Die Seeluft und der Blues

Jazz-Legenden in Wallanders Revier. Das Ystad Sweden Jazz Festival feierte Jubiläum mit Benny Golson und Charles Lloyd

Momente, die man nicht wieder vergisst. Solch einer war beim eben zu Ende gegangenen zehnten Jazzfestival im südschwedischen Ystad, der Wirkungsstätte des literarischen Ermittlers Kurt Wallander, das Gastspiel des Saxophonisten Charles Lloyd und seiner aktuellen Band „Kindred Spirits“. Das lag nicht zuletzt an der besonderen Ruhe, die die beiden Konzertstunden ausstrahlten – und an jungen Top-Musikern, die Lloyd aktuell um sich hat. Der mittlerweile 81-jährige Lloyd, seit rund sechs Jahrzehnten berühmt in der Jazzwelt, spielt das Tenorsaxophon immer noch mit einem so klaren, weichen Ton wie eh und je; jede wirbelnde Umspielung seiner schweifenden Saxophonlinien sitzt, und die Soli des weiß und beige gekleideten Bandleaders mit der dunklen Brille haben Biss, Blues und Finesse. Seine beiden Gitarristen Julian Lage und Marvin Sewell überbieten sich gegenseitig in stilvoll eigener Solo-Ästhetik, der eine mit flirrender Mehrstimmigkeit, der andere mit sattem Bottleneck-Blues, und Drummer Eric Harland sowie Bassist Reuben Rogers tragen alles mit irrwitzig feinem Können. Besserer Ausklang? Kaum vorstellbar.

So feiert man Jubiläen – egal, ob das zehnte oder das fünfzigste. Das noch junge Festival in dem schönen Ort am Meer mit seinem Kloster aus dem 13. Jahrhundert, Schwedens ältestem Programmkino und einem soeben 125 Jahre alt gewordenen, charmanten 400-Plätze-Theater, hat sich einen Namen gemacht durch gut gemischte Programme unter der künstlerischen Leitung des Pianisten Jan Lundgren und durch Orte, an denen sich Musik besonders gut genießen lässt. Das Theater ist die Hauptspielstätte (von dieses Jahr insgesamt 12), und dort Jazz-Altstars wie den junggebliebenen und zu den Tönen seiner Musiker versonnen tänzelnden Lloyd oder seinen nochmal neun Jahre älteren Kollegen Benny Golson erleben zu können, hat einen ganz eigenen Reiz.

Golson, dieses Jahr 90 geworden, spielte mit der schwedischen Norbotten Big Band einige der von ihm komponierten Klassiker wie „Killer Joe“, „Whisper Not“ und „Along Came Betty“ und gab, im adretten Jackett und mit roter Krawatte, auch ausführlich seiner Gabe als Erzähler nach. Die Geschichte rund um den beinahe verhinderten „Blues March“, den er einst für den Schlagzeuger Art Blakey schrieb, schmückte er gefühlte zehn Minuten lang mit vielen Details aus. Als Tenorsaxophon-Solist klingt er brüchiger als einst, baut aber seine Soli immer noch dramaturgisch ungemein geschickt auf – auch da: die Kunst des Erzählens. Nicht so gut kam in ein, zwei Bemerkungen das altertümliche Frauenbild des Jazz-Charmeurs an, aber das Raunen dauerte nicht lange und mündete in langem Applaus für einen 90-Jährigen, der sich am Ende darauf freute, hoffentlich bald wiederzukommen.

Viele Farben hat der Jazz, besonders in Ystad. Nicht zuletzt dem Swing huldigt man dort gern – diesmal in einer Hommage an den 2017 hundertjährig gestorbenen dänischen Geiger Svend Asmussen. Der hervorragende Gitarrist Jacob Fischer und seine Band begleiteten die Sängerin Sinne Eeg und drei junge Jazzer, den Mundharmonika-Spieler Filip Jers, den Geiger Bjarke Folgren und den Sänger Mads Mathias bei zündenden, geschmackvoll arrangierten Evergreens – in Anwesenheit der Witwe Ellen Bick Asmussen und eines begeisterten Publikums. Zu den Applaus-Highlights zählte etwa neben dem klangfarbenprächtigen Konzert des kubanischen Pianisten Omar Sosa mit der NDR-Bigband unter Geir Lysne auch der groovende Hammondorgel-Wirbelsturm Joey DeFrancesco, der als niemals ruhendes Zentrum seines Trios auch noch Trompete und Tenorsaxophon blies. Sowie: Jan Lundgrens Zusammenarbeit mit dem Göteborg Wind Orchestra, einem 22-köpfigen Blasorchester, und seine Neuauflage des Trios „Mare nostrum“ mit Akkordeonist Richard Galliano und Trompeter Paolo Fresu, das allerdings dem Mittelmeer auch heute noch keine dramatischen, sondern vor allem melancholisch schöne Töne zuordnet.

Tief berührend auf ganz eigene Art war ein Solo-Auftritt der deutschen Saxophonistin Nicole Johänntgen zu früher Morgenstunde in der alten Klosterkirche. Nicole Johänntgen schritt mit dem unverstärkten Altsaxophon, während sie spielte, das Kirchenschiff ab, durch die Publikumsblöcke hindurch, und schickte zunächst ganz langsame Töne behutsam in den Raum. Dann wieder blies sie Arpeggien und nutzte dabei die rund 6 Sekunden Nachhall der Kirche für reizvolle Überlagerungen, so dass man Akkorde zu hören glaubte, oder schwenkte das Saxophon nach links und nach rechts, um die Töne wie einen klingenden Schweif durch den Raum zu ziehen. Geradezu umhüllt von Klang wurde man nach und nach in dem sakralen Raum durch nur ein einziges Instrument. Der Raum wurde zu Musik, die Musik zu Raum. Auf zarte Art spirituell war dieses Hör-Erlebnis dabei, das begeisterte – oder besser: beseelte – Zuhörer hinterließ und heutiger Betriebsamkeit etwas auf ganz leise Art Existenzielles entgegensetzte. Auch das einer der Momente, die man nie wieder vergisst. Und einer der bewegendsten.

Text und Fotos: Roland Spiegel

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