Jazz unscharf. Foto: Hufner

Regelmäßige Erneuerung des Jazz durch seine Kritik

Das Thema ist nicht neu. Nach Abfassung des letzten Blog-Textes fiel mir ein anderer von Wolfram Knauer aus dem Regal, den er in dem aufschlussreichen Band 13 der „Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung“ mit dem Titel „Jazz Debates / Jazzdebatten“ veröffentlicht hatte: „‚Jazz‘ or not ‚Jazz‘ – From Word to Non-Word and Back (S. 175). Er nahm darin genau auf die Texte Bezug, die auch hier auftauchen. Darin erwähnt er die Problematik, dass einige „Jazz“ als Terminus des mehr oder minder manifesten Rassismus ablehnen, andere den Begriff als zu weit oder drittens als „stilistisch einschränkend“ wahrnehmen würden.

Vierte Dimension

Es fehlt vielleicht noch eine vierte Dimension, die der geschichtlichen Manifestation durch den Gebrauch selbst – wenn man so will den historischen Gebrauch vor allem in den 50er und 60er Jahren als akustische Tapete der Werbung (siehe die entsprechenden Werbe-Filme) oder als Aneignung der musikindustriellen Verwertung im Unterhaltungsfernsehen – zu denken ist dabei an Kulenkampffs EWG („Einer wird gewinnen“) oder Edgar-Wallace-Filme (die Liste ließe sich beliebig fortsetzen) und führt von hier wie selbstverständlich zum tatort-Vorspann von Klaus Doldinger, der sich freilich schon weit aus dem engeren Jazz-Duktus entfernt hat. Gewiss haben sich die Dinge verzweigt, der dieser Jazz wanderte mit seinen Studiomusikern zum Schlager weiter ödete sich langsam ein.

Musikbeispiel: „Einer wird gewinnen“

Eine Anekdote

Einmal in meiner Studienzeit in den 80er Jahren in der Gießener Stadthalle ein Konzert mit Enrico Costa, der goldenen Stimme aus der Wetterau erlebt, es gab gleich beliebig viele Pressekarten, bei dem zu allem Ungemach auch noch der Strom für Ton und Licht ausfiel. Enrico konnte auch ohne Mikrofon den Raum anfüllen. Aber interessanter war die Band im Hintergrund, die ihn begleitet hat. Es war im November 1986 das Orchester Horst Manderbach. Dieses spielt spontan ein paar Jazzstücke im Dixiestil, um die unverstärkte Zeit zu überbrücken. Es gab und gibt ja eben diese Profimusiker mit Jazzprofil, die das spontan aus dem Hut zaubern konnten.

Diese Anekdote führt zu einer weiteren, die Thomas Krüger in seiner Laudatio auf Angelika Niescier anlässlich der Verleihung des Albert-Mangelsdorff anführte und Jazzpolizei, Schlager und Mangelsdorff selbst zu tun hat. Vielleicht komme ich im nächsten Beitrag darauf zu sprechen.

Kurzum: Jazz war sozusagen immer präsent, er war nur unter der Oberfläche verschwunden. Die Unterhaltungsindustrie hat ihn nur bis zum Ersticken umarmt und damit die musikalische Welt der damaligen Elterngeneration mitbestimmt und das förderte das Aufbegehren vieler Jugendlicher dagegen.

Wenn man sich dann heute so ansieht, wie das Publikum im Konzertsaal und im Internet aussieht, dass sich für Jazz interessiert, dann ist es wieder diese Generation der über 50-jährigen, die es konsumiert. Warum das Publikum außerdem noch deutlich männlich ist, wäre eine andere Frage, die wahrscheinlich an anderer Stelle längst beantwortet worden ist.

Jazz wird damit, meine These, zu einem historisch-sozialen Gummiband, das sich durch Abstoßung regelmäßig erneuert. Der Kampf um den Begriff deutet es einfach nur immer wieder an. In Martin Kunzlers Jazzlexikon [2002] wird Ornette Coleman zitiert, der gesagt haben soll: „Diese Begriffe gab es, bevor ich auf der Welt war, und ich kann sie nicht abschaffen. Ich kann nicht meine ganze Zeit damit verbringen, dies verändern zu wollen.“ [Ein Wort mit dunkler Herkunft. DB Sonderband: Jazz-Lexikon, S. 9 (vgl. JL Bd. 1, S. 7)]

Das wiederum, letzte These, könnte bedeuten, dass eben alle vier Dimensionen zusammen, mögen sie sich auch ausschließen, das Begriffsfeld des Jazz ausmachen – also aggressiv sich neutralisieren. Eine schwache und simple These gewiss.

PS – Fake Music?

Noch eine Sache und Frage. In Martin Kunzlers Jazzlexikon wird erwähnt: „Auch ‚Jas‘, ‚Jass‘ oder ‚Rass‘ geschrieben, wurde der Begriff – wahrscheinlich von Weißen – irgendwann zwischen der Wende zum 20. Jahrhundert und 1915 auf eine neu entstandene Musik angewendet, die ihren Siegeszug zunächst unter Bezeichnungen wie ‚Fake Music‘, ‚Stomp‘, ‚Circus Music‘, ‚Brass Band Music‘ und vor allem unter dem Sammelbegriff ‚Ragtime‘ angetreten hatte.“ [Ein Wort mit dunkler Herkunft. DB Sonderband: Jazz-Lexikon, S. 7 (vgl. JL Bd. 1, S. 6)]

Gibt es eigentlich irgendwo Belege für diese „Fake Music“-Verwendung?

Der tägliche
JazzZeitung.de-Newsletter!

Tragen Sie sich ein, um täglich per Mail über Neuigkeiten von JazzZeitung.de informiert zu sein.

DSGVO-Abfrage *

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.