Mit Liebe bei der Sache – das Südtirol Jazzfestival Alto Adige

Von Stefan Pieper. Auch die zweite Hälfte des Südtirol Jazzfestival Alto Adige bot eine breite Vielschichtigkeit und immer wieder hochmotivierte, betont „authentisch“ agierende Bands, die mit ihrem versunken lauschenden Publikum in anregender Atmosphäre zu einem Ganzen verschmolzen. Lohn für das ganze Engagement der zahllosen Bands und Musiker und ebenso des Festivalteams: Schon am vorletzten Abend war klar, dass diese Ausgabe einen Publikumsrekord verzeichnen würde.

Im satten Grün der Weinberge

Mitten in der Bozener City unweit des Hauptbahnhofes startet eine Seilbahn hinauf nach „Oberbozen“, das eigentlich nur eine Ansammlung kleinerer Dörfer, zahlreicher Gastro- und Hotelbetriebe aber auch vieler verstreuter Siedlungen ist. Die Seilbahn wird von zahlreichen Bewohnerinnen und -bewohnern als Pendel-Verkehrsmittel zur großen Stadt genutzt. Und so transportiert sie auch das Publikum beim Südtirol Jazzfestival Alto Adige zu einer Neben-Location des Festivals. Aus milchigen Wolkenschleiern erhebt sich das mächtige Schlern-Massiv, während die Weinberge in sattes Grün getaucht sind.

Die Luft riecht immer noch etwas nach der Regenfront, die jetzt aber endlich vorüber ist. Das ist die Stunde des Shuteen Erdenebaatar Quartetts. Hinter diesem exotischen Namen verbirgt sich eine extrem ausgeschlafene Combo aus München, begründet von der gleichnamigen, hochtalentierten mongolischen Pianistin. Fantasievoll und lyrisch gesättigt und hellwach für das Temperament des anderen lebt das musikalische Vokabular in den mal virtuosen, dann wieder baladesk-besinnlichen Nummern. Brechend voll wurde es am Pool im Park des Hotel Laurin, als der feingliedrige Klavierjazz des polnischen Joanna Duda Trios viel mehr als stylische Hintergrundbeschallung, dafür eine Menge kühner Abenteuerlust bietet.

Punk-Rock-Wurzeln

Lyrisch, empfindsam und assoziativ ging es im ebenso lauschigen Park des Mondschein-Hotels beim Auftritt der britisch-zentrierten Band „Let Spin“ zur Sache. Ruth Gollers erdig-präsentes E-Bass-Spiel hat seine Wurzeln im Punkrock- hier erwies sich dies als wunderbar anschlussfähig an die lyrischen Klangsphären vor allem des Gitarristen Moss Freed, um in dieser warmen Vorabendstimmung die Seele zu streicheln.

Rauschmittel für die Nacht

Als wildgewordene Tiere der Nacht gebärdeten sich die Musiker des österreichischen Trios „Edi Nulz“. Voller Humor und einer Dramaturgie wie aus rasch geschnittenen Comicsstrips oder Gangsterfilmen und getragen von rotzigem Post Punk ließen es die drei spätnachts krachen. Der Trend geht überhaupt stark in rockige Richtungen. Aber eben so, dass auch improvisatorische Faszination ungebremst aufleuchten darf. So etwas ist Sache der deutschen Band „Bobby Rausch“. Statt krachiger Gitarren zeigen hier eine elektronisch aufgemotzte Bassklarinette und ein Baritonsaxofon, wo der Hammer hängt. Und ohne den groovend aufspielenden Drummer Nico Stallmann war hier alles nichts. Genau solche Rauschmittel braucht es, um die Nacht in der mediterran kultivierten Südtiroler Provinzhauptstadt zu feiern.

Das Südtirol Alto Adige Jazz Festival macht nicht nur neue Bands und Talente entdeckbar, es weitet auch den Horizont für Reisende, in dem der Blick auf viele erstaunliche Locations und auch Bauwerke gerichtet wird. Wem ist nicht schon beim Befahren der Brennerautobahn diese monströse Befestigungsanlage aufgefallen, deren Name „Franzensfeste“ geografisch als Tor zu Südtirol gut bekannt ist?

Jazz at Fortress

Unter dem Motto „Jazz at Fortress“ wurde dies nun in seiner ganzen Dimension erfahrbar und damit auch aus jeder musealen Erstarrung herausgeholt, weil kreative, versierte Musiker die gigantische Befestigungsanlage zum Klingen und damit zum Leben brachten. Dan Kinzelmann (sax), Glauco Benedetti (tuba) und Filippo Vignato (Trombone) pumpten ihre Schallwellen, Tonfolgen und Improvisationen durch die dunklen Kasematten. Getoppt wurde das ganze noch durch einen überragenden Freiluft-Auftritt des Sextetts Ghost Horse mit seinen charismatischen, wie auch hoch differenzierten Jazzrock-Mixturen.

Ein Festival der Aufbrüche

Und ja: Bei der ausgiebigen, musikalische „angeführten“ Begehung und schließlich noch bei einem heftig lauten Open-Air-Konzert macht die Fantasie dauernd Luftsprünge: Was könnte man in dieser verzweigten, heute von ganz viel friedlichem Grün überwuchertem Burg alles in kultureller Hinsicht verwirklichen? Das Südtirol Jazzfestival Alto Adige hat hier – wieder einmal! – einen Anfang gemacht.

In programmatisch-musikalischer Hinsicht gab es solche Anfänge und Neuentdeckungen zuhauf. Eine ganz besondere war am vorletzten Festivalabend zu erleben: Die in Guatemala geborene und heute in Mexiko lebenden Sängerin und Cellistin Mabe Fratti hatte zuvor schon ein fragiles Solorecital im Garten eines Berghotels hoch oben über Bozen geliefert. Jetzt versetzte sie auf der großen Bühne ihr Publikum in eine andere Welt. Sie singt ihre Songs und spielt auf dem Cello, dass alles in jedem Moment emotional ans Eingemachte geht. Mit einer fabelhaften Band, die auch auf jeder großen Rockmusik-Bühne für ganz neue Farben sorgen würde.

Open-Air in der Altstadt

Seit drei Jahren hat eine Open-Air-Bühne mitten in der Bozener Altstadt dem Festival eine neue Zentriertheit gegeben, was naturgemäß der Anziehungskraft in der Stadtgesellschaft gut tut. Noch nicht spruchreif, aber leider denkbar ist, dass diese Freiluftbühne im Kapuzinerpark im nächsten Jahr schon wieder Geschichte sein könnte, weil möglicherweise ein städtisches Bebauungsprojekt dazwischenfunken könnte. Wohlgemerkt „könnte“. Hoffnungsvoll stimmt die große Motiviertheit und Kreativität des neuen Leitungsteams. Max von Preetz, Roberto Tubaro und Stefan Festini Cucco werden bestimmt weiterhin gute Lösungen finden, um die Einzigartigkeit dieses Festivals in die Zukunft zu tragen.

Text und Fotos: Stefan Pieper

www.suedtiroljazzfestival.com/

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