Endlich aufwachen und wieder spielen: Das Fuchsthone-Orchestra ließ in Düsseldorf und Dinslaken die Corona-Zwangspause hinter sich

Es muss eine heftige Erfahrung für die Musikerinnen und Musiker gewesen sein: Eine Band reist zum ersehnten Auftritt an. Eine Band hat alles zum ersehnten Auftritt aufgebaut, dann heißt es wieder einpacken, weil die Veranstaltung in letzter Minute abgesagt wird. So geschehen im März dieses Jahres, an jenem Wochenende, als der große Corona-Lockdown verhängt wurde. Fuchsthone reloaded – also die nun endlich in Düsseldorf und Dinslaken nachgeholten Auftritte fühlten sich wie das Aufwachen aus einem bösen Traum an. Das befreite Spiel dieses Kollektivs aus Musikerinnen und Musikern unter der Doppel-Leitung von Caroline Thon und Christina Fuchs war wieder hör- und fühlbare Realität geworden. Kurz zuvor hatte es bereits in Düsseldorf eine Vor-Premerie gegeben, open air und bei widrigen Wetterverhältnissen. Band und Publikum störte dies aber kaum…

Vom Hinduismus und Messiaen inspirierte Klänge

„Es ist Zeit, nicht mehr zu träumen, sondern aufzuwachen“ – dieser Slogan von Greta Thunberg, hier von Filippa Gojo mit dem Megaphon zitiert, mündet zu Beginn in eine wuchernde Klangcollage, was Alarmstimmung aufkommen lässt in einem neuen Stück von Christina Fuchs.

Caroline Thon, die viel mit Meditation im Sinn hat, ließ sich vom hinduistischen Kreis des Lebens für eines ihrer Stücke inspirieren. Also geraten musikalische Ideen in Kreisläufe, die elementare Kräfte freisetzen – in diesem Fall findet der hinduistische Kreis des Lebens seine Entsprechung im Spiel einer Jazzband! Stärker als jeder gesellschaftliche Irrsinn ist die elementare Kraft der Natur. Auch für solche Ideen mobilisiert das Fuchsthone Orchestra geballte musikalische Bildkraft. Auf Olivier Messiaens Pfaden wandelt Christina Fuchs Stück „Syrinx“, wo zunächst sämtliche Blas-, Streich- Tasten- Schlag- und Zupfinstrumente und natürlich auch Filippa Gojos Stimmbänder zahllose Vogelstimmen imitieren. Aber wo Messiaen aus seinen akustischen Feldforschungen strenge formale Muster ableitete, da ist für das Fuchsthone Orchestra eine überbordende Kollektivimprovisation doch viel naheliegender. Denn sind nicht Vögel in der Natur die wahren Jazzer?

Noch viele weitere starke Bilder gehen aus den flexiblen Interaktionen dieses Großensembles hervor. Ein tanzwütiges, eigenwillig-polyphones Vokalstück aus Sardinien namens „Mamoiada“ nährt eine neue, archaisch-tänzerische, eigenwillig polyphonische Komposition. Ein Bravourpart kommt hier dem Bassisten Alex Morsey zu, der mit dem Bogen die Saiten harsch traktiert, was den in der sardischen Volksmusik häufig vorkommenden rauhen, abgrundtiefen Männerstimmen verblüffend nahe kommt.

Musiklaisches und Organisatorisches Teamwork

Sich mit so vielen Instrumenten und Klangfarben auf starke Ideen zu fokussieren und nie in Labyrinthe abzudriften, das ist das Kapital des Fuchsthone-Orchestras, welches eine Fusion darstellt. Caroline Thon hatte zuvor schon ihr Thoneline Orchestra groß heraus gebracht, Christina Fuchs hatte nicht minder einschlägige Erfahrungen mit dem United Woman`s Orchestra gemacht. Von einer Fusion können beide nur profitieren. Seitdem freuen sie sich über eine künstlerische und organisatorische Arbeitsteilung, deren Früchte auf der aktuellen Konzerttournee – trotz Corona Zwangspause mittendrin – nun geerntet werden können. Ob die Aufteilung einer solchen Führungsaufgabe nicht kompliziert ist, war eine naheliegende Frage: „Wir können uns gegenseitig stützen, uns Mut machen. Wenn die eine sagt, ich schmeiß jetzt das Handtuch, sagt die andere, ich mache mal weiter. Teamwork ist eine gute Sache und für uns gibt es eigentlich nur Pluspunkte.“ bekundet Christina Fuchs. Wichtig für eine gründliche und ehrliche Arbeit sei allerdings eine Klärung der Grundvoraussetzungen auf psychologischer Ebene“ wie Caroline Thon hinzufügt.

Individuelle Hochleistungen

Und ja, dieses Orchester mit seinen beiden idealistischen Bandleaderinnen ist ein Kosmos der Individuen: Saxofonist (und Flötist) Roger Hanschel bringt in seinen flammenden Soli sein „Markenzeichen“ zur Entfaltung – etwa, wenn er durch Tonrepetitionen Flächenklänge erzeugt. Oder Kristina Brodersen, die auf ihrem Altsax eher für den schlanken lyrischen Tonfall verantwortlich zeichnet. Andreas Wahl rundet durch seine E-Gitarrensoli das Spektrum in rockigere Richtungen ab. Heidi Beier lässt in einem hinreißenden Solo ihr Flügelhorn aufstrahlen. Eva Pöpplein sorgt mit ihrer Elektronik für ein stets präsentes experimentelles Sound-Design. Laja Genc entfaltet in ausgesuchten Momenten viel pianistisches Feuer. Schlagzeuger Jens Düppe hat auf der Bühne seinen Platz dort, wo er hingehört, nämlich in der Mitte. Sein dynamisches Spiel verweigert sich jeder Kraftmeierei, denn Führungsqualität hat nichts mit Dominanzgehabe, sondern umso mehr mit Zuhören-Können zu tun: „Ich muss eigentlich mit meiner Wahrnehmung ständig überall sein und fühle mich oft wie ein zweiter Dirigent“ beschreibt er später seine Rolle im Gespräch. Man könnte endlos weiter die vielen imposanten Einzelleistungen aufzählen – was absolut verdient wäre! Caroline Thon bringt auf den Punkt, wie die Mischung aus illustren Charakteren mit ihren fabelhaften Fähigkeiten zusammen kam: „Wir haben bei der Auswahl der Musiker und Musikerinnen einfach auf Leute geachtet, die Bock auf eine Musik haben, die sich vielleicht auch mal nicht sofort erschließt, sondern für die man sich mit Idealismus einsetzen muss.“

Das Titelbild zeigt Heidi Bayer. Foto: Stefan Pieper

Autor: Stefan Pieper

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