Rückblick auf das 34. JIM-Jazzfest in München

Rückkehr in die alte Heimat und Eintritt in eine hoffentlich jüngere Zukunft: Das 34. Jazzfest München der Jazzmusiker-Initiative JIM fand 2023 an vier Abenden abwechselnd auf zwei ganz unterschiedlichen Bühnen statt – in der Black Box des Fat Cat, ehemals Gasteig, und im Blitz-Club im Deutschen Museum. Beide boten mit ihren intimen räumlichen und sehr guten akustischen Gegebenheiten beste Bedingungen einerseits für vorwiegend akustischen Jazz, andererseits für elektronisch verstärkte Musik auch über die Genregrenzen hinaus.

Aktuell und museal

Im Blitz entfernte sich der Jazzmusiker und Synthesizer-Spezialist Mario Schönhofer am weitesten vom Ausgangspunkt. Auf musealen Doepfer-Analog-Synthesizern aus den Beständen des Deutschen Museums improvisierte er gleich an zwei Abenden künstliche Klänge über stampfendem Techno-Beat. Die Unzahl von Knöpfen, Tasten, Drehreglern und Kabelverbindungen bediente er dabei verblüffend souverän, in tänzelnden Moves. Bei „Stromschlag“ sorgten Keyboarder Michael Hornek und Schlagzeuger Gerwin Eisenhauer für klangliche und rhythmische Abwechslung und verstärkten die Sogwirkung der elektronischen Musik. Bei „Analogstrom“ kam da Partner Andreas Rieke alias AND.Ypsilon von den „Fantastischen Vier“ nur bedingt mit und schien oft im doppelten Sinn daneben zu stehen. Für einige Zuhörer endete die Faszination dieser handgemachten elektronischen Musik ob ihrer Einförmigkeit schon nach zwanzig Minuten, andere, vor allem junge, hatten auch nach mehr als einer Stunde noch nicht genug von den hypnotisierenden Beats.

Begonnen hatte das Festival jazzig und bluesig mit deutschen Volksliedern und volksliedhaften Eigenkompositionen der Gitarristin Barbara Jungfer mit Karoline Höfler am Kontrabass und Fernc Mehl am Schlagzeug, eingängigen Melodien die man sehr lange nicht mehr und so noch nie gehört hatte. Schön.  Liedhaft ging es weiter mit dem leisen Duo der Pianistin Masako Otha und des Trompeters Matthias Lindermayr, träumerisch und subtil. „Mmmmh“, wie der Titel ihrer gerade erschienenen CD. Lebendigen Rockjazz der alten Schule spielten Groove Galaxy. Die Begeisterung, mit der Gitarrist Michael Vochezer, Keyboarder Oliver Hahn, Bassist Igor Kljujic und Schlagzeuger Arno Haselsteiner dabei zur Sache gingen, nahm auch das Publikum mit.

Mehr Grooves, mehr Rhythmen

Das Quintett „Full Bloom“ lieferte dazu am nächsten Tag die moderne Fortsetzung, mit mehr Rhythmen, mehr Grooves und mehr elektronischen Klängen. Schlagzeuger Miko Watanabe, Keyborder Alexis Boettcher, Trompeter und Bassist Sascha Lüer, Bassist und Trommler Robin Jermer und Gitarrist Tilman Brandl schwelgten im komplexen Gruppensound, hinter dem die Soli zurücktraten. Spielfreude stand für diesen vielversprechenden Nachwuchs ganz oben. Aus Tschechien kam das Ochepovsky Project des Komponisten und Gitarristen Igor O. mit einer groovenden Mischung aus Jazz und Soul-Pop in Sextett-Besetzung plus Sängerin ILÆY. Zumindest bei den beiden Blitz-Konzerten konnte man die seltene und erfreuliche Beobachtung machen, dass das Durchschnittsalter im Publikum teilweise deutlich niedriger war als das der Musiker.

Musik, Texte und tiefere Bedeutung

„Mostly Monk and a bunch of other stuff“ brachten in der Black Box Geoff Goodman, Matthieu Bordenave und Rudi Mahall zu Gehör. Und trotz des hohen Anspruchs, den die ungewöhnliche Besetzung mit Gitarre, Tenorsaxophon und Bassklarinette mit sich brachte, sorgte das neu formierte Trio nach Mmmmh für einen zweiten Höhepunkt. Einen ebenso virtuosen wie vergnüglichen, wozu auch die Späßchen von Mahall beitrugen, der besonders gut aufgelegt war: „Das nächste Stück kennt ihr alle.“ – „Dann brauchen wir es ja nicht mehr zu spielen.“ – „Haben wir da was ausgemacht? Dann spiele ich es einfach runter. Obwohl das ganz schön schwer ist.“ Schwer hatte es auch das blonde Multitalent Wanja Belaga in seiner Moskauer Kindheit am Konservatorium unter lauter jüdischen Wunderkindern. Auch sonst las er, der jüdisch-russisch-ukrainische Emigrant hintergründig ironische Erinnerungen über die verlorene Heimat Russland. Dazwischen improvisierte er virtuos am Flügel. In seiner Kneipe „Prager Frühling“ gab er einst auch jungen Jazzern eine Bühne. Auch das Tim Collins Trio war neu zu entdecken, obwohl die Musiker aus anderen Bands und miteinander seit langem vertraut sind. Collins am Vibraphon, Matthias Bublath an der elektronischen Orgel und Christian Lettner am Schlagzeug lieferten entspannt, was man von ihnen erwarten konnten: lockeren, beschwingten und melodischen Jazz mit funkigen, bluesigen und afrocubanischen Elementen.

Renner sind der Hit

„Renner“, die andere Nachwuchsband des Festivals, heißt nach den Brüdern Moritz und Valentin Renner, Posaune und Schlagzeug, die sich mit dem preisgekrönten Shouting Star Nils Kugelmann am Kontrabass zu einer seltenen, wenn auch nicht vorbildlosen Besetzung zusammen getan haben. Der Auftritt des Trios mit oft getragenen Eigenkompositionen der Brüder war Teil ihrer Preisträgertournee als Gewinner des Kemptener Jazzpreises 2023 des Bayerischen Jazzverbandes. Anschließend bewies der seit langem in München lebende Márcio Tubino mit seinem ARTet mit dem brasilianischen E-Pianisten Ricardo Fiúza, Trompeter Julian Hesse, Bassist Peter Cudek und Schlagzeuger Chris Holzhauser, dass brasilianisches Jazzfeeling nicht zwingend in Sambas und Bossas mündet, wohl aber in lebendige rhythmisch-melodische Musik.

Text und Fotos: Godehard Lutz

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