Die Pianistin und Sängerin Johanna Borchert begeistert bei ihrem Auftritt im Regensburger Jazzclub

Existentielle Songs übers Leben 

Regensburg. „Die Erschaffung von neuem Leben“ ist das Thema, um welches sich die Musik von Johanna Borcherts aktuellem Album dreht. Bei ihrem ersten Auftritt in Regensburg beim Jazzclub im Leeren Beutel stellte sie daraus Songs vor, die sie mit unglaublich eindringlichen Improvisationen und Stücken auf dem präparierten Flügel zu einem Erlebnis von seltener emotionaler Tiefe und Güte verband.   

„Amniotic“, benannt nach dem Fruchtwasser bei einer Schwangerschaft, nennt die in Kopenhagen lebende Komponistin und Pianistin das Album mit Songs wie „Oh Boy“, „The Mirror“ und „Little Universe“. Aufgenommen hat sie es mit einem Quartett befreundeter Musiker. Wobei man sich nach diesem Solokonzert nur mit Flügel, Stimme und einigen überraschenden klanglichen Effekten kaum vorstellen kann, wie diese Musik nach besser oder intensiver klingen sollte.

Nach einem knappen Lächeln zum Publikum schuf Borchert aus wenigen pianissimo gehaltenen Tönen übergangslos ein Universum räumlicher Weite und Bestimmtheit. Nach und nach steigerte sie diese verhaltene und dennoch intime Atmosphäre in einem großen Spannungsbogen zu kraftvoller Dichte. Von europäischer Musikgeschichte ebenso geprägt, wie vom Jazz zog sie beim Tempo und Dynamik spürbar an, bevor sie wieder zu leisen Klängen zurückkehrte. Noch während ihres Spiels präparierte sie den Flügel mit Holzstäbchen, die sie uneinsehbar ins Instrument spießte, so dass sie wie kleine Fahnensteckerl aus dem Klavier ragten. Zog und rieb sie an den Steckerl, schwappten an- und abschwellende Töne wie bei einem jammernden Daxophon aus dem Kasten, was dem musikalischen Vortrag auch eine heitere Note abtrotzte.

Ihren ersten Song „Out of the Dark“ akzentuierte sie rhythmisch sehr prägnant, bevor sie mit ihrem Spiel in eine geisterhafte Stimmung hineinglitt. Mit erschreckend starken Bildern und poetischen Tiefenspalten fragt sie nach den Ursprüngen des Lebens: „Am I the mother of this secret? / Am I the father of this dream?“ (Bin ich die Mutter dieses Geheimnis? Bin ich der Vater dieses Traums?). Nach diesem Hineingleiten, das eher einem unwiderstehlichen Hineinziehen den den Borchert`sche Musikkosmos glich, wandte sich die Echo-Preisträgerin erstmals direkt an die längst angefixten Zuhörer und erzählte ein wenig von ihrem Album. Bei ihren Konzerten wisse sie „oft selbst vorher nicht so ganz genau“, was eigentlich passiere. Jetzt habe sie aber „so lange gespielt“, meinte sie lachend, „dass ich eine Redepause machen muss“.

Johanna Borchert singt. Foto: Michael Scheiner

Eigentlich habe sie sich vor ihrem Auftritt die Stadt anschauen wollen, erzählte Borchert seufzend. Dann aber habe ihr das Unternehmen (sie meinte die Bahn) einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Ich hätte schon um sieben Uhr, statt um halb neun losfahren müssen“, meinte sie mit hörbarem Bedauern und wendete sich wieder dem Instrument zu, das sie auf auf höchst vielfältige Weise zum Klingen bringt.

Die meisten Songs und instrumentalen Spontankompositionen der Musikerin schwingen in einer verhaltenen, manchmal fast melancholischen Stimmung. Dennoch verströmte ihr ungemein nuanciertes, feinfühliges Spiel dabei ein beruhigendes Gefühl von Großzügigkeit und substantieller Gelassenheit, in welches sich die Zuhörenden sicher aufgehoben fühlen konnten. Es war dieses Gefühl, welches dem Publikum bereits vor der Pause ungestümen Beifall entlockte. Den zweiten, insgesamt knackigeren Set beendete Borchert mit einem innigen, warmen Lied an ihr Kind. Eine vehement erklatschte Zugabe stellte sie zunächst in Frage. „Eigentlich will man nach diesem Stück nichts mehr spielen“, versuchte sie den Wunsch der überaus begeisterten Zuhörenden abzubiegen. Vergebens!

Fotos und Text: Michael Scheiner

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