aufnahmen, auf denen der selbstbewusste Musiker mit künstlerischer Fantasie und „allen meinen Sinnen“ mitwirkte, lässt sich das sicher nicht sagen.

Text und Fotos: Michael Scheiner

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