Sun Dew @ Neue Nachbarn (Berlin). Foto: Petra Basche

Elegant, kraftvoll, komplex und leicht: Sun Dew @ Neue Nachbarn (Berlin)

Vor einem Jahr gingen „Sun Dew“ (das Sextett um die Violinistin Héloïse Lefebvre und den Gitarristen Paul Audoynaud) in Paris ins Aufnahmestudio von Laborie Jazz und spielten an mehreren Tagen 9 Stücke ein. Die CD ist nun gepresst und feierte ihre Veröffentlichung im Paris Berlins: in einer Neuköllner Seitenstraße. „Neue Nachbarn“ heißt die kleine Lokalität in der Schierker Straße, geführt von sympathischen, höflichen und den rücksichtsvollsten Gastwirten und -gebern, die ich je erlebt habe. Das Publikum am Ort, stehend oder auf dem Boden vor der Bühne sitzend, mit fast heiliger Lockerheit, entspannten Gesichtszügen. Kurz: Ein respektvolles Umgehen untereinander. Beste Bedingungen für eine Musik, die mit nachahmenswertem Understatement ihr Klanguniversum aufbaute und den Raum mit schillernden und duftenden Kompositionen füllte.

„Sun Dew“: Um Gitarre und Violine gruppieren sich die Cellistin Liron Yariv, der Pianist Johannes von Ballestrem, Bassist Paul Santner und Christian Tschuggnall am Drumset. Zu hören gibt es kammermusikalisch feinst durchgemalte Musik, die gleichwohl nach außen einen erheblichen Druck zu erzeugen in der Lage ist. In „Tones from the Blackwoods“ (Nr. 7) schwebt der Klangraum in federleichter Weise, angestoßen von der Gitarre Paul Audoynaud – und selbst dort, wo der Bass sein solo summt. Die Klänge gleichen tönenden Glühwürmchen, die das Stück in immer wieder neuen Konstellationen erhellen. Will man da sich einfangen lassen und mit abheben? Oder doch besser dem Spiel entspannt hinterherlauschen? Wer es will, findet bei „Méandres“ (Track 2) einen ähnlichen Tonfall, bei dem aber das improvisatorische Element sein Recht einfordert und – wenn mich nicht komplett täuschen sollte – das Tonsystem sich der Musikwelt des südlichen Mittelmeeres verwandt ist. Der „Ton“ bleibt sich ähnlich, die Töne sind andere.

Die Musik sagt einem in den meisten Stücken: „höre“, besser wäre es! Denn wie es sich für französisch inspirierte Jazzkammermusik ziemt, macht sie einen im richtigen Moment Stolpern und bleibt dabei doch so höflich, es einen nicht merken zu lassen. Das Eröffnungsstück „Le Penseur“ ist ein solches. Über einem rauschenden triolischen Schlagzeug bauen die Streicher im Pizzicato ein trippelndes Gerüst, aus dem sich später zunächst ein hymnisches Gitarrensolo herausschält. Und kurz darauf gibt es ein Zwischenstück, bei dem der 4/4-Grund gegengepflügt wird. Das Spiel wiederholt sich, nur greift bei zweiten Mal die Violine das Thema auf.

Oder bei „Black Stache“ (Track 3), wo verschiedene Modi der Musiksprache sich ablösen, von einer Art Kindervers-Melodik bis zu frei fließenden Jazzidiom. Es sprudeln die musikalischen Ideen wie bei einem Roman die Figuren durchgeführt werden, sich dann und wann treffen, ehe sie mitgerissen werden in den Strom der nächsten Handlung. So auch bei „Le Mexicain“ (Track 9), dem längsten Stück der Platte, das wie der Soundtrack zu einem unveröffentlichten Film von Gary Larson klingt.

[Sun Dew] „Sonnentau wurde gegen Reizhusten, zur Herzstärkung und als Aphrodisiakum, aber auch zur Behandlung von Sonnenbrand und gegen Sommersprossen verwandt.“ [Wikipedia]

Die Wirkstoffe dieser Musik entfalten sich auch in einem kleinen Konzertraum wie bei „Neue Nachbarn“ – insgesamt wählten die Musikerinnnen und Musiker eine mehr an den Rock angelehnte Realisierung – statt eines großen Flügels für Ballestrem musste er schließlich sämtliche Elemente auf dem Fender Rhodes umsetzen. Wie mit einem lyrischen Hammer wird die Musik mit den zwei Streicherinnen bearbeitet. Christian Tschuggnall und Johannes von Ballestrem kommt dabei zusammen mit dem Bassisten Paul Santner die Aufgabe zu, die jeweiligen musikalischen Atmosphären – teilweise schlagartig wie bei einem plötzlich gedrehten Kaleidoskop – zu errichten oder aufzulösen, was ihnen immer mühelos gelingt. Christian Tschugnnall bringt seine eigene kompositorische Erfahrung mit ein in auf diese Weise artifiziell gebaute Tracks. Und doch fühlt man sich als Hörerin nicht gehetzt oder in eine andere Welt geschubst, sondern eher mitgerissen. Nicht anders ist es bei den schon erwähnten „Tones from the Blackwoods“ – nur dass es hier nur weniger Mittel aus den Händen von Gitarrist Paul Audoynaud, der Geigerin Héloïse Lefebvre und der Cellistin Liron Yariv im Zusammenspiel mit Paul Santner bedarf.

Mehr Bilder von Petra Basche zu dem Konzert gibt es auf HuPe-kollektiv

Die Kompositionen allesamt tragen. Man hat manchmal das Gefühl, diese Musik schon gehört zu haben. Und dann wird einem klar, wo: Bei „Sun Dew“, weil man die Platte gerade zum 12 Mal hört. Auch wenn einem die Musik von Mal zu Mal bekannter vorkommt, wirkt sie jedes Mal neu und erfrischend.

Das alles war live nicht anders. Sondern klanglich ebenso berauschend, flirrend, elegant, artifizell, krachend, attitüdenfrei. Atmosphärische Störungen? Fehlanzeige.

Nächste Termine in Deutschland:

  • 15.06.2017: Zig Zag Club, Berlin
  • 20.11.2017: Jazz Units Festival, Berlin

Weitere Termine auf der Website von Sun Dew

CD: Sun Dew (Héloïse Lefebvre, Paul Audoynaud, Liron Yariv, Johannes von Ballestrem, Paul Santner, Christian Tschuggnall), Laborie Jazz 38.

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