Ein Flügel, viele Kameras und ein Programm voll musikalischer Empathie – Tim Allhoff gastierte im Stream des Jazzclubs Unterfahrt. 

„Ich habe gar nicht mehr gewusst, wie anstrengend das ist“, meinte Tim Allhoff nach dem Konzert. Natürlich sei man als Musiker die ganze Zeit am Spielen, aber eben daheim, in anderen Intervallen, mit schweifender Konzentration. Die Bühne ist ein anderes Kaliber und so wie dem in München lebenden Pianisten geht es inzwischen vielen Kolleg*nnen. Sie beginnen, Kulturtechniken zu verlernen, unfreiwillig, weil ihnen die meisten Möglichkeiten zur öffentlichen Präsentation ihrer Kunst verwehrt werden. Immerhin gibt es Surrogatprogramme wie die Stream-Konzerte des Jazzclubs Unterfahrt, die seit einen Jahr fast jeden Abend Bands die Möglichkeit geben, in digitaler Transformation bei ihrem Publikum präsent zu bleiben.

Da sitzt Tim Allhoff dann auf der Bühne, moderiert in den leeren Raum und widmet sich dem Steinway des Hauses, einerseits latent irritiert angesichts der Laborsituation, andererseits zutiefst beglückt, endlich einmal wieder in die Vollen gehen zu können. Es ist sein erstes Konzert seit einem halben Jahr und die lange Pause führt dazu, dass weit mehr neue Stücke als sonst im Programm landen, um ihre öffentliche Feuertaufe zu erhalten. Manche haben noch keinen Titel, sind erst vor einigen Tagen entstanden, andere existieren wie „Morla“ bereits seit einigen Wochen in Streaming-Varianten im Umfeld seiner Label-Arbeit. Mehrmals gönnt sich Allhoff auch Exkurse, beschleunigt und perforiert einen Beatles-Song, spielt abgelegenere Standards wie „In The Wee Small Hours“ oder „If I Should Loose You“ oder beschließt den Abend mit dem Satz einer Orgelsonate von Bach.

Die meisten Songs aber sind eigene Stücke, tendenziell im Balladenton und mit gestalterischen Eigenheiten, die er im Laufe der Jahre von Vorbildern wie Meister Mehldau übernommen und im Anschluss daran weiter entwickelt hat. Allhoff lässt die Stimmen kommunizieren, in fließenden linienbetonten Bewegungen, manchmal brandend, sich aufbäumend, zumeist aber in einem Wechselspiel melodisch fundierter Schwebungen. Man sei nackt, meint der hinterher, wenn man mit dem Solo-Klavier auf der Bühne antrete und habe wenig Chancen, seine Fehler zu verstecken. Von Unsicherheiten war auf der Bühne der Unterfahrt jedoch wenig zu spüren. Wenn überhaupt, dann nur der absurden Situation geschuldet, im leeren Club ein volles Haus zu imaginieren. Die paar Leute vom Technik-Team jedenfalls applaudierten, was die Hände hergaben. Und das Publikum im Stream schickte viele Herzen. (Mehr zum Stream-Programs auf der Website www.unterfahrt.de).   Ralf Dombrowski

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