Kenny Wheeler. Foto: German Jazz Trophy

Zum Tod von Kenny Wheeler

Der kanadisch-britische Trompeter Kenny Wheeler (* 14. Januar 1930 in Toronto, Ontario; † 18. September 2014 London) galt nicht nur als Trompetenvirtuose mit unverkennbar eigenem, ätherischen Ton, sondern als einer der produktivsten Komponisten des Jazz: Gegen 200 Stücke hat er geschrieben, die auf gut 30 Alben veröffentlich wurden, die meisten bei dem deutschen Label ECM Records in München. Kenny Wheeler war schon seit längerer Zeit krank und bettlägerig. Musikerkollegen hatten mit Benefizkonzerten Geld gesammelt, um die Krankheitskosten tragen zu helfen. Nun ist er 84-jährig in London gestorben. Lesen Sie Ausschnitte aus der Laudatio für Wheeler, die Jazzzeitungsredakteur Andreas Kolb im Jahr 2005 in Stuttgart anlässlich der Überreichung der „German Jazz Trophy – a life for jazz“ an den Trompeter hielt.

Die Trompete zeichnet sich durch eine seltsame Ambivalenz aus. Als dem repräsentativen Instrument des Hofes hatte sie von jeher eine Sonderstellung. Als Lehrlinge für die damals angesehenste und nur in höfischen Diensten stehende Zunft der Trompeter und Pauker wurden ausschließlich ehrbare und unbescholtene junge Männer aufgenommen, die nach einer strengen Lehrzeit von sechs Jahren (bis zur Künstlerreife braucht man heute auch so etwa 12 Semester) strenge Prüfungen ablegen mussten. Den ausgewählten Lehrlingen hatte man eingeschärft, nur ja nicht mit „Kunstpfeiffern und Waldhornisten umzugehen; auch nicht auf der Bierbank oder andern Bauerngelagen seine Trompete zu brauchen; sondern vor Kaysern, Königen, Fürsten, Grafen und Herren, wie auch allen vornehmen Militärbedienten“. Erhielt der Absolvent eine Anstellung bei Hofe, so durfte er sich Hoftrompeter nennen, erst nach sieben Jahren Berufsausübung war es einem höfischen Trompeter, der nach bestandener Prüfung dem Offiziersstand angehörte, erlaubt, die löbliche und rittermäßige Kunst des Blasens zu lehren und weiterzugeben. Ein tadelloses Image, wie es scheint.

Im klassischen Orchester sieht das anders aus. Hier kämpft die relativ kleine Mannschaft der Blechbläser (6 Waldhörner, 4 Posaunen, 4 Trompeten) bei ihren Kollegen oft mit einem Imageproblem: Sie gelten als Lärm-Brüder. Speziell bei den tosenden Tutti-Stellen klassischer Sinfonien lösen sie bei ihren Kollegen vor ihnen „temporäre Vertäubungen“ aus.

 Auch wenn sie nicht länger vor Kaisern und Königen spielen, und auch wenn sie im Orchester nicht immer geliebt werden, sind auch heute Trompeter hoch angesehene Leute. Das hat viele Gründe: einer davon ist der Jazz. Jazzmusik braucht den virtuosen Solisten, seine Hörer verehren ihn. Unter diesen Solisten gab und gibt es phänomenale Hochtonspieler, virtuose Geschwindigkeitsasse, Big Band-Spezialisten, Sänger und Entertainer, Bandleader. Und es gibt die Poeten dieses Instruments. Die Nachdenklichen sozusagen. Dazu zähle ich Kenny Wheeler, den wir heute mit der German Jazz Trophy auszeichnen. Kenny Wheeler ist ein Trompeter, der keine technischen Schwierigkeiten scheut. Aber Technik bleibt für ihn immer nur Mittel zum Zweck: nämlich dem Kreieren und Erfinden von großartiger Musik. Wheeler gehört zu den Musikern, die sich konsequent um die Fortentwicklung der eigenen Klangsprache kümmern und auf diese Weise die Szene ausdauernd prägen. Sein Stil und vor allem sein Sound haben die Vorstellung von modernem und zugleich ästhetischem Trompetenspiel nachhaltig beeinflusst (und deshalb hat sich die Jury der German Jazz Trophy entschieden, Kenny Wheeler ihren diesjährigen Jahrespreis zukommen zu lassen).

Kenny Wheeler wurde am 14. Januar 1939 im kanadischen Toronto geboren. Sein Vater war Amateurposaunist und drückte dem Jungen eines Tages ein Kornett in die Hand. Es war die Zeit der Armstrongs und Gillespies, eine aufregende Ära des musikalischen Wechsels, dessen Ausläufer via Radio auch Kanada erreichten. Wheeler liebte den Jazz schon als sehr junger Mensch, ließ sich begeistern und studierte später in seiner Heimatstadt Trompete und Komposition, bis er der Meinung war, er brauche einen Tapetenwechsel, um wirklich voran zu kommen. Mitte der Fünfziger reiste er nach England, fühlte sich dort wohl und beschloss zu bleiben. Wheeler kam in Kontakt mit der lebhaften Londoner Experimentalszene, spielte zunächst mit John Stevens Spontaneous Music Ensemble, bald auch mit Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra und dem Kreis um den Schlagzeuger Tony Oxley.

Avantgardistischer Sound war angesagt, zumindest bei intellektuellen Hörerschichten und den Musikern selbst, und so konnte Wheeler sich konsequent in die erste Liga der Modernisten empor spielen. Dabei halfen ihm sein ausgeprägtes Soundbewusstsein, sein klar identifizierbarer Ton mit ausgewogener Balance zwischen strahlender Solistik und lyrisch samtener Intonation. Wheeler wurde zu einem beliebten Partner im kammerjazzig experimentellen Klangumfeld, sein Album „Gnu High“ (1975) an der Seite von Keith Jarrett gehört zu den Klassikern der Siebziger Jahre. Projekte unter eigenem Namen wechselten mit Combos wie etwa Dave Taylors Trio Azimuth, gemeinsam mit Norma Winstone, das aus heutiger Sicht zu den wichtigen Statements des sich emanzipierenden britisch-europäischen Jazz gehört. Wenn Sie nachher Dave Taylor und Kenny Wheeler im Duospiel hören werden, werden Sie irgendwie auch den Sound von Azimuth erleben, wenn auch ohne die Stimme von Norma Winstone.

Neben der Arbeit in und mit unzähligen kleinen Besetzungen fand man Wheeler auch in zahlreichen Großformationen wieder. Er gehörte von 1979 an zum Team des United Jazz & Rock Ensemble, Ian Carr hatte ihn vorgeschlagen, als man Anfang der 80er einen dritten Trompeter suchte. Wheeler spielte fünf Jahre im Dave Holland Quintett und wurde regelmäßig vom European Jazz Ensemble verpflichtet. Ralf Dombrowski, Jazzzeitungsredakteur und Rezensent der Süddeutschen Zeitung bezeichnet unseren Preisträger als „einen der Väter der jazzenden Gegenwartskunst, der unbeeindruckt von den Moden des Zeitgeistes und den Normen der Tradition seinen Weg gegangen ist“. Dieser Weg wäre unvorstellbar ohne den Komponisten Wheeler und sein Werk, das im Wesentlichen bei dem Label ECM und seit einigen Jahren bei Camjazz Records dokumentiert ist. Exemplarisch sei hier sein zentrales Werk für eine größere Besetzung genannt, das ganz schlicht „Music For Large & Small Ensemble“ heißt. In diesem Stück stellt er auch seine Fähigkeiten als Orchestrator unter Beweis.

Kenny Wheeler ist auch im Alter rastlos und produktiv. Eines seiner bevorzugten Studios ist gar nicht weit von hier: das legendäre Tonstudio Bauer in Ludwigsburg. Hier fand erst Anfang November eine ganz besondere Produktion des italienischen Labels Camjazz statt: erstmals nahm Wheeler eigene Stücke zusammen mit Dave Taylor und einem Streichquartett auf. Eine weitere Aufnahme in der Besetzung Trompete, zwei Gitarren und Bass liegt schon bereit zur Veröffentlichung.

Nach weiteren Plänen gefragt, sagte mir Kenny Wheeler lapidar: „Ich habe zwar einen Namen im Jazz. Aber der ist nicht groß genug, dass ich entscheide, was kommt. I go where the wind blows me“.

 

Aktuelles Postscriptum: Für Anfang 2015 hat ECM eine Aufnahme Wheelers angekündigt, die er Weihnachten 2013 in den Abbey Road Studios zusammen mit Stan Sulzmann (Tenorsaxophon), John Parricelli (Gitarre), Chris Laurence (Bass) und Martin France (Drums) machte.

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